Deutsche Küche

A-Z Esskultur spiegelt die Befindlichkeit einer Gesellschaft. Den Nachweis führt Wolfgang Herles in „Vorwiegend festkochend – Kultur und Seele der deutschen Küche“
Ausgabe 42/2019

A

Apfelbaum Unter einem solchen hat im Paradies alles Elend begonnen. Dabei ist in der Bibel von einem Apfelbaum gar nicht die Rede. Nur in der Vorstellung der Deutschen trägt der Baum der Erkenntnis Äpfel. Luther würde heute noch einen Apfelbaum pflanzen, wenn morgen die Welt unterginge. Typisch deutsch: Eine Sache um ihrer selbst willen zu tun und zu übertreiben (Völlerei).

Mit der innigen Liebe zu ihrem Lieblingsobst gehen die Deutschen dagegen beschämend um. Drei Sorten machen siebzig Prozent des Umsatzes im Handel – obwohl es fünftausend Apfelsorten gibt. Im Supermarkt sind die Äpfel normiert, sortiert, verordnet. Die EU schert sich nicht um Geschmack, sondern nur um Vermarktung. Es hat also durchaus seinen Sinn, wenn im Apfel symbolisch Schönheit und Niedertracht vereint sind. Ob im Märchen (Schneewittchen) oder im Theater: Goethes Faust, Inbegriff des deutschen Manns, schwärmt: „Einst hatt ich einen schönen Traum, da sah ich einen Apfelbaum, zwei schöne Äpfel glänzten dran, sie reizten mich, ich stieg hinan.“

E

Einbauküche Den wesentlichsten Beitrag der Deutschen zur Esskultur leisteten nicht Köche, sondern Designer und Ingenieure. Vorsprung durch Technik. So wurde die Frankfurter Küche (1926) ein Welterfolg. Seitdem eroberten deutsche Einbauküchen und deutsche Küchentechnik den Weltmarkt. Die ersten Einbauküchen waren hochrationalisierte Arbeitsplätze für Hausfrauen. Was damals als Emanzipation gepriesen wurde, war aber das Gegenteil. Die Frau wurde zu scheinbar anspruchslosem Tun in die Miniküche gesteckt. Heute ist das anders. Kochende Männer verzichten inzwischen lieber auf den Porsche und wählen als Statussymbol eine ins Wohnzimmer integrierte Luxuseinbauküche, steuerbar per Mobilfunk. Genuss durch Präzision. Die Küche als Bühne im Zentrum der Wohnkultur, deren Fronten schimmern wie Konzertflügel. Mehr gekocht wird in deutschen Küchen übrigens nicht. Und was heißt schon kochen? Der natürlich deutsche Thermomix verspricht automatisch Gelinggarantie.

F

Feinschmecker gelten hierzulande leicht als dekadente Verschwender. Wer dagegen dreihundert Euro für eine Konzertkarte ausgibt, folgt kulturellen Werten. Die Kochkunst gilt bestenfalls als Kunsthandwerk, nicht jedoch wie in Frankreich als Teil der Hochkultur. Dort muss sich auch kein Politiker davor hüten, mit einer Portion Gänseleberpastete erwischt zu werden. Natürlich hat Feinschmeckerei etwas mit Wissen und Intelligenz zu tun. Der Stand der allgemeinen kulinarischen Bildung ist in Deutschland gering. Sie wird bestenfalls ersetzt durch Ernährungswissen im Sinne von Gesundheit und Ökologie. Das ist etwas anderes. Feinschmeckerei ist eine Haltung – zum Essen wie zum Leben. Immer mehr Deutsche setzen sich zum Essen nicht einmal mehr hin. Sie beißen im Gehen und Stehen in Pizzaecken und Bratwürste. Die Wirtshäuser sterben, die Imbissbuden nehmen zu.

G

Geschmackssache ist zweischneidig. Um Essen beurteilen zu können braucht man Geschmack. Aber wie bildet man ihn? Wer schmeckt, prüft, ob das Vorgesetzte seinen Erwartungen entspricht. Schmecken heißt Vergleichen und Erkennen. Mit der Muttermilch schon erlernen Kinder Geschmacksmuster, die ihnen ein Leben lang unbewusst als Maßstab dienen. Deshalb ist es so verheerend, wenn Kinder mit versalzter Industriepampe aufwachsen. Sie bevorzugen die vertraute Kost und werden es nie zum Feinschmecker bringen. Deshalb sind tradierte Geschmacksmuster so stabil.

