Der letzte Sieg der SPD?

Landtagswahlen Hamburg In einem Monat, am 23. Februar 2020 wird in Hamburg die Bürgerschaft neugewählt. Die SPD hat gute Chancen, die Wahlen gleichzeitig zu gewinnen und zu verlieren.

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Der Spiegel sieht, laut einer am 21. Januar veröffentlichten Umfrage (Civey), die SPD nach der Wahl am 23. Februar mit 4,5 Prozent Vorsprung vor den Grünen. Die Schwankungsbreite bis zu 3,4 Prozent bedeutet, dass die SPD in jedem Fall Platz 1 in Hamburg mit 30,2 Prozent behält.

Infratest dimap hatte in der zweiten Dezemberhälfte eine Umfrage veröffentlicht, die auf repräsentativer Zufallsauswahl bei 1004 telefonisch Befragten aus der wahlberechtigten Bevölkerung in Hamburg im Zeitraum vom 11. - 16. Dezember basierte und eine Schwankungsbreite für die SPD und Grüne zwischen 2,7 und 2,8 Prozent aufwies.

Damals hatten wir die Aussage, dass die SPD zwischen 25,2 und 30,8 Prozent und die Grünen zwischen 23,3 und 28,7 Prozent der Stimmen bei der nächsten Bürgerschaftswahl erhalten könnten.

Wichtig sind natürlich auch die Zufriedensheitswerte für die Spitzenkandidat:innen.So erhält der Bürgermeister Peter Tschentscher sowohl den höchsten Zufriedenheitswert, wie auch den geringsten Unzufriedenheitswert + 56/- 25. Die Gegenkandidatin von den Grünen kommt dagegen sowohl auf den zweithöchsten Zustimmungs- wie auch Negativwert + 39/ - 34. Einen höheren Negativwert hat nur noch Dirk Nockemann von der AfD mit - 42. Interessant ist auch das Ergebnis der Linken-Spitzenfrau Cansu Özdemir, die mit + 35/ - 27 einen erstaunlichen Wert bescheinigt bekommt. Auch Marcus Weinberg darf sich freuen + 22/- 30 und Anna von Treunfels-Frowein von der FDP schneidet mit + 13/- 27 erwartungsgemäß oder besser ab. Man darf allerdings mit einigem Recht bestreiten, dass wirklich viele Befragte über die Spitzen der Parteien Bescheid wussten. Am Ehesten dürfte das bei Tschentscher und Katharina Fegebank (Grüne) der Fall gewesen sein.

Interessant ist der Vergleich des Amtsinhaberwertes mit dem seines Vorgängers Olaf Scholz, der bei seinem Abtritt noch eine Zustimmung von knapp 70 Prozent vorweisen konnte, während Tschentscher mit 54 Prozent schwach startete und bislang nur zwei Punkte gutmachen konnte. Allerdings liegt er damit immerhin zwei Punkte über Armin Laschet und glatte 20 Punkte vor Parteikollegen Michael Müller aus Berlin und sogar einen Punkt vor Markus Söder, CSU.

Grüne und SPD kämen also auf bequeme 54 Prozent und R2G, also rotrotgrün auf 65 Prozent, während CDU und FDP gerade 28 Prozent hätten. Die AfD käme auf 7 und die Sonstigen auf 5 Prozent. Nun darf man so allerdings nicht kombinieren, weil wir hier in Hamburg sind und die Aufschrift auf dem Partei-Produkt SPD leicht irreführend wirkt. Die CDU-HH kommt auf keinen grünen Zweig, weil dort die SPD hockt, wo eigentlich der Stammplatz der politischen Farbe schwarz ist. Daher muss man in Hamburg eventuell am Morgen des 24. Februars die Stimmen von SPD, CDU und FDP zusammenzählen und sähe sich einer Deutschlandkoalition gegenüber.

CSU des Nordens

Das passte zur SPD, die nicht nur eine andere Politik als im Bund macht, sondern sie auch zelebriert. Die SPD hat einen Hauptsatz in der Ausrichtung ihrer Politik und der lautet: gut ist, was der Wirtschaft nutzt. Etwas genauer betrachtet lautet der Satz: gut ist, von dem die Wirtschaft meint, dass es ihr nützt und die ermessenslenkende Weisung die Olaf Scholz hierzu hinterlassen hat: Volle Kooperation mit der organisierten Interessenvertretung der Wirtschaft! Der zweite Hauptsatz lautet: Sozialpolitik mit der Gießkanne. Vorteile die den ärmeren Teilen der Gesellschaft zugute kommen, sollen auch allen anderen nützen. Zugespitzt und gewiss übertrieben könnte man sagen, dass die SPD erfolgreich dafür gesorgt hat, dass Arbeiter das Studium ihres späteren Chefs durch ihre Steuern maßgeblich mitfinanzieren.

