Die Identitäre Kampfansage an die Demokratie

Identitäre Sind die „Identitären“ nur feige Spießer oder stellen sie eine Bedrohung dar?

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Nationalismus als explizite politische Ideologie ist in Deutschland eine Randerscheinung. Er wird landläufig als untrennbar von der Überhöhung der eigenen Nation gegenüber anderen angesehen – und er wird assoziiert mit gewalttätigen Neonazi-Skinheads. Was in letzter Zeit für Verwirrung zu sorgen scheint, sind jene Nationalisten, die als „Identitäre“ zwar mit nationalistischem Pathos daher kommen, aber „Ethnopluralismus“ anstelle von Überhöhungsrhetorik propagieren – also die Vorstellung, jedes Volk möge in seinem eigenen Siedlungsraum bleiben und sich nicht mit anderen vermischen – und deren Mitglieder nicht kahlrasiert und mit Springerstiefeln daherkommen, sondern mit ziemlich durchschnittlichem Aussehen und allenfalls mit einem Trachteneinschlag bei der Kleidung.

Beim Freitag waren die Identitären im September ein großes Thema, als eine Gruppe von ihnen den „Freitag-Salon“ gestört hatte. Das nahm Vice.com-Redakteur Matern Boeselager zum Anlass, ein Video zu kommentieren, mit dem sich die "Identitäre Bewegung Bayern" darstellt. Im Folgenden soll es kurz darum gehen, was man eigentlich dieser Selbstdarstellung entnehmen kann und welche Deutungen und Reaktionen eher in die Irre führen.

Boeselager identifiziert als Haupt-Eigenschaften der Identitären: „völkisch begründete[n] Rechtsradikalismus, gutes Design und geradezu bodenlose Spießigkeit“. Das zweite genannte Merkmal, „gutes Design“, ist uninteressant – wie er auch selbst erklärt. Recht stark hingegen betont er die „Spießigkeit“. Aber was ist schon Spießigkeit? Boeselager benennt etwa, dass die Identitären sich in ihren Videos dabei inszenieren, wie sie im Wald Gedichte rezitieren. Distinktionsgehabe, eine ungerechtfertigte Selbstdarstellung als letzte Bewahrer wovon auch immer, das mag man solchem Verhalten vorwerfen. Aber ob es spießig ist, Gedichte zu lesen oder vorzutragen? Dann gibt es vermutlich auch unter Wählern der Grünen oder der Linken und in den Organisationen der Flüchtlingshilfe ziemlich viele Spießer.

Relevanter wird die Kritik an der Spießigkeit, wenn sie sich stärker auf Inhalte und Ideologie bezieht. Boeselager sagt, alles im Werbevideo sei „heftig von der Ästhetik der vorletzten Jahrhundertwende geprägt, aber immer nur von den kitschigen Teilen: Jugendstil-Frisuren, Zivilisationsflucht und Romantik“. Man mag Kitsch ablehnen und Zivilisationsflucht illusionär finden oder, weil sie sich von politischen Problemen abwendet, statt sie zu lösen, rückschrittlich. Aber wenn dem so ist, dann wäre gerade nicht die Zivilisationsflucht das Problem an den Identitären. Zögen sie sich dorthin zurück und wendeten sich dabei von der Politik ab, würde niemand sich in einem Blogartikel mit ihnen beschäftigen.

Und damit ist nicht einmal geklärt, wann eine „Zivilisationsflucht“ oder eine Hinwendung zur Natur tatsächlich rückschrittlich im politischen Sinne ist. Das, was die heutige Zivilisation eben auch ist – Wegwerfgesellschaft, Rattenrennen, Entfremdung – war immer auch Gegenstand der Kritik von Linken. Nationalisten lehnen McDonald‘s ab. Ist das wirklich ein Grund, dort zu essen, statt selbst zu kochen? Unter den Gründen, aus denen Nationalisten McDonald‘s verachten, werden vermutlich auch welche vorkommen, denen auch FDP-Politikerinnen oder Antifa-Aktivisten teilen (und andere Gründe, die beide ablehnen).

Sind die Identitären „feige“?

Die Kritik an der Spießigkeit geht schließlich so weit, sie als Grund dafür darzustellen, dass die Identitären nicht wie „Oldschool-Nazis“ herumlaufen – und außerdem seien sie zu feige dafür. Doch im kommentierten Video gibt es keinen Anlass dafür zu glauben, dass Feigheit der Grund dafür wäre, dass die Identitären die übliche Neonazi-Inszenierung nicht mitmachen. Eine solche Kritik, die die Identitären nur als spießig und feige etikettiert, ist fehlgerichtet und fragil. Sie benennt nicht, was das Problem an ihnen ist und sie erklärt gleichzeitig Dinge zu ihren Haupteigenschaften, die für sich genommen unproblematisch oder uninteressant sind.

