Anders Tegnell hat gerade eine Enttäuschung erlebt. Im Gegensatz zu auch hierzulande schon verbreiteten Meldungen wird der Epidemiologe, der Schweden durch die Pandemie steuerte, doch nicht zur Weltgesundheitsorganisation wechseln. Die Hintergründe sind unbekannt. Aber nicht nur beim Spiegel, der Tegnell stets als „umstritten“ vorstellt, wird man aufatmen: Man braucht ja nicht den Bock als Gärtner!
Tegnell hat außerhalb seines Landes einen katastrophalen Ruf. Dabei heißt das Land, das EU-weit statistisch die geringste Covid-Übersterblichkeit ausweist – richtig: Schweden. Ist Ihnen das geläufig, sind Sie schon fast der Schwurbelei verdächtig. Stutzen Sie hingegen bei dieser Nachricht, sollten Sie sich fragen, warum.
Denn dass hierzulan
Denn dass hierzulande so viele an einen Erfolg des „Schwedischen Sonderwegs“ einfach nicht glauben wollen, hat Gründe: Selten wurde ein Land so rasch und umfassend „neu bewertet“ wie das einst als langweilig-fürsorglich bekannte Schweden, das auf Lockdowns verzichtete. Tief erschrocken quittierte das hiesige Publikum Bilder aus Stockholm, auf denen Menschen anno 2020 oder 2021 in der Frühlingssonne vor Cafés saßen: Unglaubliche Szenen, für die es ganz tiefe Gründe geben musste!Ob der erwartbar „tödlichen Bilanz“ (Rheinische Post) dieser Politik drängte sich dem Mainstream nicht nur die Frage auf, was da „vom sozialen Vorzeigestaat übrig bleibt“ (Südkurier). Der Kopf dieser Strategie wurde in einem viel geteilten Vor-Ort-Text der österreichischen Kleinen Zeitung als „Massenmörder“ tituliert. Seit an Seit stritt man mit dem „Widerstand“, „Tegnell-Kritik“ war fast schon so etwas wie „Putin-Kritik“. Rasch brach sich ein neues Schweden-Bild Bahn: Jene Augenzeugin der Kleinen Zeitung etwa war tief „betroffen“, wie „extrem wichtig die Wirtschaft hier ist und dass man das Gefühl hat, dafür über Leichen zu gehen“. Und alsbald fand man den wahren Grund jenes Sonderwegs über die vorgestellten Massengräber: in der üblen Unterstellung, das Land wolle so Kranke und Schwache ausmerzen.Corona-Deutschland hatte nämlich gegoogelt: Kannte Schweden nicht bis 1976 „eugenische“ Gesetze, nach denen sterilisiert werden konnte, wer als „erbgeschädigt“ galt? Ha, das war die Smoking Gun! Dass sich das Land damit recht ernsthaft auseinandergesetzt hat, tat dem Glanz dieses Kurzschlusses so wenig Abbruch wie die Tatsache, dass es hierzulande sogar bis 2003 möglich war, „nicht zustimmungsfähige“ Frauen ohne weitere medizinische Indikation unfruchtbar zu machen. Um die Verurteilung dieses Reichs des finstersten Sozialdarwinismus zu komplettieren, begannen deutsche Blogs auf dem Höhepunkt des Pandemismus, Schweden quasi rückwirkend zum Verbündeten Adolf Hitlers zu erklären.So beantwortet sich die Frage, warum es den Durchschnittsdeutschen nicht gut runtergeht, dass Schweden eine Übersterblichkeit von 4,4 Prozent hatte, Deutschland eine von 8,6 Prozent. Das ZDF hat hier zumindest einen Klärungsversuch unternommen. Doch das mit „War Schwedens Corona-Sonderweg doch richtig?“ betitelte Stück übt sich vor allem in Relativierung. Nachvollziehbar ist dabei der Hinweis, dass Schweden die Übersterblichkeit in Relation zu den tatsächlichen Sterbezahlen vor der Pandemie berechnet und nicht im Verhältnis zu den erwartbaren. Das kann die Statistik verzerren, weil die Tendenz in Schweden – anders als hierzulande – vor Corona rückläufig war.Aber wäre Tegnells Bilanz nicht selbst dann höchst diskussionswürdig, wenn sie nicht deutlich besser ausfiele als die hiesige, sondern „nur“ auch nicht schlechter? Andere Einwände sind alltagsplausibel, aber unsinnig. Wie etwa der, dass Schweden „relativ dünn besiedelt“ sei: Der an dieser Stelle relevante Urbanisierungsgrad ist dort nämlich kaum geringer als hierzulande. Am Ende fragt man sich, warum dieses Stück so bemüht ist, einen modernen Industriestaat zu einem Exotikum zu erklären, dessen Erfahrungen andernorts keine Bedeutung hätten.Bis heute scheint die Dämonisierung des „Sonderwegs“ ein offenes Visier zu verstellen. Werfen wir diese also über Bord! Hiermit sei ein Anfang gemacht: Entschuldigung, Schweden! Wir waren alle etwas drüber, sieh uns das doch bitte nach!