Aber nicht nur die Möglichkeit eines kostenlosen Studiums, sondern auch die fünfstündige Grundbetreuung in Kita und Kindertagespflege ist von der Geburt bis zur Einschulung für arme und reiche Eltern gleichermaßen beitragsfrei. Von links ist daran bislang keine Kritik vernommen worden. Man könnte wohl sagen, dass sich Sozialpolitik für alle größter Beliebtheit erfreut und deswegen bei den Armen und auf Sozialpolitik Angewiesene wenig ankommt. Die Idee der Gleichheit realisiert sich ausgerechnet dort, wo die Ungleichheit es geböte zu differenzieren. Der Vorteil der Angelegenheit: die Ausgaben für „Soziales“ sind wahnsinnig hoch und gelten somit als Ausweis für eine soziale Politik, sind aber tatsächlich Teil der Strategie „Leistungsträger“ - aktuelle und künftige - zu befrieden, wobei der Ausweis für Leistungsträgerschaft ebenfalls über die Kostenseite erfolgt. Das alles erinnert fatal an die Politiken für das Klima, die sich über eine örtliche CO2-Reduktion ausweisen und sich ansonsten für die globalen Folgen ihrer Politik nicht interessieren (vergl.: https://www.freitag.de/autoren/aram-ockert/umwelt-oder-klimapolitik). Komplexreduktion durch Kennzahlen, bzw. die Auflösung des Prozesses in eine Zahl.

Das alles wäre ja auch nicht so schlimm, wenn über die Steuern bei den „Leistungsträgern“ entsprechende Steuern abgefordert würden und sie entsprechend ihrer Leistungsfähigkeit an der Finanzierung teilnehmen würden. Der Spitzensteuersatz ist aber (Schröder/Fischer bzw. Rotgrün) von 1999 bis 2005 von 53 Prozent auf 42 gefallen. Erst 2007 wurde die - mehr symbolische - Reichensteuer (Union/SPD) eingeführt. Diese ist bei gemeinsamer Veranlagung ab einem steuerpflichtigen Einkommen von ca. 530 TEUR p.a. zu entrichten und erhöht den Steuersatz auf 45 Prozent. Dafür wird seit 1997 keine Steuer mehr auf Vermögen erhoben, wiewohl verfassungsgemäß. 1995 hatte das BVerfG lediglich moniert, dass unterschiedliche Belastung von Vermögen, differenziert nach Immobilien und sonstigen Vermögenswerten, nicht statthaft seien. Erbschaftssteuer bei Betriebsübergängen fällt seit 2008 defacto (Options- und Regelverschonung) nicht mehr an.

Während es also den wohlhabenden Bundesbürgern immer besser geht, so man die finanziellen Belastungen für das Gemeinwesen zugrunde legt, geht es den ärmeren Bundesbürgern tendenziell eher schlechter und vor allen Dingen werden sie seit 2005 mit Hartz IV bedroht. Die hohe Übereinstimmung der Hamburgischen SPD mit dieser Politik wurde traditionell durch die Person Olaf Scholz symbolisiert.

Scholz verdankt die SPD die Rückkehr in das Senatsgehege des Hamburger Rathauses, aus dem diese von 2001 bis 2010 ausgesperrt war. Ausgezehrt durch ein Mangel an Möglichkeiten des Zugriffs auf Stellen der Verwaltung und öffentlicher Unternehmen und heillos zerstritten, gelang es Scholz, den Haufen zu einen und wieder zur Partei zu formen, die mit ihm an der Spitze davon profitieren konnte, dass die CDU sich über HSH-Nordbank-Desaster, Elbphilharmonie-Chaos und ungeschickten Wechsel an der Spitze von Ole v. Beust auf Christoph Ahlhaus selbst aus dem Rennen genommen hatten. Genauso, wie der vorherige Koalitionspartner der CDU, die Grünen. Diese hatten zwar Ahlhaus mitgewählt, dann aber doch die Koalition aufgekündigt, offiziell weil die CDU unter Ahlhaus die Stadtbahnplanungen nicht mehr weiter betreiben wollte. Tatsächlich aber wollte man wohl nicht gemeinsam mit der CDU unter die Räder kommen, deren Zustimmungswerte kontinuierlich sanken.