Wenn die „Spießigkeit“ der Identitären nur darin bestünde, in Trachtenkleidung herumzulaufen, wäre sie nichts als Geschmackssache – sie wären wie ein Schützenverein. Aber mit Spießigkeit verbindet man auch etwas anderes, was wenig damit zu tun hat, Gedichte oder Wälder zu mögen: es als Bedrohung anzusehen, wenn Menschen sich anders verhalten als das, was man selbst als Norm ansieht, auch wenn ihr Verhalten keine direkten Auswirkungen auf einen selbst hätte. (Wer die Serie „Ein Herz und eine Seele“ kennt, wird Alfred Tetzlaff als Verkörperung dieses Spießer-Typus kennen, auch wenn er keine Gedichte vorträgt.)

Dieses „Spießertum“ findet im Nationalismus seine ideologische Unterfütterung: Ein bestimmtes Verhaltensmuster wird als „nationale“ Norm verstanden. Bei den Identitären findet sich diese Vorstellung im Ethnopluralismus wieder: Jedes „Volk“ solle sich in den eigenen Grenzen selbstständig entwickeln. Boeselager erwähnt, dass die Vorstellung von homogenen Völkern historisch nicht haltbar ist und dass Deutschland großer Profiteur der Globalisierung sei. Doch solche Widerlegungen dürften ins Leere laufen. Mag sein, dass das „Volk“ als historische Einheit eher eine Illusion ist. Aber bemerkenswert ist, dass Nationalpathos und nationalistische Geschichtsphilosophie in dem Selbstdarstellungsvideo kaum vorkommen, statt dessen aber rührselige Glaubenssätze wie „Heimat – das ist Geborgenheit, Berge und eine unbeschwerte Kindheit“. Das deutet darauf hin, dass der ideologische Nationalismus eher schmückendes Beiwerk ist für die Abneigung dagegen, dass durch Zuwanderung weitere Menschen mit anderen Vorstellungen, mit anderem Weltbild und anderen kulturellen Einflüssen um einen herum wohnen könnten.

Ebenso geht der Hinweis ins Leere, dass Deutschland von der Globalisierung profitiert hat, wenn den Identitären ein hohes Einkommen weniger wichtig ist, als weniger „Fremde“ und weniger „Fremdes“ um sich zu haben – in ihrem Video heißt es dann: „die Globalisierer arbeiten für ihren Profit an einer Entmenschlichung der Welt“. Das klingt nach einem Satz, der mit geringen Vokabular-Variationen auch von linken Globalisierungsgegnern oder -kritikern unterschrieben würde – nur dass dieser nationalistische Antikapitalismus sich vor allem daran stößt, plötzlich Fremde ertragen zu müssen. Selbst Fluchtursachen finden im Selbstdarstellungsvideo kurze Erwähnung: „viele Menschen müssen ihre Heimat wegen Krieg verlassen, noch mehr aufgrund von falschen Versprechungen und falschen Erwartungen“. Aber die Identitäre Bewegung ist, allen Krokodilstränen über Flüchtlinge zum Trotz, nicht die Junge Union und erst recht nicht die Friedensbewegung. Im Video stehen Aktivistinnen und Aktivisten auf Demonstrationen mit Schildern wie „No Way - You will not make Europe home“ und erklären, dass tolerant zu sein dazu führen würde, morgen „fremd im eigenen Land zu sein“.

Wenn man nun an die Nation als eine Art mystische Einheit glaubt, muss etwas erklären, dass die eigentlich ebenfalls dieser Nation angehörenden Politiker die Zuwanderung zulassen. Die Verschwörungstheorie ist für Boeselager das, was zusammen mit völkischer „Kapitalismuskritik“ das Rechtsradikale ausmacht: Die Identitären sehen sich von "linkem Establishment" und profitraffenden "One-World-Globalisten" bedroht, die den „großen Austausch“ der europäischen Bevölkerung wollen. Die im Video präsentierten Aussagen zeigen allerdings noch keine konsistente Ideologie, wohl aber Bausteine einer paranoiden Weltsicht.

Paranoide Weltsicht

Das erste Statement einer jungen Identitären, das eingespielt wird, lautet: „Unsere Freiheit wird zunehmend eingeschränkt. Der Staat greift nach den Seelen unserer Kinder, für die Umsetzung einer Ideologie, die entgegen der Realität umgesetzt wird.“ Auch beim zweiten Mal lesen enthalten diese zwei Sätze keine sinnvolle Aussage. Es wird auch kein Beispiel nachgereicht, wie nach Ansicht der Identitären irgend jemandes Freiheit zu welchem Zweck eingeschränkt werde, wie der Staat nach Seelen „greift“ oder welche Ideologie wie „umgesetzt“ werde. Und es ist unklar, wer eigentlich mit „wir“ gemeint ist. Ein weiteres Statement lautet: „Die Faktenlage wird geleugnet. Eine alles hemmende Political Correctness verhindert jeglichen wirklichen Lösungsansatz.“ Welche Faktenlage wird geleugnet? Lösungsansatz wofür? Klar ist nur, dass es gegen „Political Correctness“ geht, die angeblich alles „hemmt“. Eine weitere Identitäre zitiert Schiller (ohne seinen Namen zu erwähnen): „Jedoch: Der Mensch ist frei geschaffen, ist frei, und würd' er in Ketten geboren.“ Ketten? Was für Ketten?

