Gibt es eine bessere Bestätigung für eine stabile Beziehung, als wenn auf ein zweifelndes „Manchmal denke ich, es wäre besser, wenn wir uns trennen“, ein schlichtes „Nö“ im Sinne von „Wir schaffen das schon“ folgt? Michael (Alexander Khuon) und Dina (Anna Brüggemann) liegen da zusammen im Bett und reden darüber, wie es weitergehen soll. Heiraten? Kinderkriegen? Sind sie dafür überhaupt die Richtigen? Vor allem Michael hat Zweifel und Ängste, während Dina dagegenhält, dass ein Paar nicht nur durch gemeinsame Interessen, sondern auch durch das Gegenteil zusammengehalten wird: „Uns sind die gleichen Dinge egal!“ Die Szene ist bestrickend unromantisch, und genau darin liegt ihre Attraktivität: Nur selten treffen Filme so tief ins Herz alltäglicher Erfahrungen.
Es ist die erste Szene von Dietrich Brüggemanns neuem Film, mit dem er nach der 2015 gestarteten Nazi-Satire Heil und drei Tatort-Inszenierungen erstmals wieder auf die große Leinwand zurückkehrt. Nö ist gleich in mehrfacher Hinsicht eine Rückkehr: Zum einen hat Brüggemann hier erneut das Drehbuch zusammen mit Schwester Anna verfasst wie zuletzt bei Kreuzweg (2014); zum anderen spielen Anna Brüggemann und Alexander Khuon wie schon in Drei Zimmer, Küche, Bad (2012) ein Paar. Und zum Dritten greifen die Brüggemanns in Nö formal auf Mittel zurück, die sie in den vorherigen Filmen erfolgreich ausprobierten. Wie in Kreuzweg ist die Handlung in einzelne Tableaus gegliedert, die jeweils in einer Einstellung gedreht wurden. Wie in Drei Zimmer, Küche, Bad geht es um die Liebe und ums Erwachsenwerden.
Als „Thema“ klingt das ausgesprochen langweilig: Familiengründung. Aber die Brüggemanns sind begabt darin, die Langeweile so präzis in den Blick zu nehmen, dass sie eine höchst aufregende Prägnanz gewinnt. Und das Stilmittel der in einer Einstellung gedrehten Tableaus nutzen sie für eine Öffnung ins Surreale, die für den nötigen Humor sorgt.
In 15 Einzelszenen bewegt sich der Film vorwärts durch die Stationen von Michael und Dinas Beziehung: vom ersten Kind über das Fortkommen im Beruf bis zum zweiten Kind und dem bis dahin angesammelten Gefühlsstau. In den einzelnen Vignetten findet Nö wunderbare Bilder für Dinas und Michaels oft divergierende Sichtweisen. Als Dina das erste Mal schwanger ist, sieht Michael bei der Ultraschalluntersuchung immer wieder statt des unschuldigen Babys ein ihn böse angrinsendes Monster auf dem Monitor. Er muss schließlich in Panik den Untersuchungsraum verlassen. Nach der Geburt dagegen ist es Dina, die auf einmal ganz anders auf die Wirklichkeit reagiert: Als Michael sie aus dem Krankenhaus abholt, sieht sie ringsherum ein Kriegsgebiet, vor dem sie den Säugling auf ihrem Arm beschützen muss. Später erlebt Michael, der Arzt ist, wie bei einer Operation auf einmal die Zeit stillsteht und ihm Gelegenheit bietet, sich mit dem älteren Patienten (Rüdiger Vogler) über so wichtige Fragen zu unterhalten wie, ob er vielleicht seiner ersten großen Liebe noch nachtrauert und wie er seinen Beruf mit seinem Vatersein unter einen Hut bringen soll. Dina hat es schwer, als Mutter in ihren Schauspielberuf zurückzukehren. Ein Workshop führt ihr vor, wie groß die Rolle der Selbstzweifel in ihrem ganzen Leben ist. Und ein Besuch bei Michaels todkrankem, bitterem Vater (Hanns Zischler) findet später einen überraschenden Nachhall.
In den stärksten Episoden erreicht Brüggemann einen ähnlichen Effekt wie der Schwede Roy Andersson in seinen parabelhaften Filmen seit Songs From the Second Floor: das Leben als mehr oder weniger tiefsinnige Karikatur, in der man sich betroffen und resignierend, aber auch mal erleichtert wiedererkennt.
Info
Nö Dietrich Brüggemann Deutschland 2021, 119 Minuten
Kommentare 17
Wer Brüggemanns Nazi-Kamotte »Heil!« kennt, den Trailer der hier belobten Beziehungsklamotte »Nö« dazuaddiert und zusätzlich die Aktivitäten des Regisseurs im Zug einer Aktion mit dem Namen #AllesDichtMachen noch auf dem Schirm hat, kann sich ungefähr ausrechnen, was ihn oder sie im Kino NICHT erwartet: ein sozialkritisches Stück, eine wirkliche Aussage zur Zeit, eine wirkliche Satire, eine leichte Beziehungskomödie oder wenigstens sonstwas Unterhaltsames.