Geschmack stiftet Identität. Leute mit gleichen Geschmacksvorstellungen fühlen sich verwandt. Regionalküchen und Nationalspeisen haben da ihren Ursprung. Früher waren Geschmacksstile schichtenabhängig. Wer viel Fleisch auf dem Teller hatte, konnte es sich leisten. Das ist heute anders. Das Ideal der ökologischen Wertigkeit ist eine Sache der Besserverdienenden. Currywürste sind klassenloses Junkfood. Über Geschmack könne man nicht streiten, heißt es. Falsch. Über Geschmack muss man streiten.

H

Hausmannskost besteht aus wenigen Zutaten, was nicht heißt, sie müssten ohne Sorgfalt ausgewählt und zubereitet werden. Oft ist deutsche Hausmannskost ein Armutszeugnis. Dabei steht sie im Zentrum der kulinarischen Leitkultur: schlicht, sättigend, ordentlich, natürlich, unverkünstelt. Anders als der italienischen Hausmannskost liegt ihr Raffinesse fern. Ideologisch missbraucht wurde sie auch: Die Nazis erklärten sie zum Leitbild. Vollkornbrot und Eintopf wurden Pflicht. Die Herrenrasse verschmähte französische Dekadenz. Dabei verrät sie oft nur den Mangel, auch den Mangel an Kochkultur.

Der Begriff Hausmannskost ist natürlich nicht mehr korrekt, gerade weil noch immer überwiegend Frauen in der Küche stehen. Aber die beschweren sich nicht. Vielleicht weil „Hausfrauenkost“ weder eine feministisches noch eine kulinarisches Prädikat wäre. Das Weibliche gehört in der Küche wenn überhaupt den Großmüttern. „Wie bei Oma“: Damit werben heute auch viele Restaurants für ihr Convenience-Food. Doch Vorsicht: Die gegenwärtige Großmüttergeneration ist nicht mehr die alte. Auch sie ist schon der Burgerküche verfallen und eher ein Gefühls- statt ein Qualitätsmaßstab (Lecker).

K

Kartoffel Inbegriff der deutschen Küche, ja des deutschen Wesens. Deutsche Werte stecken in ihr: Bescheidenheit, Vernunft, Erdverbundenheit. Doch führt die Kartoffel ausgerechnet in Deutschland ein freudloses Dasein. Die deutsche Hausfrau bevorzugt sie vorwiegend festkochend. Nur, wenn sie Kartoffelsuppe, „immer selbst mit einem Kartoffelstampfer und nicht mit der Püriermaschine“ (wie Angela Merkel einmal der Bunten sagte) macht, greift sie – kulinarisch unsinnig – zur mehligen Ware. Von den Hunderten von Sorten, die es mal gab, weiß sie nichts. Die Agrarindustrie strebt nicht nach Verfeinerung sondern allein nach Ertrag, Lagerfähigkeit, Verarbeitungsqualität. Überwiegend Chips und Fertigfritten werden daraus.

Die meisten Deutschen kochen nicht mehr selbst. Falls doch, endet die Kartoffel als Sättigungsbeilage. Der Begriff weist darauf hin, dass auf deutschen Tellern Ordnung herrscht, eine klare Hierarchie. Oben der Geschmack, unten der Füllstoff (Soße und Sauce). Er allein macht satt. Wie aber ist zu verstehen, dass immer die gemeine Salzkartoffel dominiert? Weshalb eigens betont werden muss, dass sie in Salzwasser zubereitet wird, bleibt ebenso ein Rätsel. Die Deutschen und ihre Kartoffel: ein vorwiegend festkochendes Missverständnis.

L

Lecker Zu diesem einzigen Wort schrumpft und verödet die deutsche Sprache, wenn es ums Essen geht. Die meisten Deutschen gebrauchen kein anderes Wort, verwenden es für ausnahmslos alle positiven Geschmackseindrücke. Lecker ist würzig, knusprig, cremig, süß und herzhaft (Geschmackssache). Was für ein einfallsloses, unspezifisches, ungenaues, fades Wort! Eine Speise ist nicht einfach lecker. Zwischen lecker und nicht lecker aber scheint es nichts zu geben. Genießen heißt doch auch, das Geschmackserlebnis angemessen zum Ausdruck zu bringen.