Vielleicht gibt es Menschen, die sich bei all dem angesprochen fühlen und wissen, was gemeint ist. Doch im Video selbst bleibt es bei Andeutungen, die eine Drohkulisse aufbauen. Mit Slogans wie „Heimatliebe ist kein Verbrechen“ inszenieren die Identitären sich als Unterdrückte. Auch wenn Vieles angedeutet bleibt, sind klar Elemente dessen zu sehen, was Richard Hofstadter 1964 als „paranoid style“ in der Politik ausmacht: Verschwörungen historischen Ausmaßes, wobei die Verschwörer das große Ziel verfolgen, sich zu bereichern (R. Hofstadter, The Paranoid Style in American Politics. Harper's Magazine, 77-86). Aus Sicht der Identitären sind es die profitgierigen „Globalisten“ und „Heuchler“, die den „Austausch“ der Bevölkerung planen und hinter dem seelenkontrollierenden Staat stecken. Das impliziert, dass Handeln und Meinung der politischen Mehrheit illegitim und deshalb nicht hinzunehmen seien.

Die „Heimat“, so suggeriert das Video, sei vor Veränderungen zu schützen, vor vermeintlichen Angriffen auf die „Tradition“, die im Video durch Trachtenkleidung und Gipfelkreuz dargestellt wird (Dialekt hingegen verwenden die Identitären im Video nicht aktiv, sondern nur in ihren Pullover-Aufschriften). Tatsächlich hat natürlich niemand jemandem verboten, in Trachten herumzulaufen, niemand einen Bayern seiner Heimat verwiesen; der einzige „Austausch“ besteht darin, dass nicht alle in bayrischen Trachten herumlaufen wollen und nicht alle so aussehen wie die Identitären. Sich angesichts dessen als Unterdrückte darzustellen, heißt, dass bereits diese Abweichungen von dem, was als nationale Norm empfunden wird, als Affront verstanden werden. Damit richtet sich der Ethnopluralismus nicht nur gegen Flüchtlinge und andere Migranten, sondern er fordert etwa ein, das Gipfelkreuz ebenso wichtig zu finden wie es die Identitären tun. „Ethnopluralismus“ ist, wie es die Zeitschrift The Economist formuliert, verwirrenderweise nahezu das Gegenteil von „Pluralismus“.

Militanz gegen die vermeintliche Bedrohung

Die wirre Rhetorik suggeriert, dass eine Art Selbstverteidigung samt handgreiflicher Gegenwehr nötig sei. Im Video wechseln sich die Aussagen mit Sportübungen im Wald ab: Von Waldlauf über Liegestütze steigert es sich zum Boxen. Diese Militanzinszenierung wird von Boeselager kaum erwähnt, doch sie nimmt im Video einigen Raum ein und sie müsste einer der Hauptgründe sein, sich mit der Identitären Bewegung zu beschäftigen. Sein Vergleich zwischen militanten Neonazis und identitären „Spießer“-Inszenierungen sollte ein Anlass sein, sich zu fragen, ob diese Wehrsportübungen nur Sport in der Natur darstellen oder doch etwas mit Ideologie zu tun haben könnten. Wenn Kampftraining nicht im Sportverein, sondern im Rahmen einer politischen Gruppe betrieben wird, ist die Vorstellung, das diene der Inszenierung von Männlichkeitsvorstellungen, noch die harmlosere Interpretation. Denn natürlich kann so ein Kampftraining auch etwas anderem dienen: Der Vorbereitung auf tatsächliche, handfeste Kämpfe.

Die Selbstdarstellung beim Kampftraining geht also Hand in Hand damit, die eigene Sache als Verteidigung gegen eine Fremdsteuerung darzustellen („Wehrt euch und werdet aktiv“). Aber wenn die Identitären sich selbst tatsächlich überzeugt haben, dass es illegitim ist, ihre politischen Vorstellungen nicht zu teilen, können sie demokratische Entscheidungsfindungen nicht akzeptieren; ihre inszenierte Militanz kann damit in eine echte Bedrohung umschlagen. Das Problem ist nicht, dass völkisches Denken irgendwie zusammen mit „gute[m] Design“ und „Spießigkeit“ auftreten. Das Problem ist, dass die aggressive, bornierte Variante der Spießigkeit sich mit paranoidem Denken zusammen gefunden hat und sie durch Nationalismus stimmig zu wirken scheinen. Militanz im Kampf gegen demokratische Entscheidungen und Institutionen sind dann folgerichtig.

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