Mit anderen Worten: es wird krampfhaft, aufgesetzt albern. Wer sich bei derlei Peinlichkeiten amüsieren will, ist mit »jerks.« weitaus besser bedient.
Alle deutschen Filme sind so. weil sonst gibts keine Förderung.
Blödsinn.
@zietz & @mahe
als im tv&filmbereich arbeitender kann ich beiden aussagen bedingt zustimmen.
der deutsche film siecht seit der kohlregierung (das war sein zweiter kleiner tod, der erste große waren die faschisten). das ist kein zufall. innenminister zimmermann (csu), dem auch das bkm unterstand, hasste den jungen deutschen film der 70er, kommunistische vaterlandsverräter, nestbeschmutzer, etc. ein beispiel dafür ist, dass er (erfolglos) versucht hat, die premiere des films "wundkanal" von thomas harlan in cannes zu verhindern.
teil der strategie der reaktionären war u.a. die sog. "münchner komödie", privatfernsehen, konsensentscheidungen in tv-redaktionen (statt wie vorher eher autonom entscheidenden einzel-redakteur*innen) sowie die stärkung der produzent*innen ggü. den autorenfilmer*innen.
davon hat sich der deutsche film nicht erholt, die gatekeeper machen ihren job bis heute gut. das nicht vorsätzlich, sondern wie in chomskys "manufactoring consent" beschrieben.
anders ist nicht zu erklären, wieso aus schland, mit recht guter förderfinanzierung, so wenig gutes kommt, im vergleich z.b. zu österreich, portugal, südkorea, eigentlich zu fast jedem industrieland mit filmförderung.
frankreich bildet eine ausnahme (deswegen nenne ich es nicht), da film dort, im gegensatz zu schland, kulturgut ist, i.d. schule gelehrt wird, und jedes kaff ein gut besuchtes kommunales kino unterhält, filmbeschäftigte in zeiten von unterbeschäftigung gut versorgt werden. film in frankreich ist vergleichbar mit theater in schland, vom status her.
es gibt natürlich noch mehr gründe für die deutsche filmmisere.
aha, sie sind aus der branche.
Nee – aber bei Ihnen sieht ein Blinder mit Krückstock, dass Sie von Film keine Ahnung haben.
Allein, dass solche Leute in Deutschland Filme machen dürfen bzw diesen Mist finaziert bekommen und nicht einfach in dem Müllhaufen verschwinden, in den sie gehören, sagt so viel aus. Kann nicht Akin mal wieder einen guten Film drehen? Ist auch schon ein Weilchen her ...
Dank für die gut bebilderte Analyse aus dem Inneren heraus, die sich mit dem deckt, was viele "Rezipientinnen" so staunend wahrnehmen - und was man sonst so hört am Rande (Musikbranche)...
P.S.: "Später erlebt Michael, der Arzt ist, wie bei einer Operation auf einmal die Zeit stillsteht und ihm Gelegenheit bietet, sich mit dem älteren Patienten (Rüdiger Vogler) über so wichtige Fragen zu unterhalten wie, ob er vielleicht seiner ersten großen Liebe noch nachtrauert und wie er seinen Beruf mit seinem Vatersein unter einen Hut bringen soll." [...] " Und ein Besuch bei Michaels todkrankem, bitterem Vater (Hanns Zischler) findet später einen überraschenden Nachhall."
Bei dieser Besetzung lässt sich die Erinnerung an Wenders´ "Im Lauf der Zeit" kaum vermeiden. Soll wohl auch so sein.
Leider falsch, ich war Filmschaffende und kenn den Zirkus. Immerhin ich bin nicht mehr drauf angewiesen und er ist mir auch schnurzegal.
Ich kenne Brüggemann nur von Tatort-Inszenierungen und der Coronaaktion. In der Affäre um die letztere teile ich nicht die implizit hinter der Aktion stehenden Beurteilungen der Coronamaßnahmen und ihrer Motive, gleichwohl finde ich die Aktion berechtigt und stellenweise durchaus witzig/hintersinnig.
Ich finde, was hier vorgestellt wird, hört sich nicht schlecht an. Die Tatorte von Brüggemann gehören zu den eher besseren, sie sind einfallsreich und ambivalent, allerdings stimme ich dem Urteil zu, daß der Theatermann mehr will als er kann, die Ansätze sind konzeptionell gut, aber nicht ganz so gut formal bewältigt.
Die Kritik von Zietz wird dem Künstler nicht gerecht, weil sie sich aus einem schlichten moralischen Urteil speist. Freilich, wie mahe es sagt, das Filmschaffen leidet nachhaltig darunter, daß der kritische junge deutsche Film von reaktionären politischen Kreisen konsequent ausgetrocknet wurde. Akin und Graf sind die exponiertesten Ausnahmen, die noch der Entsubstantialisierung standhalten.