Wer sprachlich nichts herausschmeckt, dessen Empfindungsfähigkeit muss ebenso versagen. Das Leckerwort ist binäres Stammeln. Wer es auf der Zunge trägt, behandelt die Sprache wie Fast Food. Und es besteht der Verdacht, dass es ihm egal ist, wie das Leckere schmeckt. Wie den deutschen Philosophen von G. F. W. Hegel bis Theodor W. Adorno, die dem Geschmackssinn im Vergleich zum Sehen und Hören einen niederen Rang einräumten und deshalb das Kulinarische gering schätzten. Wer den Bauch vom Geist trennt, dem genügt fürs Essen das Wort lecker.

S

Soße und Sauce sind nur im Duden gleichwertig. Tatsächlich sind sie nicht dasselbe. Monaco Franze brachte es in der Münchner Polizeikantine auf den Punkt: „Jeden Tag was anderes, bloß die Soß’ jeden Tag dieselbe.“ Wie kann das sein? So gern deutsche Kost in Soße schwimmt, so wenig wird diese geachtet. Soße aber macht sich umso rarer, je besser sie ist. Die Klage über den Mangel an Soße ist so alt wie die Klage über den Mangel an Soßenqualität. „Nur müsste man sich eine Köchin auf anständige Saucen dressieren“, klagte schon Konsulin Buddenbrook.

Der deutsche Küchenphilosoph Carl Friedrich von Rumohr brachte es im 19. Jahrhundert auf den Punkt: „Tunken oder Soßen haben mehr als einen Zweck. Zuerst sollen sie dem Festen das Flüssige zugesellen, oder die Speisen schlüpfriger machen, damit sie umso bequemer die Kehle hinabgehen. Dann dienen sie auch, den Geschmack einer feinen Speise zu verfeinern oder durch Gegensätze zu heben.“ Je nachdem, ob eher deutsche Soße oder französische Sauce, wird der Kompromiss zwischen Verfeinerung und Verflüssigung ausfallen. Die deutsche Soße betont leider die Schmierstofffunktion. Einer französischen Sauce käme das nicht in den Sinn. Sie versteht sich als Ausdruck kulinarischer Verfeinerung. Dagegen ist die deutsche Standardsoße leider meist ein fettig-salziges Trauerspiel.

V

Völlerei ist ursprünglich die Schwester des Mangels. Als Hungerperioden noch häufig waren in Deutschland, haute man rein, wenn es die Umstände erlaubten. Es herrschte nicht immer Hunger, aber immer Angst vor dem Hunger. Zum germanischen und keltischen Helden (Obelix) gehörte der Mordsappetit. Dann kam das Christentum mit seinen Fastenregeln, und die Völlerei galt als Laster, als eine der sieben Todsünden. Völlerei ist also der Wollust verwandt. Beide gehören zur dunklen Seite der Freiheit. Ohne sie bliebe Freiheit Theorie.

Wer der Völlerei verfällt, muss kein schlechter Mensch sein. Solange er keinen anderen schädigt. Zu unterscheiden ist also zwischen Völlerei und Verschwendung. Heute herrscht kein Mangel, aber Gier. Die banale Völlerei ist am All-inclusive-Büffet zu beobachten. Und immer noch nicht verschwunden ist die deutsche Eigenart, ein Gasthaus nach der Größe der Portionen zu beurteilen. In dieser Hinsicht ist Völlerei auch mit dem Geiz verwandt. Der ist hierzulande bekanntlich geil, vor allem an der Fleischtheke.

Z

Zucker macht dick und süchtig. Einerseits. Andererseits ist Zucker eine Metapher für soziale Utopien. „Wir wollen Straßen aus Zucker“, singt die linke Berliner Band Frittenbude. Ursprünglich ein Luxusgut, kam Zucker erst durch eine deutsche Erfindung auf jedermanns Tisch: Zucker aus Runkelrüben, 1801 entstand die erste Zuckerrübenfabrik. Inzwischen ist Zucker nicht nur ins Essen geraten, sondern auch ins Gewissen. Mit dem süßen Feind bekämpft der Deutsche seine Zügellosigkeit. Wir lassen uns ermahnen, bevormunden, am Ende bestrafen. Alles nur zu unserem Besten. Noch besser wäre die Kultivierung des Geschmacks (Lecker). Wer selbst kocht, süßt präziser und sorgfältiger. Für Genießer ist Zucker keine Frage der Moral, sondern der kulinarischen Vernunft.

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