Die CDU bzw. die vorherige Koalition hatte so sehr abgewirtschaftet, dass Scholzens SPD die absolute Mehrheit gelang. Die SPD musste erst 2015 mit dem „Anbau“, also den Grünen regieren, die aber klaglos alle wesentlichen Prämissen der Regierungstätigkeit der SPD akzeptierten. Nur die Umweltbehörde scherte häufiger mal aus und bot in Person des Umweltsenators Jens Kerstan der SPD die Stirn.

Die Grünen

Das reichte, um als eigenständiger, politischer Faktor wahrgenommen zu werden. Da das Thema Umwelt, durch die Klimaschutzdebatte und deren zunehmende Relevanz eine Sonderkonjunktur bekam, profitierten auch die Grünen in Hamburg, die in ihrer übergroßen Mehrheit auf konflikscheues Kuschelmanagement mit der SPD gesetzt hatten. Das wurde auch noch einmal bei der Listenaufstellung für diese Bürgerschaftswahl deutlich. Politische Vernunft dergrünen Parteielite hätte es geboten, Jens Kerstan zum Spitzenkandidaten zu machen. Das ging nicht, weil Katharina Fegebank als Frau bereits gesetzt war. Daher hätte Jens Kerstan auf Platz zwei kandidieren und beide hätten eine Doppelspitze bilden müssen. Das war aber nicht gewollt, weil man den Anspruch auf Platz 1 im Hamburgischen Wettkampf der Parteien durch eine Bürgermeisterkandidatin symbolisch aufladen wollte und außerdem wollte man auch Kerstan nicht auf Platz zwei, sondern erst auf vier sehen. Platz zwei sollte also der Fraktionsvorsitzende Anjes Tjarks erhalten, der in der Vergangenheit vor allem durch Konfliktvermeidung mit der SPD aufgefallen war. Zugleich ist er wahrscheinlich neben Kerstan der strategisch versierteste Grünenpolitiker, aber eben nicht, wenn er zwischen eigenem und Vorteil der Partei abzuwägen hat.Am Ende hat es die Basis gerichtet, indem sie Kerstan das beste Ergebnis bescherte und damit ihre Priorität klarmachte und damit Spekulationen über die Wertigkeit der Umweltpolitik gewissermaßen proaktiv den Boden entzog. Glück gehabt, statt richtig geplant.

Auf Platz 1 ist bei den Grünen erstmalig eine Kandidatin für das Amt der Ersten Bürgermeisterin. Die junge Mutter von Zwillingen ist eine ausgesprochene Sympathieträgerin. Sie hat eine herzliche Art und kommt freundlich und zugewandt rüber. Als Wissenschaftssenatorin kommt ihr zugute, dass die Universität in Hamburg seit 2010 mit Dieter Lenzen über einen ausgezeichneten Präsidenten verfügt. Unter dem Motto „A Flagship University: Innovating and Cooperating for a Sustainable Future“, gelang es der Uni - passend zum 100 jährigen Bestehen - vor einem halben Jahr Exzellenzuniversität zu werden. Was Fegebank allerdings weitgehend fehlt, ist ein Gespür für politische Zeichensetzung und strategische Ausblicke. Über die verfügt ihr einziger Konkurrent zwar noch weniger, aber es gibt auch keine großen Erwartungen an die SPD in Hamburg, außer der, geräuschlos zu regieren und so weiter zu machen wie bislang.

An die Grünen werden höhere Ansprüche gestellt. Von ihnen erwartet man Antworten außerhalb des Gewohnten und vor allen Dingen Vorschläge zur Bewältigung des größten Menschheitsproblems, der seit der Industrialisierung kontinuierlichen Steigerung der durchschnittlichen Temperatur auf der Erde. Dafür fehlt es aber bei den Grünen an ausreichend Bewusstsein, was auch nicht verwunderlich ist, wenn man zwei Dinge bedenkt.

1. Der Irrtum, dass Umwelt gleich Klimapolitik (vergl: https://www.freitag.de/autoren/aram-ockert/umwelt-oder-klimapolitik) ist und 2. die Idee der Grünen von sich selbst, dass Thema per se zu verkörpern.Letztendlich kommt ein 3. dazu, nämlich dass die meisten Menschen das genauso oder zumindest ähnlich sehen. Das ist eine hohe Last, denn wer sich hinter der Ziellinie sieht, der sieht nicht recht ein, warum er sich noch besonders anstrengen sollte

Gallisches Dorf

Die SPD hat es da deutlich leichter. Als Partei, die sich im offensichtlichen Siechtum befindet, gibt es kaum Erwartungen, die die Partei enttäuschen könnte. Dabei übersieht man dann allerdings die spezifisch Hamburgische Seite der Angelegenheit. Zwar ist die SPD in Hamburg Teil der Bundespartei, verfügt aber über das ungebrochene Bewusstsein einer Art Elite-Landesverband, der alles das richtig macht, was die im Bund nicht können. Nachdem die Partei der Idee, „von Hamburg lernen, heißt Siegen lernen“ nicht folgen mochte und der Person Scholz als Spitzenmann einer sich erneuernden SPD die Gefolgschaft verweigerte, indem sie lieber Menschen auf den Schild hob, die auch im erweiterten Landesvorstand der saarländischen SPD nicht als schillernd aufgefallen wären, hat sich die Trutzburgmentalität weiter verfestigt.

