Empörung hier, Verwirrung da

Gesellschaft Durch die Schulstreiks und die Proteste gegen Upload-Filter wird ein gewaltiger Generationenkonflikt deutlich: Jung gegen Alt, Analog gegen Digital

Montagnachmittag in Brüssel, Julia Reda, Mitglied der Piratenpartei und Abgeordnete der Grünen Fraktion im Europäischen Parlament, twittert Alarm: „Breaking“, Manfred Weber (CSU) habe einen Antrag eingereicht, die Abstimmung zum Urheberrecht im Europäischen Parlament – eigentlich für Ende März geplant – soll vorgezogen werden. Und zwar auf nächste Woche. Um den europaweiten Demonstrationen gegen den umstrittenen Richtlinienentwurf zuvor zu kommen, so der empörte Tweet, und die waren für den 23. März angekündigt. Damit wäre das Gesetz, noch bevor die ganze Sache unter den Wählern Feuer fangen könnte, durch und vom Tisch. „Wir brauchen einen öffentlichen Aufschrei, um das zu stoppen!“, forderte Reda. Den gab es. Und die Abstimmung wird nun doch nicht vorgezogen.

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Doch durch die Debatte über die Verschiebung der Abstimmung riss das Thema nun auch die Aufmerksamkeit jener an sich, die sich bis dato noch nicht damit beschäftigt hatten. Nämlich die der analogen Generation. Schließlich ging es jetzt auch um das Recht, seine Meinung nicht nur im Internet, sondern auch auf der Straße frei äußern zu dürfen. Also um Demokratie.

Staunend verfolgten die analog Sozialisierten die Aufregung, die die Urheberrechtsreform unter Jugendlichen bereits seit Wochen hervorgerufen hatte – und von der sie noch gar nichts mitbekommen hatten. Wie wichtig das Thema für die Generation YouTube ist, wurde in den schnellen Reaktionen auf Julia Redas Tweet deutlich: Binnen weniger Stunden wurde ein neues Datum für deutschlandweite Demonstrationen gegen den europäischen Gesetzesvorschlag, insbesondere gegen Artikel 13 des Dokuments, festgelegt: für den darauffolgenden Tag. Dienstag. Die YouTube-Influencer Lefloid, Pietsmiet und Co. (für die analogen Kreise: deren Einfluss und Tätigkeit mit der Heribert Prantls vergleichbar ist) twitterten wie wild und mobilisierten eine große Anzahl junger Internetuser und Netzpolitik-Aktivisten in Berlin, Köln, Frankfurt, München, Stuttgart und Hannover. Sie alle gingen auf die Straße, manche von ihnen zum ersten Mal. Ihre Eltern wunderten sich auf Facebook ob der plötzlichen Politisierung der Kinder, die bei den Fridays for Future noch in der Schule geblieben waren, aber jetzt doch auf die Straße gingen. Wegen YouTube.

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Träte das Gesetz in seiner jetzigen Form in Kraft, wäre der Plattformbetreiber – wie auch Instagram oder Facebook – direkt für die Urheberrechtsverletzungen seiner Nutzer haftbar. Das heißt, die Plattformen müssten entweder sämtliche hochgeladenen Beiträge mit bereits veröffentlichen Inhalten abgleichen und Beiträge, die das Copyright verletzen, sofort entfernen – ein Ding der Unmöglichkeit –, oder aber sie verlassen sich auf digitale Filter, die den Inhalt schon vor der Veröffentlichung auf jegliche Kongruenz mit bereits veröffentlichtem Material prüfen. Diese Upload-Filter sind nicht nur teuer, sondern auch fehleranfällig und könnten beispielsweise Plagiate nicht von Parodien und Kommentaren unterscheiden, die kurze Mitschnitte von bereits veröffentlichten Videos oder ähnlichem enthalten. Damit wäre nicht nur die Veröffentlichung einzelner Beiträge gefährdet, sondern ein ganzes Genre, das sich dadurch auszeichnet, online kursierende Inhalte aufzuarbeiten und zu kommentieren. Für eine Generation, die nicht mit der Tagesschau und Anne Will aufwächst, sondern mit YouTube und Influencern, sind solche Gesetze von weitreichender Bedeutung.

Die Analogen verstehen die Digitalen nicht

Ein Generationenkonflikt wird mal wieder entdeckt, oder besser: vermisst. Denn die Protestwellen, die Urheberrechtsschutz und Klimawandel in den letzten Wochen und Monaten bei Jugendlichen hervorgerufen haben, zeigen, dass nicht am politischen Interesse die Geister sich scheiden, sondern an der Medienwelt, die sie nicht mehr teilen. Jugendliche drehen Filme, machen Fotos und laden sie auf YouTube oder Instagram hoch – sie haben sich schon selbst mit Urheberrechten auseinandersetzen müssen. Das Urheberrecht sehen sie als Grundpfeiler unserer Demokratie. Ein Pfeiler, der aber nicht dadurch geschützt werden darf, dass andere tragende Säulen jener Gesellschaft, in der sie aufgewachsen sind, wie die freie Meinungsäußerung im Internet, zum Einsturz gebracht werden.

Diese Generation steht einer anderen gegenüber, deren politische Diskussionen auf dem Papier stattfinden, in der Tagesschau, im Theater. Medien, die auch bei einer reformierten Gesetzeslage ohne Upload-Filter auskommen dürften. Diese Analogen können die Empörung der Digitalen kaum nachvollziehen.

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Ein weiterer Generationenkonflikt wird freitags ausgefochten, wenn Jugendliche für den Klimaschutz seit Monaten gewissenhaft die Schule schwänzen. „Wenn wir schon zur Schule gehen und uns weiterbilden, wollen wir auch, dass es überhaupt eine Zukunft gibt, für die wir uns bilden können“, meint ein Schüler aus Berlin, Prenzlauer Berg. Was die Politik in letzter Zeit für die Anliegen seiner Generation im Bereich Klimaschutz gemacht habe, reiche nicht aus. Das Anliegen seiner Generation, Politik so zu betreiben, dass die Welt auch in 50 Jahren noch bewohnbar sei, müsse endlich wahrgenommen werden. Und während die eine Generation noch mit dem Dieselskandal hadert, will die andere von Diesel nichts mehr wissen: „Diesel-Filter statt Upload-Filter“, skandieren sie.

Hinter diesen Konflikten steht noch ein anderer: die Generationen stehen sich nicht gleichberechtigt gegenüber. Denn während die eine ihre Vertreter in Parlamenten und öffentlichen Einrichtungen wiederfindet, diskutiert letztere online – und beschäftigt sich erst jetzt mit einer politischen Welt, in der sie sich nicht vertreten sieht.

Der Antrag auf eine vorzeitige Abstimmung wurde inzwischen fallengelassen. Die Abstimmung wird, wie geplant, Ende März im Europäischen Parlament stattfinden. Theoretisch genug Zeit, die Anliegen und Ansichten jener zu verstehen, die mit ihrer Stimme jetzt in die Medien der Analogen vordringen.

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