Es grüßt die preußische Vereinspolizei

Innenpolitik Kontrolle politischer Verbände ist nicht neu. Mit der Prüfung der Gemeinnützigkeit kann sie nun wieder eingeführt werden
Ausgabe 48/2019
Singende Männer im Musikverein Lauterbach. Ist das gemeinnützig oder kann das weg?
Singende Männer im Musikverein Lauterbach. Ist das gemeinnützig oder kann das weg?

Foto: Imago Images/Becker&Bredel

Der Verein ist die Wärmestube des deutschen Michels. Dessen Vereinsmeierei ist sprichwörtlich, und sie hat einen historischen Grund. In der napoleonischen Ära und in der Zeit nach der gescheiterten Revolution von 1848 zogen sich Bürger und Arbeiter in unverdächtige Zusammenschlüsse zurück, um ihre politischen Anliegen weiter voranzutreiben. Nach dem Allgemeinen Preußischen Landrecht allerdings war Vereinen jegliche politische Betätigung verboten, sie unterstanden der Kontrolle der Vereinspolizei.

Eine Vereinspolizei gibt es heutzutage nicht mehr, diese Aufgabe übernehmen inzwischen die Finanzbehörden, die mittels Aberkennung der Gemeinnützigkeit und anderer Maßnahmen versuchen, jenen Vereinen das Wasser abzugraben, die mehr wollen als Jodeln, Schrebern oder Wohltätigkeiten Austeilen. Den Anfang machte im Februar der Bundesfinanzhof (BFH), als er der globalisierungskritischen Organisation Attac die Gemeinnützigkeit aberkannte, im Oktober folgte Campact, in beiden Fällen mit der Begründung, diese verfolgten keinen unmittelbar gemeinnützigen Zweck, sondern allgemeine politische Ziele.

Nun hat es sogar die Bundesvereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschisten (VVN-BdA) getroffen. Ihr wurde Anfang November vom Finanzamt Berlin die Gemeinnützigkeit entzogen, und ihr droht – ähnlich wie Attac und Campact – eine Nachforderung im fünfstelligen Bereich. In eine andere Kerbe schlug jüngst der BFH, als er dem Bistro einer Behindertenwerkstatt untersagte, mit dem ermäßigten Umsatzsteuersatz zu wirtschaften. In solchen „Nebengeschäften“ von Vereinen jedoch finden viele Menschen mit Behinderung einen Arbeitsplatz.

Der Entzug der Gemeinnützigkeit hat für die betroffenen Vereine fatale Wirkungen: Spenden sind steuerlich nicht mehr absetzbar und bestimmte Fördermittel, auf die kleinere Organisationen angewiesen sind, können nicht mehr abgerufen werden. Unter Druck geraten, kündigte Bundesfinanzminister Olaf Scholz während seiner Kandidatentour für den SPD-Vorsitz deshalb an, das Gemeinnützigkeitsrecht zu reformieren und die Abgabenordnung zeitgemäßer zu gestalten.

Zunächst jedoch ließ er wissen, Vereinen, die nur Männer aufnehmen, künftig die Gemeinnützigkeit entziehen zu wollen, vom Männergesangsverein bis hin zur historischen Bruderschaft oder getarnten Kampfsporttruppe. Mehr Frauen dürften sich allerdings davon diskriminiert fühlen, dass sie von den lukrativen männlichen Erwerbsspielplätzen ferngehalten werden als vom männerintonierten Platzkonzert.

Erinnert sei stattdessen daran, dass Scholz‘ Partei einmal aus den politisch verfolgten Arbeitervereinen – zu denen Frauen übrigens nicht zugelassen waren – hervorgegangen ist und dass deren Mitglieder sich, wenn sie die Nazi-Zeit überlebt hatten, der VVN anschlossen, um dort ihren Beitrag für ein antifaschistisches Deutschland zu leisten. Ebenso wie die vielen jungen Leute dem Gemeinwesen dienen, die sich in Vereinen für Klimaschutz oder Menschenrechte einsetzen – politische Ziele, die die Abgabenordnung bisher nicht als „gemeinnützig“ ausweist.

Dass Olaf Scholz sie nun aufspalten will in rein gemeinnützige Organisationen, die sich nur im Hintergrund politisch betätigen dürfen, und steuerlich begünstigte „Politische Körperschaften“ wie Attac, zielt auf eine Schwächung der Zivilgesellschaft und erinnert, ja, Herr Scholz!, an die einstige preußische Vereinspolizei.

Nur für kurze Zeit!

12 Monate lesen, nur 9 bezahlen

Geschrieben von

Ulrike Baureithel

Redakteurin „Politik“ (Freie Mitarbeiterin)

Ulrike Baureithel studierte nach ihrer Berufsausbildung Literaturwissenschaft, Geschichte und Soziologie und arbeitete während des Studiums bereits journalistisch. 1990 kam sie nach Berlin zur Volkszeitung, war im November 1990 Mitbegründerin des Freitag und langjährige Redakteurin in verschiedenen Ressorts. Seit 2009 schreibt sie dort als thematische Allrounderin, zuletzt vor allem zuständig für das Pandemiegeschehen. Sie ist außerdem Buchautorin, Lektorin und seit 1997 Lehrbeauftragte am Institut für deutsche Literatur der Humboldt Universität zu Berlin.

Ulrike Baureithel

Freitag-Abo mit dem neuen Roman von Jakob Augstein Jetzt Ihr handsigniertes Exemplar sichern

Print

Erhalten Sie die Printausgabe zum rabattierten Preis inkl. dem Roman „Die Farbe des Feuers“.

Zur Print-Aktion

Digital

Lesen Sie den digitalen Freitag zum Vorteilspreis und entdecken Sie „Die Farbe des Feuers“.

Zur Digital-Aktion

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Unabhängiger und kritischer Journalismus braucht aber Unterstützung. Wir freuen uns daher, wenn Sie den Freitag abonnieren und dabei mithelfen, eine vielfältige Medienlandschaft zu erhalten. Dafür bedanken wir uns schon jetzt bei Ihnen!

Jetzt kostenlos testen

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden