Umbau Pödelwitz im Südleipziger Kohleabbaugebiet hätte das sächsische Lützerath werden können. Nach seiner Rettung soll dort nun eine nachhaltige Dorfgemeinschaft entstehen. Michael Bartsch war zu Besuch in dem unkonventionellen Dorf
Die eine Kohle regierte hier über Jahrzehnte – dass das nun nicht für die andere Kohle gilt, fordert der Verein „Pödelwitz hat Zukunft“
Foto: Imago Images, Paul Langrock/Laif (links)
Man mag es gar nicht Landschaft nennen, was sich vor den riesigen Kühltürmen des Kohlekraftwerks Lippendorf südlich von Leipzig ausbreitet. Der riesige Krater des Tagebaus Vereinigtes Schleenhain beschwört die Verwüstungen des 20. Jahrhunderts in der Region nochmals herauf. Bis zum Jahr 2035 soll er das Kraftwerk noch mit Braunkohle beliefern. Dafür sollte auch das Dörfchen Pödelwitz weichen, in das von der Landstraße nur eine Sackstraße abzweigt.
Doch im Januar 2021 gaben das sächsische Wirtschaftsministerium und die Mitteldeutsche Braunkohle AG MIBRAG die Verschonung des Ortes bekannt. So hatten es die sächsischen Bündnisgrünen Ende 2019 im Koalitionsvertrag mit CDU und SPD durchgesetzt. Die Limitierung der Kohlefö
hleförderung im Kohlekompromiss des Bundes half dieser Entscheidung in einem konservativen Bundesland nach, das sonst sehr auf fossile Energie setzt. Seither möchte Pödelwitz nicht mehr als Opfer, sondern als Modelldorf von sich reden machen.Die MIBRAG kaufte fast alle HäuserStill und beschaulich ruht das einladend wirkende Dorf. 35 Bewohner haben ausgeharrt. Anfang der 1950er-Jahre zählte der Ort noch mehr als 350, als ihn sogar eine Bahnlinie berührte. Ab 2012 kapitulierten immer mehr Einwohner vor den Braunkohleplänen, dem nahenden Abraumbagger und den Umsiedlungsangeboten. Vier Fünftel der Pödelwitzer Häuser und Höfe kaufte die MIBRAG auf.Es war in den vergangenen Jahren nicht immer so ruhig wie heute. Pödelwitz hätte das sächsische Lützerath werden können. Es gehörte ja zum Bündnis „Alle Dörfer bleiben“ der Orte, die sich gegen ihre Zerstörung für das Auslaufmodell Kohlestrom wehrten. 2018 und 2019 fanden hier die großen bundesweiten Klimacamps mit vierstelligen Teilnehmerzahlen statt. Die Bürgerinitiative „Pro Pödelwitz“ verfasste schon 2020 ein Thesen- und Ideenpapier für eine alternative Dorfentwicklung.Vor zweieinhalb Jahren nun bekamen unkonventionelle Ideen plötzlich eine Chance. Kurz nach dem Stopp der Kohlebagger löste im Februar 2021 der Verein „Pödelwitz hat Zukunft“ die Bürgerinitiative ab und bündelte alle Bestrebungen, das Dorf auch von Kapitalinteressen und Klischees der Tourismuswirtschaft zu verschonen. Denn im angrenzenden Tagebau dürfte spätestens 2035 ebenfalls die Renaturierung und Flutung des Restloches einsetzen wie im Leipziger Neuseenland. Dann läge Pödelwitz auf einer Halbinsel. Die Begehrlichkeiten sind unschwer zu ahnen. Das „Kap“ im nur acht Kilometer entfernten Zwenkau mit seiner Ufersiedlung für Neureiche am Baggersee dient als abschreckendes Beispiel. Inwieweit der auch hier spürbare Wassermangel eine Flutung des Tagebaues hinauszögern wird, lässt sich noch nicht abschätzen.Die Gentrifizierung kommt in zwanzig Jahren„Man kann absehen, dass das in zwanzig Jahren Leipziger Entwicklungsgebiet ist und Gentrifizierungsprobleme bekommen wird“, prophezeit Stefan Schönfelder. Er war Landesgeschäftsführer der Grünen Liga Sachsen und ab 1999 bei der Stiftung Weiterdenken der Heinrich-Böll-Stiftung. Im Juni dieses Jahres reiste er für das sächsische Justizministerium