Die SPD in Hamburg tut dabei so, als wäre nicht Teil einer Bundespartei, sondern originäre Trägerin der Landesfarben und des Wappens von Hamburg und bringt diese Beschränkung mit: „die ganze Stadt im Blick“ auf den Punkt.

Während Hanseaten ja traditionell mit der Heimat in Herzen die Welt als Aktionsraum verstehen, ist es bei der SPD momentan eher so, dass sie den Blick über die Landesgrenzen hinaus eher meidet und sich auf Hamburg konzentriert. Das ist bei Landtagswahlen so ungewöhnlich nicht, aber bei der SPD kommt noch schiere Panik dazu, wenn sie daran denkt, dass Saskia Esken oder Norbert Walter-Borjans womöglich Verwandte in Hamburg besuchen könnten. Nun sollte man aber auch wissen, dass bei der Verwendung des Begriffs Hamburgische SPD unterstellt ist, es handle sich um eine Partei von geringen Differenzen und höchster Übereinstimmung. Die gilt sicherlich bis zum Wahltag. Anschließend aber wird es bitter für die Genoss:innen.

Im Vergleich zur Auswertung im Dezember haben sich die Werte von SPD und Grünen kaum verändert. Mit Blick auf die Ergebnisse der Bürgerschaftswahl 2015 ist der Unterschied gravierend: Die Grünen würden aktuell ihren Anteil an Wählerstimmen verdoppeln, die SPD würde mehr als 15 Prozentpunkte verlieren“ (Spiegel, 21.01.2020).

Die SPD ist darauf womöglich noch weniger vorbereitet, als auf den Verlust des Platz 1 im Parteiengefüge des Stadtstaates. Zwar ist die SPD in Weltanschauungsfragen und denen des Programms erstaunlich flexibel, wenn darauf ankommt den hinteren Teil des Rathauses ruhig zu stellen (dort hinterm Rathaus sitzt die Vertretung der Hamburgischen Wirtschaft) [vergl. hierzu: https://www.freitag.de/autoren/aram-ockert/in-hamburg-ziemlich-beste-freunde]. Wenn es aber für verdiente Genoss:innen zuwenig Verteilungsmasse in Verwaltung und öffentlichen Unternehmungen gibt, dann bekommt sie ein Problem. Vorbei die Zeiten, wo die SPD geeint wurde durch das Band der Solidarität auf der Basis einer gemeinsamen Analyse der Gesellschaft und notwendigen Schritten der Politik zur besseren Teilhabe arbeitender Menschen an Bildung, Kultur und Produktivitätsfortschritt. Heute ist die Hamburgische SPD vor allem auch ein Bündnis von Menschen, die sich durch ihre Teilnahme an dieser Partei handfeste persönliche Vorteile versprechen und sich deswegen auch die SPD ausgesucht haben. Wenn aber die SPD künftig Wahlsieger mit minus 15 Prozent sein wird, dann fällt ein erheblicher Teil bisherigen Parteibesitzstandes weg und damit auch die Fähigkeit, das SPD-Beutekollektiv durch großzügige Beuteverteilung zu befrieden.

Selbstverständlich gibt es in der SPD nicht nur Karrieristen, die es übrigens in allen Parteien mit Aussicht auf Regierungsbeteiligung gibt, sondern auch solche - auch wie überall - die programmatische Vorstellungen haben und diese durchsetzen möchten und natürlich gibt es auch Anhänger:innen der neuen Führung und mit dem Wunsch einer stärkeren linken Ausrichtung der SPD. Das alles wird virulent nach der Wahl. Noch hält das gemeinsame Interesse am guten Ergebnis die Partei fest zusammen, aber nach dem Jubel in der Wahlnacht, in der man sich dafür feiern wird, die Macht, die Regierung bilden zu können, nicht verloren zu haben, wird es turbulent werden und man wünscht es eigentlich niemanden, mit dieser SPD dann regieren zu müssen, die die Idee von Anbau und Kellnern (SPD-Sicht auf die Grünen) endgültig wird aufgeben müssen.

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