Irgendwann muss ein Sprachgenie auf die Idee gekommen sein, die Welt mit dem Sprachbild der „eierlegenden Wollmilchsau“ zu beglücken. Seitdem peinigt es uns und verschlechtert jede Konversation, in der es zur Sprache kommt. Das tut es immer dann, wenn es um Menschen geht, die zu vielen verschiedenen Tätigkeiten fähig sind – und das im Idealfall mehr oder weniger gleichzeitig: Podcaster:innen zum Beispiel sind heute Parade-eierlegende-Wollmilchsäue.
Vorbei die Zeiten, in denen sich ein:e Reporter:in darüber echauffierte, dass jetzt auch noch ein Foto und ein Video mit der Smartphone-Kamera gefragt waren. Die Podcaster:innen haben diesen Anspruch klaglos verinnerlicht, sie sind die medialen Ich-AGs par excellence: Recherchieren, Sprechen, Schneiden, Social Media, Liveshows – gibt es irgendetwas, das diese Tausendsassas eigentlich nicht tun?
Kaum. Und es wird immer weniger. Denn inzwischen gehen Podcaster:innen verstärkt unter die Literat:innen. An dieser Erkenntnis kommt man als Podcasthörer:in wirklich nicht mehr vorbei. Denn man wird mit allem Nachdruck darauf hingewiesen – nebst Bitte um Vorbestellung des noch nicht erschienen Buches. Das sorgt mitunter für Cringe-Momente, ein bisschen so wie damals, als viele Podcaster:innen damit angefangen haben, Werbung selbst einzusprechen und auf einmal enthusiastisch für Versanddrogerien, Ökostrom oder Sachbuchapps zu trommeln. Jetzt ist es also das eigene Buch.
Aus „Lage der Nation“ wird „Baustellen der Nation“
Da ist zum Beispiel Baustellen der Nation. Darin schauen Philip Banse und Ulf Buermeyer, die Macher des Podcasts Lage der Nation, auf das, was falsch läuft im Land – und wie es besser gehen könnte. Auch der Geschichts-Podcast Geschichten aus der Geschichte hat das sehr hörenswerte Format zu einem gleichnamigen Buch gemacht. Der Sportjournalist Max-Jacob Ost hat die Recherchen zum Storytelling-Podcast 11 Leben über den Bayern-Manager Uli Hoeneß als Biografie in Buchform aufbereitet. Aus Liebe zum Spiel grenzt sich zwar allein schon im Titel vom Podcast ab – aber ohne den Podcast und seinen Host gäbe es dieses Buch wohl nicht.
Und im Podcast Piratensender Powerplay, in dem Samira El Ouassil und Friedemann Karig einmal in der Woche hörenswert auf Politik und Gesellschaft blicken, verweisen die beiden Autor:innen ebenfalls gerne auf ihr Buch Erzählende Affen – nebst Lesereise, klar. Das Sachbuch über Narrative ist zwar ebenfalls nicht als „Buch zum Podcast“ gelabelt – aber dem Absatz dürfte dessen Reichweite nicht schaden. Podcast und Buch, das legt allein diese Stichprobe nahe, verbindet ein äußerst fruchtbares Verhältnis.
Nicht falsch verstehen, diese Bücher sind lesenswert (Obacht, Stichprobe), sie sind gut recherchiert, sie tragen zum gesellschaftlichen Diskurs bei, es ist gut, dass es sie gibt. Und doch sollte man sich einmal kurz fragen, was das über die Verlage aussagt. Denn die Podcaster:innen in allen Ehren: Es sieht von außen schon arg faul aus, wenn sich die Verlage nichts Besseres einfallen lassen, als sich an die Reichweite erfolgreicher Podcast-Formate zu hängen. Auf der anderen Seite muss man schlicht konstatieren, dass es funktioniert: Drei der vier hier erwähnten Bücher haben es zu Spiegel-Bestsellern gebracht. Die Verlage dürfte es freuen.
Die Entwicklung erinnert stark an Influencer:innen, die auf einmal auch interessant für die Buchindustrie wurden. Die Fitness- und Ernährungsinfluencerin Pamela Reif lichtete sich einst auf einem Bücherstapel ab und verglich die Veröffentlichung ihres Snack-Kochbuchs You deserve this (ebenfalls Spiegel-Bestsellerliste – sogar Platz 1) mit der Geburt eines Kindes. Nun ja. Erschienen ist das Buch bei einem Verlag explizit für Influencer:innen, auf dass sie ihre Schmink- Fitness- oder Ernährungstipps noch einmal als Buch vermarkten können. Ein weiterer Ausspielkanal für eine Marke, ein weiteres Betätigungsfeld für „eierlegende Wollmilchsäue“.
Podcasts müssen das Kernstück bleiben
Was heißt das für die Podcastlandschaft? Von Verlustangst geplagt, fürchte ich als Podcasthörer, dass der Podcast zunehmend in den Hintergrund der Macher:innen rückt. Dass das Audioformat von einst neben all den anderen Aufgaben immer mehr in den Hintergrund rückt und zu einem Teil der „Produktpalette“ wird. Dass ich bald nur noch als Live-Podcasts getarnte Lesungen in meinen Feed gespült bekomme.
Aber es könnte auch anders kommen. Vielleicht wird das Buch zum Podcast einfach ein weiteres Standbein für die Podcaster:innen, das ihnen auch eine gewisse Unabhängigkeit ermöglicht. Für das Format, das sie bekannt und erfolgreich gemacht hat. Denn das lässt sich an der ganzen Entwicklung doch festhalten: Die Buchwerdung ist ein weiterer Beleg für die Podcast-Erfolgsgeschichte der letzten Jahre. Es gibt nicht mehr nur das Modell „Promi macht jetzt auch einen Podcast“, sondern auch das Modell „Podcast-Promi macht jetzt auch ein Buch.“
Darüber möchte ich mich erst einmal nicht beklagen, solange die Qualität der eigentlichen Podcasts – mal abgesehen von der zuweilen etwas unangenehmen Self-Promotion – nicht leidet. Denn selbst die erfolgreichste eierlegende Wollmilchsau droht irgendwann an Grenzen zu stoßen.
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