zu einem Dorffest nach Pödelwitz. Das grün geführte Ministerium zeichnete das Dorf neben zwölf weiteren mit einer kleinen Förderung als „Ort der Demokratie“ aus. Immerhin 300.000 Euro und zwei auf drei Jahre befristete Stellen sind damit verbunden.Gibt es schon etwas zu feiern in Pödelwitz? Etwas mehr als im vorigen Sommer, glaubt man einigen Indizien. Vor Jahresfrist bestand das einzige sichtbare Hoffnungszeichen in der Verlegung von Glasfaserkabeln für moderne Telefon- und Internetanschlüsse. Nebenbei flickten die Arbeiter einige Straßenlöcher. Die Stadt Groitzsch, zu der das Dorf gehört, veranlasste diese Investition in die Zukunft.Aber an alternativen Zukunftskonzepten wurde wenig gearbeitet. Die Vision eines nachhaltigen Gemeinwohl-Modelldorfes hatte der Verein „Pödelwitz hat Zukunft“ erst im Juni 2022 auf der Basis früherer Ideen in einem Positionspapier aktualisiert. „Wir wollen inmitten der globalen Urbanisierung eine kleine Einheit bilden, die gesellschaftliche Transformation praktisch erprobt und sich mit anderen einzigartigen Orten verbindet, die zukunftsfähige Lebensstile erfinden“, heißt es darin.Man will sich möglichst eigenständig versorgen, viel gemeinsam tun und Gemeingüter bewirtschaften, ein Ort der kurzen Wege und Arbeitswege sein, in mehreren Generationen zu fairen Preisen wohnen, Menschen mit Einschränkungen inkludieren, generell im Einklang mit der Natur leben und ein Kulturzentrum einrichten. Also eine Insel intakten Lebensraumes schaffen, die die Schattenseiten der Wohlstandszivilisation vermeidet.Ein Dorf mit Handwerkern und Nahverkehr„Der Leerstand bietet die Chance für ein Leuchtturmprojekt“, sagt Jens Hausner. Der 56-jährige Landwirt avancierte in den Jahren des Widerstandes gegen die Verkohlung zum Sprecher der Bürgerinitiative, ja zum Helden von Pödelwitz. Er sieht sein Dorf auch als Alternative zu „dreißig Jahren verkehrter Entwicklung in ländlichen Räumen Sachsens“. Hausner stellt sich ein autarkes, lebendiges Dorf mit eigener Grundversorgung unabhängig von entfernten Supermärkten vor, mit Handwerkern, Gemeinschaftsbüros, mit einem flexiblen öffentlichen Nahverkehr, etwa mit einem Dorfauto.Beim Dorffest im Juni ist Hausner selbstverständlich dabei. Das einem Rundling ähnelnde Dorf hat im Zentrum ein flaches schmuckloses Gemeindehaus. Daneben ist ein Zelt errichtet worden mit einer kleinen Bühne. Etwas aufgeräumter als im Vorjahr wirkt der untersetzte, kräftige Mann. „Unser Lebensmodell ist halt von der Politik nicht gewollt“, schien er damals zu resignieren. Im November 2021 hatten er und Vereinsfreunde ihre Pläne dem Stadtrat von Groitzsch vorgestellt. Unter ihnen Klimaaktivisten und Studierende aus Leipzig, Christen und Wissenschaftlerinnen wie Nora Mittelstädt vom Leipziger Umweltforschungszentrum. Auch sie schwärmte damals vom „Gestaltungspotenzial eines leeren Dorfes“. Sehr konkret wurde der Handwerker Thilo Kraneis, selbst Vater eines Kindes mit Behinderung, der eine betreute Wohneinrichtung für Behinderte mit 25 Sozialarbeitsplätzen aufbauen und dafür 12 Grundstücke von der MIBRAG kaufen wollte. Nicht offen ablehnend, aber spürbar skeptisch hörten sich Stadtrat und Bürgermeister die wohlklingenden Ideen der Idealisten an. Man verwies auf die Schlüsselfunktion der MIBRAG. Von der wollten der Verein und eine Stiftung im vorigen Oktober einen Straßenzug im Ortskern zurückkaufen, berichtet Nora Mittelstädt. Aber der Konzern lehnte ab. Die Diskussion um Raumordnungs- und Nachnutzungsfragen sei erst angelaufen, begründet Sprecher Sebastian Exner diese Verweigerung. Man sei aber im Gespräch mit dem Verein und dem Bürgermeister.Bis die Grundstückspreise steigen„Die Gebäude sollen verfallen“, setzt Nora Mittelstädt dagegen. Beim Dorffest zeigt sie auf das, was sich in Pödelwitz sichtbar verändert. „Die Flecken werden größer, die Dachziegel weniger.