So viel Gefühl

Maradona Als Antiheld wurde der Fußballer von Cineasten sehr geliebt
Ausgabe 49/2020
Diego Maradona beim Filmfestival in Cannes im Jahr 2008
Diego Maradona beim Filmfestival in Cannes im Jahr 2008

Foto: Fred Dufour/AFP/Getty Images

Das Interessante am Phänomen Maradona bleibt die schiere Intensität der Gefühle, die er auslöste, nicht erst mit seinem Tod. Sein Fußballspiel sorgte für wahrhaft kathartische Erfahrungen, und vielleicht erklärt sich damit auch seine Beliebtheit bei jener Sparte Kulturkritiker, die sich mit Performances beschäftigt, insbesondere den Cineasten. So kam es während des Filmfestivals in Cannes noch 2019 zu spontanem Szenenapplaus, als Maradonas „Jahrhunderttor“ gezeigt wurde. Das legendäre Dribbling zum 2:0 im 1986er-WM-Spiel Argentinien gegen England, in dem Maradona die gesamte englische Hintermannschaft „ausschaltete“, war damals Teil des etwas einfallslos Diego Maradona betitelten Dokumentarfilms von Asif Kapadia. Der britische Regisseur, der mit intensiven Dokfilmen über den Rennfahrer Ayrton Senna (Senna, 2010) und die Sängerin Amy Winehouse (Amy, 2015) bekannt wurde, beschreibt darin das Phänomen Maradona als „ein bisschen Betrug und ganz viel Genialität“.

Kapadias Film konzentriert sich ganz auf Maradonas Zeit in Neapel und erzählt mittels viel sehenswertem Archivmaterial vom „Wunder“, das den kleinen Argentinier zum lokalen Idol werden ließ, mehr noch: zu einer Art Robin Hood, einem Rächer der Enterbten, der dem geschmähten Süden Italiens den heiß ersehnten Triumph über den arroganten Norden einbrachte. Wer die Juve-Fans hier „Neapel, nur Scheiße und Cholera, ihr seid eine Schande für ganz Italia“ intonieren hört, wird nachvollziehen können, warum die Neapolitaner ganze zwei Monate lang auf den Straßen feierten, als der SSC Neapel mit Maradona 1987 zum ersten Mal Meister in der Serie A wurde. Ein Plakat an einer Friedhofsmauer brachte das Jahrtausendereignis auf den Punkt: „Sie wissen nicht, was sie verpasst haben!“

Zu Maradonas größten Fans zählte sich auch der serbische Filmemacher Emir Kusturica, der bereits 2008 in Cannes seinen Die Hand Gottes – Emir Kusturica trifft Diego Maradona vorstellte. Wie der Titel verspricht, ist der Film weniger Dokumentation, sondern Hommage. Im drängenden Punk-Rhythmus präsentiert Kusturica seine Sicht auf Maradona: der kleine Argentinier als Revolutionär, als einer der letzten, der die Würde der Armen dieser Welt verteidigt und den Funktionären die Wahrheit ins Gesicht sagt. Auch Kusturica zeigt die legendären Tore, aber er unterlegt sie mit Musik der Sex Pistols und macht damit jeden Schuss zur Heldentat gegen das Establishment, gegen das Krieg führende Großbritannien und gegen die Fußballmafia.

Was ebenfalls prominent auftaucht in Kusturicas Film, sind Maradonas Tattoos: am Bein Che Guevara, am Oberarm Fidel Castro. Mit offenherzigem Lachen zeigt Maradona sie dem Regisseur und sagt dazu so was wie: Chavez folgt auch bald. Überhaupt ist der Film geradezu ein Aufruf, eine Rechtfertigung dafür, dass es Helden geben muss, genauer gesagt: Antihelden. Der Premierenabend in Cannes seinerzeit, bei dem Maradona selbst anwesend war, lieferte dafür das beste Sinnbild: Stürmisch bejubelte das wie üblich fein gekleidete Cannes-Publikum den Regisseur und sein Idol. Lauter Männer in Smoking und Frauen in Abendroben, die leibhaftige Verkörperung des Establishments feierte da den Helden der Armen und Entrechteten. Zwar trug auch Maradona selbst einen Smoking, aber irgendwas war da an ihm, das ihn immer noch deutlich als Außenseiter markierte, sei es der melancholische Blick, sei es die unruhige Körperhaltung , kein noch so feines Tuch konnte seine Herkunft „von unten“ ganz verdecken. Gerade diese offen zu Tage tretende Zwiespältigkeit machte ihn zum idealen Antihelden – und verlieh ihm eine durchaus paradoxe Würde.

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Geschrieben von

Barbara Schweizerhof

Redakteurin „Kultur“, Schwerpunkt „Film“ (Freie Mitarbeiterin)

Barbara Schweizerhof studierte Slawistik, osteuropäische Geschichte und Theaterwissenschaft an der Freien Universität Berlin und arbeite nach dem Studium als freie Autorin zum Thema Film und Osteuropa. Von 2000-2007 war sie Kulturredakteurin des Freitag, wechselte im Anschluss zur Monatszeitschrift epd Film und verantwortet seit 2018 erneut die Film- und Streamingseiten im Freitag.

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