Neuheiden im rechten Sumpf

Rechtsradikalismus Unter den polnischen Neopaganisten sind nicht wenige Rechtsextreme, die das "Ariertum" slawisch umdefinieren. Mit der katholischen Rechten verstehen sie sich nur bedingt

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Neuheidnische Gruppen, welche die vorchristliche Religion der Slawen zu revitalisieren versuchen, existieren in Polen bereits seit über 90 Jahren, sowohl innerhalb, als auch außerhalb der extremen Rechten. Ähnlich wie in Westeuropa, griffen auch in den slawischsprachigen Ländern einige neuheidnische Gruppen auf die seit dem 19. Jahrhundert in Europa aufgekommen Rassentheorien zurück. Anders als in neuheidnischen Diskursen benachbarter slawischer Länder spielte der Rekurs auf die vermeintliche Abstammung von der „arischen Rasse“ in Polen jedoch lange keine bedeutende Rolle.

In den 1930er Jahren proklamierte zwar die neuheidnische Zeitschrift „Demiurg“ den Aufbau einer „3. arisch-europäischen Zivilisation“ zum Schutz der Slawen vor der „romano-germanischen“ und „pan-asiatischen“ Bedrohung, stieß dabei aber kaum auf Resonanz. Das erfolglose Projekt wurde bereits nach drei Ausgaben eingestellt.

Wesentlich erfolgreicher wirkten in der 2. Hälfte der 1930er Jahre die Vertreter der Zadruga-Ideologie. Deren Schöpfer Jan Stachniuk (1905-1963) betrachtete den Katholizismus als einen aufgezwungenen kulturellen Fremdkörper und Hauptursache für den politischen Niedergang und ökonomischen Rückstand Polens. Er und seine Anhänger forderten die Rückkehr zu einer Kultur des heroischen Kriegertums, wie sie im frühgeschichtlichen Europas existiert habe. Als Vorbilder galtengegenwärtigen ihm und seinen Anhängern die Figuren der homerischen Epen. An Rassentheorien waren die frühen Verfechter der Zadruga-Ideologie noch nicht interessiert. Einige von ihnen, darunter Stachniuk, kämpften im 2. Weltkrieg gegen die deutschen Besatzer.

Arisches Blut und slawischer Glaube

Die meisten gegenwärtig aktiven neuheidnischen Gruppen in Polen, die sich für die Revitalisierung der vorchristlichen slawischen Religion einsetzen, sind stark von der Zadruga-Ideologie der 30er Jahre beeinflußt, obwohl diese keine religiösen, sondern politische Ziele verfolgte und nicht für die Wiederbelebung der alten slawischen Religion eintrat, sondern einem kulturellen Antikatholizismus huldigte. Gegenwärtige politische Forderungen jener "zadrugisch" ausgerichteten neuheidnischen Gruppen sind die Errichtung eines zentralistisch organisierten Staatswesens, eine staatlich gelenkte Wirtschaftsordnung und die Abkehr von EU und NATO. Anders als in der Vorkriegszeit, nehmen Rassentheorien im gegenwärtigen polnischen Neuheidentum einen bedeutenden Platz ein.

Die älteste bis heute aktive neuheidnische Gruppe in Polen, die dem Paradigma von der "weißen arischen Rasse" folgt und sich zugleich an der Zadruga-Ideologie orientiert, ist die seit den 1990er Jahren aktive Gemeinschaft „Rodzima Wiara“ ( „indigener Glaube“). Ihr Ziel ist es, die Einheit der slawischen wie auch nichtslawischen „indoarischen Völker Europas“ wiederherzustellen. Eckpfeiler des „indigenen Bewusstseins“ jener Gruppe ist die „Reinheit des polnischen Blutes“ und die Vision einer Jahrtausende alten, ethnisch homogenen arischen Nation, wie sie vor tausenden Jahren existiert habe, bevor infolge unterschiedlicher sprachlicher Entwicklungen und „fremder“ kultureller Einflüsse diese Einheit verloren gegangen sei.

Dieses Konzept ermöglicht es Stanisław Potrzebowski, dem Gründer von Rodzima Wiara, seinen Anhängern als Ausgleich für das Fehlen einer slawischen heiligen Schrift den hinduistischen „Rigveda“ als ältestes Dokument seiner „indoarischen Religion“ zur Lektüre zu empfehlen. Ein anderer Veteran dieser Gruppe, Zdzisław Słowiński, sieht die mutmaßlich 10.000 Jahre alte „arische Bauernkultur“ durch die „Nomadenkulturen“ der Türken und Semiten, durch Judentum, Christentum, Islam und Kapitalismus bedroht. Anders als Potrzebowski akzeptiert er die Germanen nicht als „Arier“ und wirft den Deutschen vor, den Arier-Begriff von den Slawen gestohlen und zur Zeit des 3. Reiches missbraucht zu haben.