“ Kürzlich sei eine Scheune zusammengebrochen. Mancher im Verein glaubt, dass die MIBRAG und die Kommune auf Zeit spielen, bis die Grundstückspreise steigen.Aber die Umweltforscherin berichtet auch Erfreuliches im Sinn einer unkonventionellen Dorfentwicklung. Der Verein hat das zuvor kaum noch genutzte Bürgerhaus angemietet, die daran anschließende Garage renoviert und darin einen „Gib- und Nimm-Laden“ eingerichtet, also eine Teile- und Tauschbörse, die von einer älteren Bewohnerin betreut wird. Im Bürgerhaus finden Kurse statt. Unweit dreht sich ein Mini-Windrad mit 400 Watt Leistung, ein bescheidener Anfang.„Wir würden das Dorf sofort beleben wollen“, drängt Nora Mittelstädt. Etwa hundert Interessenten wollen angeblich nach Pödelwitz umziehen, ein Teil von ihnen aus dem nur etwa 20 Kilometer entfernten Leipzig. Eine Handvoll Scouts hat das schon zu Widerstandszeiten gegen die Abbaggerung mit Duldung der Kirche im Alten Pfarrgarten getan. „Aufstand am Abgrund“ nannten sie sich. Die Jurte dominiert auf den ersten Blick, davor eine Sitzrunde, ein Baumhaus, im Hintergrund der Vorratsschuppen und die improvisierte Küche. Zubereitet wird, was der Garten hergibt. Auf einer Infotafel am Tor werden Lehrgänge angeboten, unter anderem über die Anlage eines Kräutergartens. Die erst in den 1990er-Jahren äußerlich ertüchtigte Kirche soll übrigens auch im Inneren saniert werden, weiß Jens Hausner, die Orgel von 1770 eingeschlossen.Wo bleibt SPD-Wirtschaftsminister Martin Dulig?Kann man hinter diesen Ideenvorlauf noch zurück? Ganz fruchtlos blieb die Präsentation im Stadtrat vom November 2021 nicht. Ein integriertes Stadtentwicklungskonzept für Groitzsch wurde inzwischen beschlossen, sagt aber wenig zu Pödelwitz. Für wichtiger hält Sprecherin Lioba Adam vom Verein „Pödelwitz hat Zukunft“ das Beteiligungsverfahren zur Wiederbesiedelung des dörflichen Ortsteiles, das gerade begann. Wann das Dorfentwicklungskonzept vorliegen wird, ist noch nicht abzusehen. Andererseits erwartet der parteilose Bürgermeister Maik Kunze, der auch zum Dorffest gekommen war, dass Pödelwitz wieder „ein ganz normales Dorf werden wird wie andere Ortsteile auch“.Bedeckt hält sich Thomas Hellriegel, Geschäftsführer einer 2022 gegründeten und von sieben Gemeinden getragenen Strukturentwicklungsgesellschaft der Region. „Sicherlich soll Pödelwitz kein zweites Zwenkau werden“, stimmt er zumindest in diesem Punkt mit dem Verein überein.Mehr als ein Vermittlungsangebot bei diesem „schwierigen Thema“ ist auch ihm nicht zu entlocken. Wohl aber eine auch vom Bürgermeister unterstützte Forderung an den Freistaat Sachsen. Die Entscheidung zur Verschonung des Dorfes sei „viel zu spät“ gefallen, nun habe das Land eine Verantwortung übernommen, die es aber nicht wahrnehme. Wirtschaftsminister Martin Dulig (SPD) lasse sich nicht blicken. Ob ein finanzielles oder ideelles Engagement des Freistaates nun ausgerechnet zugunsten einer solchen kapitalismusfernen Dorfgemeinschaft erwartet werden kann, muss indessen bezweifelt werden.Placeholder infobox-1
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