In der moralischen Besserwisserei seien wir Weltmeister, wusste der altgediente Wolfgang Schäuble (CDU) neulich über die Deutschen zu sagen. Und allenthalben ist von moralischer Aufrüstung zu lesen, wenn den Grünen am Zeug geflickt werden soll oder Klimaklebende am Pranger stehen.
Die Nachbarn mit dem anderen Blick erteilten „Gutmenschen“ hierzulande in der konservativen Neuen Zürcher Zeitung kürzlich die Lehre, dass weder China noch dem Emir von Katar mit Symbolpolitik auf den Leib zu rücken sei. Vegetarisches Essen, das Verbot von Public Viewing während der Fußball-Weltmeisterschaft oder die Verirrungen gendergerechter Sprache: alles nur Kosmetik, um sich ein gutes Gewissen zu verschaffen. Symbolpolitik habe die linken ideologischen
inken ideologischen Kämpfe abgelöst. Der saturierte Sozialstaat ließe keine Wünsche mehr offen, deshalb die Propaganda für ein ideales individuelles Leben.Der Tankrabatt: ein RohrkrepiererDas wiederum ist alles selbst Ideologie, und man kennt es von den Rechten im Bundestag, wenn sie anfangen, auf ihre Gegner verbal draufzuhauen. Und es verfängt, leider. Aber abgesehen von diesen ressentimentgeladenen Kulturkämpfen, Ablenkungsmanöver ohne Frage, hat man bei der Bilanzierung der Berliner Politik schon auch gelegentlich den Eindruck, dass das populistisch kalkulierte Symbol einer Maßnahme schwerer wiegt als dessen Nachhaltigkeit.Das Neun-Euro-Ticket hat immerhin eine vielfach teurere republikweite Monatspassage hervorgebracht – aber eben keine entsprechende Bahn-Infrastruktur. Der Tankrabatt war ein Rohrkrepierer. Und da gibt es eine Reihe von Gesetzen, die im Sinne von Antidiskriminierung sicher symbolische Wirkung zeitigen, dem Staat aber vor allem Geld sparen. Im Entwurf zum Gesetz des selbstbestimmten Geschlechtseintrags, um nur ein Beispiel zu nennen, ist vermerkt, wie viel Geld durch den Wegfall richterlicher Gutachten eingespart werden kann.Christian Lindner will sparen um jeden PreisDasselbe gilt auch für die von Justizminister Marco Buschmann (FDP) gerade auf den Weg gebrachten Strafrechtsänderungen. Wer nicht mehr einsitzt, wenn er einen Strafbefehl nicht zahlen kann oder will, sondern sich sozial engagiert, erspart den Finanzministern der Länder 157,72 Euro pro Hafttag. Das freut auch den Experten im Bund, Christian Lindner (FDP), der momentan (fast) jeden abweist, der an sein Geld will. Es ist schon auffällig, dass sich vor allem die FDP in diesem Zusammenhang profiliert.Es gibt aber auch einige Kabinettskollegen und -kolleginnen, die es den Liberalen gleichtun mit der Symbolpolitik. Dazu gehört etwa Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD), der ein Viertel der Kliniken schleifen will und allen Ernstes behauptet, damit viele Leben zu retten. Hat er jemals versucht, als Kassenpatient einen Termin zu bekommen und ist in einer Klinik gelandet, froh, dass sie ihn aufgenommen hat? Lauterbach drückt Kosten derzeit einfach auf die Beitragszahler:innen ab. Symbolisch ist aber auch die Erhöhung des Mindestlohns um 41 Cent ab 2024. Nur muss Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) dafür nur bedingt geradestehen.Das Gerangel um die Kindergrundsicherung: ein TrauerspielEin Trauerspiel ist dabei das Gerangel um die Kindergrundsicherung, ein Vorzeigeprojekt der Ampel. Für Familienministerin Lisa Paus (Grüne) ein Herzensanliegen, für das sie zwölf Milliarden Euro veranschlagt hatte. Viel Geld, aber nur ein Bruchteil des Bundeswehr-Schattenetats. Lindner ist ihr schon im März in die Parade gefahren. Seither feilscht er mit Paus und dem Kanzler und rechnet minutiös vor, was alles schon in die Kindergelderhöhung und ins Bürgergeld geflossen ist.FDP-General Djir-Sarai sieht ohnehin „keinen größeren Finanzbedarf“. Es ginge in erster Linie um eine Verwaltungsreform. Die Personalräte der Familienkasse, die das administrativ bewältigen sollen, haben kürzlich einen Brandbrief an Kanzler Olaf Scholz (SPD) geschickt. Für das Personal nicht zu wuppen, sagen sie. Und für die Kinder, sagen Verbände, spränge ohnehin wenig heraus. Auf den Haushalt hat sich die Ampel nun geeinigt. Doch nachhaltig wird die Kindergrundsicherung nicht sein, sie bleibt Symbol.Mehr Bildungsgerechtigkeit: Fehlanzeige!Und um bei den Kindern zu bleiben: Bildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) hat so viel Geld in der Hand wie noch keine Amtsvorgängerin, aber man kennt sie höchstens, weil sie das Wissenschaftszeitvertragsgesetz vergeigt hat. Und die Schulen? Die warten auf die Einlösung von Digitalpakt 2.0. Digitale Technik veraltet schnell und muss ersetzt werden. Das könnte, wie man hört, aber auch Lindners Spargesetz zum Opfer fallen. Und nun noch der lange Streit über das „Startchancenprogramm“, das aufgelegt wurde, um Bildungsungerechtigkeiten im Land zu begegnen. 4.000 ausgewählte und gut auszustattende Schulen sollen sozial benachteiligte Schüler:innen „in die Hufe“ bringen. Doch wer wählt sie aus, nach welchen Kriterien? Streit ohne Ende, weil sich die Länder vom Bund nicht bevormunden lassen wollen. Das Programm geht frühestens 2025 an den Start. Zwei verlorene Jahrgänge.Symbolpolitik ist ein Kampfbegriff, vor allem der Rechten. Man sollte also sehr genau schauen, wie man ihn anbringt. Bei Durchsicht der sozialpolitischen Agenda der Ampel wird man dennoch darauf gestoßen, und es sollte erlaubt sein, das beim Namen zu nennen. Auch wenn die Gefahr besteht, dass es missbraucht wird.