„Slow Horses“: Genau die richtige miese Stimmung

Serie Die Apple+-Produktion „Slow Horses“ ist mehr als nur eine schwarze Satire auf den Spionage-Thriller
Ausgabe 14/2022
Gary Oldman in „Slow Horses“
Gary Oldman in „Slow Horses“

Foto: Apple+

Eigentlich ist das mit der vielzitierten zweiten Chance ganz einfach: Entweder man bekommt sie oder eben nicht. Die Frage, ob man eine solche Möglichkeit „verdient“ hat, mag zwar auch von der Schwere des Fehltritts abhängen, mit dem man sich ins Abseits manövriert hat, doch im Grunde braucht es immer jemanden, der einem danach die Tür wieder zumindest einen Spaltbreit öffnet.

Für jene britischen Agenten, die ihren Dienst im sogenannten „Slough House“ verrichten, ist sie allerdings ziemlich fest verschlossen. Wer hier, im „Sumpfhaus“, gelandet ist, hat sich beim MI5 nämlich einiges zuschulden kommen lassen und dient seine Stunden im heruntergekommenen Gebäude hinter verdreckten Fenstern ab. Ein friedliches Privatleben, in das man sich verabschieden könnte, kennt man hier nicht, und wahrscheinlich möchte auch deshalb niemand den demütigenden Job an den Nagel hängen. Außerdem könnte man ja vielleicht doch noch irgendwann die Welt, also das Vereinigte Königreich, retten.

Slow Horses, derzeit auf Apple TV+ zu sehen, basiert auf dem ersten Roman der populären Jackson-Lamb-Reihe des britischen Autors Mick Herron. Doch die durchgehend von Fernsehregisseur James Hawes (Penny Dreadful) inszenierte Serie ist keineswegs jene schwarzhumorige Satire über einfältige Spione, die man erwarten würde (und als die sie fälschlicherweise rezipiert wird).

Der offen zur Schau gestellte Zynismus, mit dem Gary Oldman als cholerischer Jackson Lamb seine Untergebenen malträtiert – wenn er nicht bereits frühmorgens trinkt, praktisch unablässig raucht oder die Löcher in seinen Socken anstarrt –, zeugt von purer Verachtung. Und gerne streut er Salz in die Wunden anderer, vor allem in jene des jungen River Cartwright (Jack Lowden): Gleich zum fulminanten Auftakt der ersten Episode sieht man, wie es dem angehenden Top-Spion nicht gelingt, ein Sprengstoffattentat zu verhindern. Weshalb der Kollege, der ihm damals eine falsche Personenbeschreibung durchgegeben hat, nun an seiner statt im Hauptquartier unter der Leitung von MI5-Chefin Taverner (Kristin Scott Thomas) Karriere macht, während Cartwright selbst täglich Müllsäcke durchsucht und abgehörte Telefonate transkribiert. Der Erzfeind in den eigenen Reihen steht für ihn also von Beginn an fest.

Strange Game heißt der passenderweise von Mick Jagger komponierte und im typischen Akzent vorgetragene Titelsong, und ein seltsames Spiel beginnt mit der zweiten Episode fürwahr: Ein pakistanischstämmiger Student wird entführt, die rechtsradikalen Kidnapper drohen per Videobotschaft mit seiner Enthauptung am nächsten Morgen. Vielleicht hätte sich ihr Geheimdienst doch nicht nur um die heimkehrenden Dschihadisten kümmern sollen, wie Taverner – so viel Selbstkritik ist in Regent’s Park erlaubt – anmerkt. Ein Maulwurf durchwühlt das Slough House. Und obwohl Lamb seinem Team strikt jede Mitarbeit am Fall untersagt („I want my people in here doing nothing“), scheinen ein paar Fundstücke, die Cartwright aus dem Müll eines Verdächtigen gräbt, auf eine Verbindung zur Entführung hinzudeuten. Die zweite Chance ist also zumindest für ihn buchstäblich in Griffweite.

Slow Horses ist nicht die Agentenserie, die das Genre neu erfindet, sondern setzt auf Bewährtes und stimmt dabei die einzelnen Elemente der alten Schule neu aufeinander ab. Das beginnt bei der Vorlage von Mick Herron, der selbst wiederholt auf den Einfluss von John le Carré auf sein Werk verwiesen hat. Die Figuren, selbst wenn sie wie Lamb von einem Exzentriker wie Oldman gespielt werden, haben keinen anderen Zweck als ihre reine Funktionalität im Plot. Und auch die sich über sechs Episoden erstreckende Handlung verzichtet wohlweislich auf unabsehbare Wendungen.

Diese scheinbaren Schwächen jedoch entpuppen sich als die eigentlichen Stärken der Serie, und sie heißen: Verlässlichkeit, Liebe zum Detail und zum ausgefeilten Dialog. Wie bereits Gangs of London (Sky) und zuletzt Suspicion (Apple TV+) weiß auch Slow Horses seinen Schauplatz überzeugend zu nutzen: Grau sind die Straßen Londons, braun die Hauszeilen und gelb das fahle Licht, durch das die Figuren huschen. Kein Tag und keine Episode vergeht ohne schweren Regen, der für die richtige miese Stimmung sorgt. Vor allem bei Jackson Lamb, der sich darüber auch noch freut.

Nur für kurze Zeit!

12 Monate lesen, nur 9 bezahlen

Freitag-Abo mit dem neuen Roman von Jakob Augstein Jetzt Ihr handsigniertes Exemplar sichern

Print

Erhalten Sie die Printausgabe zum rabattierten Preis inkl. dem Roman „Die Farbe des Feuers“.

Zur Print-Aktion

Digital

Lesen Sie den digitalen Freitag zum Vorteilspreis und entdecken Sie „Die Farbe des Feuers“.

Zur Digital-Aktion

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Unabhängiger und kritischer Journalismus braucht aber Unterstützung. Wir freuen uns daher, wenn Sie den Freitag abonnieren und dabei mithelfen, eine vielfältige Medienlandschaft zu erhalten. Dafür bedanken wir uns schon jetzt bei Ihnen!

Jetzt kostenlos testen

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden