„Slow Horses“ Staffel 3: Die schiefe Bahn der Hoffnung

Serie Ein bisschen Hoffnung gibt es immer. Doch in der Agenten-Serie „Slow Horses“ triumphiert der Defätismus. So beginnt auch die dritte Staffel mit einem gescheiterten Job
Ausgabe 48/2023
Gary Oldman alias Jackson Lamb leitet die Gescheiterten-Abteilung
Gary Oldman alias Jackson Lamb leitet die Gescheiterten-Abteilung

Foto: Apple TV+

Eine bestimmte Art von schlechter Laune kann sehr gute Laune machen. Bei mir beginnt das Vergnügen, wenn Mick Jagger in genüsslich-verächtlichem Ton die Helden von Slow Horses besingt: „Surrounded by losers, misfits and boozers – hanging by your fingernails ...“ Das Vergnügen vergrößert sich nur noch, wenn Gary Oldman in seiner Rolle als Jackson Lamb gleich in der ersten Folge der dritten Staffel im Wartezimmer einer Arztpraxis die Klientel erschreckt – mit seinen fettigen Haaren und dem schlecht sitzenden Trenchcoat, schnarchend und furzend. „Können Sie bitte den Obdachlosen entfernen, er stinkt“, beschweren sich die anderen.

Bei den „misfits and losers“, die Jagger im eigens für die AppleTV+-Serie komponierten Song besingt, handelt es sich um Agenten von MI5 und MI6, die Fehler begangen oder sich wegen persönlicher Probleme als schwer einsetzbar erwiesen haben. Der eine hat mal hochgeheime Unterlagen im Bus liegen lassen, der andere die Spur eines wichtigen Verdächtigen verloren oder aus Versehen schwere Waffen in Hände von Verbrechern übergeben, wieder andere sind ganz einfach alkohol-, drogen- oder spielsüchtig.

Weil sie entweder zu viel wissen, oder es zu peinlich wäre, ihre Fehler öffentlich zu machen, werden sie nicht entlassen, sondern zur bedeutungslosen Büroarbeit unter besagtem Jackson Lamb degradiert. Nur dass dann die Serie von den Fällen handelt, bei denen sie als Team ranmüssen und, das Genre will es nun mal so, sich dann doch wieder als kompetent erweisen. Oder wie Mick so schön singt: „There’s always a hope, on this slippery slope ... to burn off your shame, and dance with the big boys again.“

Slow Horses, das auf einer Romanreihe des britischen Autors Mick Herron beruht, setzt also dem „competence porn“ der üblichen Agententhriller etwas entgegen. Obwohl die Slow-Horses-Agenten unter Druck oft noch das Beste aus ihren Schwächen machen, dient die Prämisse dazu, die Rolle des Scheiterns und der Fehlleistungen auf andere Weise auszuloten; sie nicht nur als Stolpersteine eines spannenden Plots zu nehmen, sondern als Aufhänger.

Jackson Lambs stinkende Unansehnlichkeit

So steht auch in der dritten Staffel am Anfang ein „fuck up“. Ein Agent will die Weitergabe bestimmter Unterlagen verhindern, scheitert daran und muss auch noch mitansehen, wie seine Kollegin und Geliebte umgebracht wird. Er vermutet einen „Inside Job“, der vor allem dazu diente, Fehler zu vertuschen. Die eigentliche Handlung setzt ein paar Jahre später ein, aber das Motiv des Fehlervertuschens bleibt zentral.

Wichtiger als der Plot, der manchmal recht unübersichtlich werden kann, sind die Charakterköpfe der Serie. Gary Oldmans Jackson Lamb an erster Stelle. Beim Gesundheitscheck in der eingangs genannten Praxis empfiehlt der Arzt ihm eine gesündere Lebensführung. „Seien wir ehrlich“, antwortet Lamb, „ist es dafür nicht ein bisschen spät?“

Warum er sich so gehen lässt, dafür hat man auch nach drei Staffeln noch keine vollgültige Erklärung. Man sieht jedoch mehrfach, wie bewusst er seine „abjekte“ Körpergestalt einsetzt. Etwa wenn er ungekämmt und ungewaschen das feine Restaurant betritt, wo der neue Innenminister gerade mit einem privaten Sicherheitsdienst ins Geschäft kommen will. Lambs stinkende Unansehnlichkeit ist eine solche Zumutung für die Umgebung, dass sie ihm mehr Druckmittel verschafft ,als es eine „Lizenz zum Töten“ täte.

Dass dieser sehr schlaue Mann die Misfits- und Loser-Abteilung anführt, ist natürlich ein Kunstkonstrukt. Zumal er grundsätzlich allen immer zwei Schritte voraus ist. Das Geniale der Serie ist dabei, dass ihm das oft gar nichts nützt. Und dass er das auch noch selbst weiß.

Sein polares Gegenbild ist der junge, gut aussehende River Cartwright, der von Jack Lowden verkörpert wird, im Übrigen einer der Favoriten auf den neuen James-Bond-Titel. Blond und eifrig ist Cartwright nämlich das Ideal eines strahlenden Helden. Gleichzeitig ist es genau dieses Heldenideal, das ihn immer wieder scheitern lässt. Er will die eine Frau retten und bringt Tausende in Gefahr, er springt für andere in die Bresche und bugsiert damit alle in die Falle. Nur langsam lernt er von Lamb, dass man mit Defätismus manchmal mehr erreicht als mit heroischem Optimismus. Wir wollten es besser machen, aber es wurde wie immer, als Motto der Motivation.

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Geschrieben von

Barbara Schweizerhof

Redakteurin „Kultur“, Schwerpunkt „Film“ (Freie Mitarbeiterin)

Barbara Schweizerhof studierte Slawistik, osteuropäische Geschichte und Theaterwissenschaft an der Freien Universität Berlin und arbeite nach dem Studium als freie Autorin zum Thema Film und Osteuropa. Von 2000-2007 war sie Kulturredakteurin des Freitag, wechselte im Anschluss zur Monatszeitschrift epd Film und verantwortet seit 2018 erneut die Film- und Streamingseiten im Freitag.

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