Podcast von Carsten Linnemann: Was „einfach mal machen“ bedeutet

Podcasttagebuch Carsten Linnemann ist nicht nur CDU-Generalsekretär, sondern auch Podcaster. Was treibt er in „Einfach mal machen“? Über ein Format zwischen Kuriosum und Blick auf das konservative Selbstbild
Ausgabe 35/2023
Carsten Linnemann
Carsten Linnemann

Foto: Ute Grabowsky/picture alliance/photothek

Bisher wusste ich über Paderborn sehr wenig. Aber seit Neuestem weiß ich immerhin zwei Dinge: Dass CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann ein Sohn der Stadt ist und Anhänger des Fußball-Zweitligisten SC Paderborn. Denn Carsten Linnemann ist nicht nur Hardliner der CDU, der regelmäßig mit Extrempositionen wie etwa der Arbeitspflicht für Bürgergeld-Bezieher:innen auf sich aufmerksam macht. Carsten Linnemann ist auch Podcaster.

Seit November 2022 gibt es seinen Podcast Einfach mal machen, die sieben Folgen habe ich mir inzwischen alle angehört – auf der Suche nach Einblicken in das konservative Lager und ein paar Kuriositäten. Denn eines muss man Linnemann lassen: Er weiß, wie er Aufregung generiert. Gerade waren Anna Schneider und Richard David Precht zu Gast, der wurde von Linnemann als einer der „ganz, ganz großen Philosophen“ vorgestellt, über den „noch in 200 bis 300 Jahren gesprochen wird“. Das sorgte für den erwartbaren Spott bei Twitter, doch Linnemann weiß, wovon er spricht: Er kommt aus einer Buchhändlerfamilie, und die hätte viel Geld mit Precht verdient. Na dann.

Nebenbei wird am CDU-Grundsatzprogramm gewerkelt

Zurück in die Gegenwart, mit der will sich Linnemann in seinem Podcast nämlich vor allem befassen – und mit der näheren Zukunft, die es von der CDU zu gestalten gilt. Durch „unser Land“ muss ein Ruck gehen, findet Carsten Linnemann: „Schluss mit Krise als Ausrede für Stillstand und ran an die großen Reformen.“ Und ganz nebenbei soll auch noch ein neues CDU-Grundsatzprogramm entstehen.

An fehlendem Selbstbewusstsein wird es nicht scheitern. Gleich in der ersten Folge sagt Linnemann, er wisse,dass sich viele auf den Podcast freuen, und: „Ich bin mir sicher, das wird gut.“ Tatsächlich gibt es schlechtere Moderatoren, er findet einen Draht zu jeweils zwei Gästen (bis auf Friedrich Merz exklusiv immer eine Frau und ein Mann), er kombiniert private, menschelnde und große gesellschaftliche Fragen von Integration bis Fachkräftemangel.

Allerdings klingt jede Folge so, als müsse Linnemann eine Art Reizwortgeschichte durchhecheln. Permanent kommt die Sprache auf das neue Grundsatzprogramm, an dem man ja übrigens arbeite, nicht fehlen darf außerdem der immer enger werdende Meinungskorridor, die Moral beziehungsweise Doppelmoral, die jede Debatte beherrsche, und die berühmten Twitter-Shitstorms. Aber gerade wenn es um vergiftete Debatten geht, wird es zu einem Fehler in der Matrix, wenn nahezu alle Gesprächspartner:innen einer Meinung sind mit Ausnahme von Ulrike Herrmann in der Folge über Klimakrise und Postwachstum.

Und so loben sich die Gäste von Philipp Amthor über Caroline Bosbach bis Ahmad Mansour entweder gegenseitig oder direkt selbst und klopfen sich ob ihrer Standfestigkeit im diskursiven Gegenwind auf die Schulter. Das ist oft kurios und unfreiwillig komisch. Etwa, wenn Caroline Bosbach das schnarchige Deutschland mit „den Chinesen“ vergleicht. Die würden klar verbalisieren, bis 2045 wollten sie die Weltherrschaft, und richteten daran ihre Strategie aus. „Warum können wir nicht mal sagen …“, fängt sie an und versucht dann die Kurve zu kratzen: „wir wollen wenigstens zu den drei besten Bildungssystemen der Welt gehören?“

Das Lachen bleibt einem da im Halse stecken. Denn Linnemann bleibt der Hardliner, der er immer gewesen ist. Und auch wenn er seine Positionen hier im vernünftigen Gespräch unter Gleichgesinnten scheinbar hermeneutisch herausarbeitet, machen sie doch eher Angst. Weil in ihnen Verachtung gegenüber armen Menschen steckt oder ein Ignorieren des Rechts auf Asyl. Man will sich lieber nicht vorstellen, was passiert, wenn Carsten Linnemann „einfach mal macht“. Aber wenn man den Podcast hört, ahnt man, wie er es den Menschen verkaufen würde.

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Geschrieben von

Benjamin Knödler

Product Owner Digital, Redakteur

Benjamin Knödler studierte Philosophie und Sozialwissenschaften an der Humboldt-Universität zu Berlin (HU). Neben seinem Studium arbeitete er als Chefredakteur der Studierendenzeitung UnAufgefordert, als freier Journalist, bei Correctiv und beim Freitag. Am Hegelplatz ist er schließlich geblieben, war dort Community- und Online-Redakteur. Inzwischen überlegt er sich als Product Owner Digital, was der Freitag braucht, um auch im Netz viele Leser:innen zu begeistern. Daneben schreibt er auch weiterhin Texte – über Mieten, Stadtentwicklung und Podcasts. Er ist außerdem Co-Autor zweier Jugendbücher: Young Rebels (2020) und Whistleblower Rebels (2024) sind im Hanser Verlag erschienen.

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