Viel Spott ergießt sich derzeit über Mathias Döpfner. Dabei wird übersehen, wie sehr der Vorstandsvorsitzende und Miteigentümer des Axel-Springer-Konzerns – ähnlich seinem großen Vorbild Axel Cäsar – an Deutschland leidet. Döpfners Entsetzen grenzt an Verzweiflung. „Das Land“, sagt er, „hat jeden Kompass verloren.“ Der „endgültige Niedergang“ stehe bevor. Er sehe „ein ständiges downgrading“. Denn keiner habe mehr „das Zeug, Deutschland geistig und manageriell überzeugend zu führen“. Politiker und Wirtschaftsführer würden „unsere offene Gesellschaft für immer zerstören“. „Das absolute Scheitern der Eliten“ sei
„ein Endpunkt“, ja „das Ende der Marktwirtschaft.“ Und „der Anfang von 33“.So redet nur jemand, der das eigene Land aufgegeben hat. Der an Emigration und Auswandern denkt. Am besten ins Land der unbegrenzten Möglichkeiten, in die Vereinigten Staaten. Es ist frappierend, wie authentisch (und selbstbezogen) sich die aktuelle Konzernstrategie in Döpfners „privaten“ Mails und Chatsprüchen spiegelt. Döpfner will den Konzern, den er längst als „transatlantisches Medienunternehmen“ begreift, in den kommenden Jahren ganz in die USA „hinüberretten“, ins Land der freien Marktwirtschaft. Dafür hat er – zu Mondpreisen – die US-Medien Business Insider und Politico erworben. Er will, was Reichweite betrifft, die Nummer eins im US-amerikanischen News-Business werden.Doch sein ständiges Leiden an Deutschland trübt ihm offenbar die Sinne. Während Mathias Döpfner davon schwärmt, dass Springer schon jetzt der viertgrößte Verlag in den USA sei, liegen seine Zukäufe im jüngsten Reichweiten-Ranking der Nachrichten-Webseiten (März 2023) gerade mal auf den Plätzen 21 (Business Insider) und 30 (Politico). Die Seite der New York Times wird zehn Mal so häufig aufgerufen wie Politico.Döpfner glaubt, mit dem Geld der US-Beteiligungsgesellschaft KKR, die fast 50 Prozent der Springer-Anteile hält, könne er die US-Medien auf ihrem eigenen Terrain herausfordern, doch viel eher wird das Gegenteil eintreten: KKR könnte Springer auspressen wie eine Zitrone, und die alteingesessenen News-Platzhirsche wie die New York Times Company oder das zu Rupert Murdochs Imperium zählende Wall Street Journal werden sich kaum von ihrem Weidegrund verdrängen lassen. Auch Gruner & Jahrs US-Abenteuer in den 1990er Jahren endete kläglich.Zwar kann Döpfner seit dem Einstieg von KKR bei Springer bereits das zweite Mal hintereinander zweistellige Umsatz-Zuwachsraten verkünden, aber wie viel von diesem sensationellen Wachstum ist auf den zum Teil schuldenfinanzierten Kauf der beiden US-Medien zurückzuführen? Seit Springers Rückzug von der Börse sind transparente Geschäftszahlen Mangelware.Springer wächst vor allem im Segment der „Classifieds Media“. Das sind die lukrativen Rubriken- und Stellenanzeigen für Jobs, Immobilien und Autos. So steuert das Stellenportal Stepstone bereits ein Viertel zum Gesamtumsatz bei und soll demnächst, nach dem Willen von KKR, an die Börse. Der Anteil der klassischen Medien dagegen stagniert oder geht zurück: Bei Bild und Welt muss gespart werden, die groß angekündigten Fernsehformate kommen wegen der öffentlich-rechtlichen Konkurrenz, aber auch wegen der eigenen Unprofessionalität nicht aus dem Quark.Die Flucht nach Amerika erscheint da auf den ersten Blick wie ein heilbringender Ausweg. Doch Döpfners Ausweichstrategie ist hochriskant. „America First“ können US-Amerikaner immer noch am besten. Ehrgeizige Eindringlinge aus Europa müssen schon sehr blauäugig oder politisch verwirrt sein, um das nicht zu begreifen. Bleibt als einzige Chance: Amerikaner werden!Wolfgang Michal