Heiko Maas und der Algorithmen-TÜV

Medien Der Justizminister fordert, dass Algorithmen transparenter werden müssen. Ist sein Vorhaben wirklich so „irre“, wie viele kritisieren?
Ausgabe 27/2017
Transparenter Algorithmus. Installation des türkischen Künstlers Refik Anadol
Transparenter Algorithmus. Installation des türkischen Künstlers Refik Anadol

Foto: Chris McGrath/Getty Images

Vor einigen Tagen habe ich bei einem Online-Händler eine Spülmaschine bestellt. Seither bekomme ich auf den Webseiten, die ich anklicke, permanent Spülmaschinen angeboten, und zwar genau die Marke, die ich bestellt habe. Egal, ob ich die Seiten der taz oder des Bildblogs besuche: Überall grinsen mich Spülmaschinen an. Dabei ist klar, dass ich in den nächsten 15 Jahren keine neue kaufen werde.

So strohdoof, konservativ und penetrant sind Algorithmen. Sie schließen aus dem Verhalten eines Menschen (Er hat „Spülmaschine“ ins Suchfeld eingegeben!), was er als Nächstes tun wird, was er lesen, kaufen oder im Leben erreichen will. Algorithmen – also programmierte Problemlösungen – errechnen aus den Handlungen der Vergangenheit die Zukunft und präsentieren den Menschen dann auf sie persönlich zugeschnittene Angebote. Der auf mich angesetzte Algorithmus weiß: Dieser Mann will sein Leben lang Spülmaschinen kaufen.

Solche Beispiele haben Heiko Maas, den Justiz- und heimlichen Digitalminister der Bundesregierung, dazu bewogen, einmal grundsätzlich über die konservative Macht von Algorithmen nachzudenken: Bleibt nicht die Reformfähigkeit einer Gesellschaft auf der Strecke, wenn die Menschen nur noch wahrnehmen, was sie schon kennen? Wenn sie gefangen sind in Echokammern und Filterblasen, weil die auf sie zugeschnittenen Algorithmen abweichende Meinungen oder Überraschungen vorher ausfiltern. Wenn die Betroffenen nicht einmal wissen, nach welchen inhaltlichen Vorgaben diese Filter arbeiten. Wird man diese Menschen dann nicht auch, so Maas, „unter dem Mantel der technischen Neutralität und Objektivität“ politisch manipulieren? Kann ein Algorithmus, der Eigenschaften, Merkmale und Handlungen von Personen in Schubladen einordnet und auf dieser Basis Informationen bereitstellt, überhaupt neutral sein? Schleichen sich nicht die Vorurteile der Programmierer und die Absichten der Firmen, die diese Programmierer beauftragen, in den Computercode mit ein?

Der Verzerrungseffekt, den Algorithmen in sozialen Netzwerken, aber auch in der polizeilichen Ermittlungsarbeit oder bei der Beurteilung von Kunden erzeugen, ist vielfach belegt. Heiko Maas will das Problem deshalb an der Wurzel fassen, und das heißt, er will die Filter-Algorithmen endlich unter die Lupe nehmen. Maas schlug am Montag auf einer Veranstaltung seines Ministeriums vor, sie von einer Digital-Agentur, einer Art Stiftung Warentest oder einem Algorithmen-TÜV bewerten zu lassen. Anhand eines Gütesiegels, das auf Testergebnissen beruht, könnten sich die Verbraucher dann besser orientieren: Der Filter dieser Suchmaschine ist okay, der Filter dieses sozialen Netzwerks ist mit Vorsicht zu genießen, der Filter von XY diskriminiert Minderheiten.

Das Vorhaben von Maas mag derzeit als „komplett irre“ erscheinen. In Lobbykreisen wird bereits nach bewährtem Muster über den „Zensurminister“ hergezogen. Aber auch die Stiftung Warentest brauchte Jahre, um sich durchzusetzen. Und denjenigen, die jetzt unken, die Internetfirmen müssten ihre „teuersten Betriebsgeheimnisse“ offenlegen, sei gesagt: Man kann Algorithmen auch testen, ohne deren Programmcode zu kennen. Meine neue Spülmaschine wurde von der Stiftung Warentest ja auch geprüft, ohne dass die Tester die Konstruktionspläne hatten.

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