»Leider falsch, ich war Filmschaffende und kenn den Zirkus.«
Wie dann das summarische Urteil? Ich kenne (aus der Zaumgast-Perspektive) die Mechanismen ebenso. Allerdings: Die Produktion eines kompletten Landes in die verbale Tonne zu treten, spricht ebensowenig für Filmverständnis wie die Unterstellung, alle, die das anders sehen, seien Teil dieses Sumpfes.
Dass du mich an Zimmermann erinnerst ("Volkszaehlung") werde ich dir nie verzeihen.
;-)
"Zaumgast-Perspektive"
Jupp.
»Die Kritik von Zietz wird dem Künstler nicht gerecht, weil sie sich aus einem schlichten moralischen Urteil speist.«
Falsch. Die beiden Filme (»Heil!« und »Nö«) würde ich auch dann als grottig abstempeln, wenn – gesetzt einmal den theoretischen Fall – Akin und/oder Graf Regie geführt hätten.
Es ist allerdings richtig, dass ich oben den Zusammenhang mit der von Brüggemann mitinitiierten #AllesDichtMachen-Aktion eingebracht habe. Da frage ich einfach nach Zusammenhängen – dem, was jemand bei Aktion A (Aktion) von sich zeigt, und dem, was jemand bei Aktion B (Filme) von sich zeigt. Meines Erachtens fehlt es dem Regisseur selbst an basalsten Verständnissen für politische Zusammenhänge. Darum auch das stetige Kalauern – in »Heil!«, bei #AllesDichtMachen und nunmehr auch in »Nö«.
Allerdings gebe ich zu, dass bei ADM durchaus eine Reihe Beteiligte mitgewirkt haben, die sonst Substanzielles auf die Beine kriegen. Insofern ist meine Argumentation nicht ganz stringent, beziehungsweise: ich kann sie nicht mit einer verifizierten Erhebung der Sorte, dass sowas eben von sowas kommt, unterfüttern.
Wenn Kunst politisch ist, und in einem tieferen Sinne sollte sie das sein, dann ist sie es nicht durch Antworten, sondern durch Fragen. Gute Fragen, das sind solche, die zum Nachdenken nötigen, können nicht falsch sein. Die Aktion #AllesDichtMachen war eine künstlerische Aktion, sie hat keine Antworten formuliert, sondern Fragen, mal albern, aus gespielter kindlicher Naivität, mal tiefsinnig und formbewußt, gute Beiträge und schwächere. Das ist das Ergebnis, wenn man Leute, auch solche aus dem künstlerischen Metier, zu spontaner Kunstperformance animiert. Ich sehe nicht, was man daran kritisieren kann, wenn man nicht der Meinung ist, daß es ein höheres Wissen der political correctness zu verteidigen gilt.
Die Filme „Heil“ und „Nö“ kenne ich nicht, daher von mir kein Urteil. Am Artikel, der vorliegenden Vorstellung kann ich keinen entlarvenden Kritikpunkt finden, es ist ein Appetitanreger, aber ich lasse mich gern aufklären, warum es als Appetitverderber ankommen sollte. Die Tatorte von Brüggemann jedenfalls sind sehr solide Arbeiten, nicht mehr, aber auch nicht weniger. Also wieso dieses rabiat negative Urteil? Man muß Brüggemann nicht für ein künstlerisches Genie halten, aber bei dem Zietzschen Wohlwollen gegenüber seichten, aber mit erwünschten politischen Stellungnahmen versehenen künstlerischen Produkten kann ich nicht den Verdammungsfuror nachvollziehen.
Hinsichtlich der Antworten zur Coronaproblematik liegen wir nicht weit auseinander.
oh, entschuldigung, das wollte ich nicht ;)
Oh, ich glaube, ich werde mir den Film nicht anschauen. Der Inhalt erinnert mich viel zu stark an die unglückliche Ehe meiner Jugendliebe mit einem eigentlich uninteressierten Mann. Sie haben geheiratet, damit sie sich auch ja nicht trennen. Fünf Jahre nach der Hochzeit schreibt sie mir ne Mail und will (angeblich) wissen, wie es mir geht. Und ich Idiot falle drauf rein. Noch dazu: ich würde das alles ja sowieso nicht verstehen. Und jedes zweite Buch und jedes Lied und jeder zweite Film erinnert mich an diesen ganzen Scheiß. Auf arte lief diese Woche "Die Frau, die im Wald verschwand". Ein ziemlich guter deutscher Film, dachte ich so. ER erschießt sich am Ende. (Ach so, hätte ich jetzt vielleicht nicht schreiben sollen.) Viel zu werthermäßig. Und dann schrieb sie mir noch irgendwann: "Das Leben ist doch nicht wie im Film!" Ich will NICHT wissen, wie dieser Film ausgeht.