Ein bekannter deutscher Publizist äußerte einmal die Vermutung, dass sich die Schweizer „ungeschlechtlich durch Zellteilung vermehren“. Er spielte in seinem Artikel also darauf an, dass Erotik anscheinend manchmal nicht gerade das ist, woran man bei Schweizern und Schweizerinnen zuallererst denkt. Der Mann muss aufpassen! Laut Schweizerischem Strafgesetzbuch macht sich strafbar, wer öffentlich „eine Person oder eine Gruppe von Personen wegen ihrer Rasse, Ethnie oder Religion in einer gegen die Menschenwürde verstoßenden Weise herabsetzt oder diskriminiert oder aus einem dieser Gründe Völkermord oder andere Verbrechen gegen die Menschlichkeit leugnet, gröblich verharmlost oder zu rechtfertigen sucht“.
Wäre ich ein Anwalt dieses stolzen Volkes, würde ich sagen, dass es gegen die Menschenwürde verstößt, die Schweizer und Schweizerinnen als geschlechtslose, unerotische Wesen zu diffamieren. Ich würde Stunk machen. Ärger haben momentan aber andere. Der Schriftsteller und Dramatiker Raphael Urweider hat Strafanzeige gegen das Schweizer Fernsehen (SRF) erstattet. In einem satirischen Jahresrückblick war Birgit Steinegger mit schwarz angemaltem Gesicht aufgetreten, wieder einmal Blackfacing also. Dazu rollte ihre „Frau Mgubi“ die Augen und gluckste. Die Szene spielte auf das „Täschligate“ an: Die amerikanische Talkmasterin Oprah Winfrey wurde beim Einkauf in Zürich nach eigener Darstellung herablassend behandelt.
Zensur ist verboten
Es ist noch unklar, wie die Sache ausgeht, dem einen Artikel stehen andere gegenüber: „Die Freiheit der Kunst ist gewährleistet.“ Und: „Jede Person hat das Recht, ihre Meinung frei zu bilden, sie ungehindert zu äußern und zu verbreiten.“ Oder: „Zensur ist verboten.“ Nun gibt es eine Satire-Debatte – und zwei weitere ähnliche Anzeigen. Das Positive daran: Ich habe entdeckt, dass es in der Schweiz wirklich gute Satire gibt. Giacobbo, ein Schweizer mit italienischem Background und damit einer Ethnie entstammend, die eher unter philo-erotischen Vorurteilen leiden muss (oder auch nicht), kann einem Harald Schmidt das Wasser reichen. Der Sketch zum „Täschligate“ war gewiss einer der schwächsten in seiner Show, aber eigentlich zielte er auf die in der Schweiz verbreitete, zuweilen lächerlich wirkende Angst, sich nicht korrekt zu verhalten – und das nicht nur unter Handtaschenverkäuferinnen und nicht nur angesichts einer zweiten Oprah Winfrey im Laden. Die dämliche Vaudeville-Mgubi-Figur war nur Mittel zu diesem Zweck. Dieser Aspekt kommt in der Debatte etwas zu kurz.
Zwei Parteien stehen sich gegenüber. Die einen finden Zensur schlimmer als einen misslungenen Sketch. Die anderen finden, dass das Geschrei von der Zensur am Problem vorbeigeht: dem Rassismus. Die Stimme der Betroffenen fehlt wie immer in solchen Debatten (Dramatiker attackiert Satiriker, wird unterstützt von Genderforscherin, die wiederum vom Publizisten kritisiert wird), ausgefochten in einem Milieu, das sehr „weiß“ ist. Man weiß wenig, wie die Betroffenen denken, vermutlich gibt es unterschiedliche Ansichten. Allgemein gibt es ja zwei Haltungen: Die eine glaubt, dass der Rassismus verschwindet, wenn solche Sketche nicht mehr gemacht werden dürfen. Die andere hält ihn erst dann für überwunden, wenn jeder ungestraft über jeden Witze machen darf (aber vielleicht gar nicht will). Denke ich an den kleinen Scherz mit der Zellteilung, neige ich zur zweiten Haltung.
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