Ideologisch und personell eng mit Potrzebowskis Organisation verbunden ist die „Stowarzyszenie na rzecz Tradycji i Kultury »Niklot«“ ( „Vereinigung für Tradition und Kultur »Niklot«“), die für politische Aktionen auch mit Gruppen des katholisch-nationalistischen Spektrums wie dem „Ruch Narodowy“ kooperiert. Die Gruppe kombiniert in ihrer Programmatik die Zadruga-Ideologie mit den Lehren der französischen Nouvelle Droite und des faschistischen Theoretikers Julius Evola.

Auftrieb nach der Wende

Seit der politischen Wende 1990 können sich neuheidnische Gruppen in Polen ungehindert entfalten. In einer Vielzahl von Vereinigungen engagieren sich mittlerweile tausende Polen für den „rodzimowierstwo“ („indigener Glaube“). Neben „Rodzima Wiara“ greifen auch viele andere Gruppen bei der Konstruktion ihrer Glaubensvorstellungen auf rassistische und ethno-nationalistische Konzepte des 19. und 20. Jahrhunderts zurück. So orientiert sich der „Zakon Zadrugi »Połnocny Wilk«“ ( „Zadruga-Orden »Nördlicher Wolf«“) an den Rassentheorien von Houston Stuart Chamberlain und Georges Curvier, dem NS-Ideologen Alfred Rosenberg und an David Lane, dem Schöpfer der „14 Words“. Die Gruppe befürwortet Rassentrennung und eugenische Maßnahmen zum „Schutz der weißen Rasse“. Eine andere Gruppe, der „Zakon Strażników Sławii »Wilczy Krąg«“ ( „Orden der Wächter der Slawen »Wolfskreis«“) will den „judäischen Hundegeist“ bekämpfen“, um den Glauben der „Ario-Slawen“ neu zu beleben.

Auch polnische Pagan Metal Bands wie „Saltus“ und „Barbarous Pomerania“ schwärmen in ihren Liedern von heldenhaften, weißen Ariern. Die international bekannte Metal-Band „Graveland“ attackiert in ihren Statements Juden, Homosexuelle und Muslime; deren einziges Mitglied Rob Darken sympathisiert mit „Rodzima Wiara“ und verbreitet die fragwürdigen Thesen des amerikanischen Verschwörungstheoretikers Alex Jones, welcher der religiösen Rechten in den USA nahesteht. Dessen Argumentationslinie folgend, betrachtet Darken die Bilder-Konferenzen als geheime Weltregierung, die danach trachtet die Menschheit zu versklaven.

Europäische Verbindungen

Viele Anhänger der neuheidnisch-slawischen Glaubensvorstellungen in Polen fühlen sich mit religiösen Gleichgesinnten aus anderen slawischen Ländern eng verbunden. Auch mit den sonst in Polen wenig beliebten Russen teilt man gerne die "slawische Identität". Engere Beziehungen zu rechtsradikalen neuheidnischen Gruppen im den deutschsprachigen Raum existieren indes nicht, und ob diese sich entwickeln, dürfte davon abhängen, inwieweit sich beide Seiten als „rassisch“ gleichwertig anerkennen. Zumindest ein Teil der neuheidnischen Aktivisten in Polen und anderen slawischen Ländern ist bereit, sowohl den Antislawismus der Deutschen, als auch den Vernichtungskrieg des NS-Regimes als eine Art Missverständnis und tragischen Bruderzwist einzuordnen.

Die politischen und religiösen Positionen der hier genannten wie auch weiterer Gruppen und Akteure im neuheidnischen Spektrum haben in der polnischen Öffentlichkeit immer wieder für Aufsehen und negative Presse gesorgt. Ihre Vertreter treten durch das Abhalten öffentlicher Rituale, Demonstration sowie eine Vielzahl von Fanzines und Webseiten an die Öffentlichkeit. Trotz wachsender Bedeutung ist der gesellschaftliche Einfluss dieser Gruppen noch gering. Auch im rechten politischen Spektrum Polens stoßen sie aufgrund ihrer antikatholischen Positionen häufig auf Misstrauen, dennoch arbeiten heute die oben erwähnte Gruppe „Niklot“ und der katholische „Ruch Narodowy“ zusammen und gehen gemeinsam für ihre politischen Forderungen auf die Straße, obwohl letzerer sich offiziell von "heidnischen" und neonazistischen Gruppen distanziert. Es scheint, dass die gegenseitige Abneigung von nationalistischen neuheidnischen und katholischen Gruppen zu schwinden beginnt. Die Feindbilder - Homosexualität, Judentum, Kommunismus, Liberalismus, Globalisierung - sind ja auch weitgehend identisch.

Der Begriff "Zadruga" war ein wissenschaftlicher Neologismus und diente der Beschreibung einer südslawischen Form der tribalen Ökonomie. Ob und bei welchen slawischen Gentil-Gesellschaften dieses ökonomische System tatsächlich existierte, ist bis heute ungeklärt. Stachniuk vermutete in dem Begriff ein altes slawisches Wort, das eine "indigene" Form slawische Ökonomie beschreibe und machte es zum Kernbegriff seiner Ideologie.


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Geschrieben von

Philipp Schaab

Studierte Religionswissenschaft, Geschichte und etwas Geographie in Heidelberg und Krakau. Schreibt über Religionen, Geschichte u. a. schöne Dinge.

Philipp Schaab

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