Von „11 Leben“ bis „Cui Bono“: Arbeitsweg is healing

Podcasts Schlechte Nachricht: Es geht zurück ins Büro. Gute Nachricht: Den Weg dorthin versüßen neue Erzählformate – und die sind mitunter preisverdächtig
Ausgabe 41/2021
Die Geschichte des Hackers und Unternehmers Kim Schmitz alias Kim Dotcom kann man nun in einem deutschen Podcast erfahren
Die Geschichte des Hackers und Unternehmers Kim Schmitz alias Kim Dotcom kann man nun in einem deutschen Podcast erfahren

Foto: Phil Walter/Getty Images

Erinnern Sie sich noch, zu Beginn der Pandemie: viele zu Hause, das öffentliche Leben zum Erliegen gekommen, die Flugzeuge am Boden. „Nature is healing“, haben die Leute da gesagt, weil auf einmal wieder irgendwelche Wildschweine durch die Stadt gezogen sind. Das ist sehr lange her.

Jetzt heißt es „Arbeitswelt is healing“, es geht zurück ins Büro. Diese Form des „healing“ kann man meiner Meinung nach ruhig in Anführungszeichen lassen, aber immerhin gibt dadurch wieder mehr Zeit dafür, Podcasts zu hören. Arbeitsweg, Mittagspause – da ist gutes Material gefragt.

Gibt es das? Im Frühjahr 2020 war der Running Gag, dass nun – im Angesicht der schier endlosen Zeit und der arg gekappten Mitteilungsmöglichkeiten – jeder Zweite (ja, es ging vor allem um Männer) zum Podcaster würde. Das war spöttisch gemeint, aber in der Sache hätte es ja auch schön sein können: morgens jagen, nachmittags fischen, abends podcasten – dem Kommunismus ein Stückchen näher. Wenn nun also wieder die Mühlen des Alltags mahlen, geht uns ein Haufen guter Podcast-Produktionen verloren?

Ehrlich gesagt sind mir die neuen, unkonventionellen Formate, ersonnen von Menschen mit verschiedensten – vor allem auch: nicht journalistischen – Hintergründen, nicht untergekommen. Ist ja auch kein Wunder. Arbeit, Familie, mentale Belastung: So frei war die freie Zeit eben nicht.

Und doch war nicht alles schlecht. Immerhin hat man in den letzten anderthalb Jahren auf dem deutschsprachigen Markt das Erzählen für sich entdeckt. In den USA ist man schon länger so weit. Die erste Staffel des US-Podcasts Serial aus dem Jahr 2014, in der die Journalistin Sarah Koenig einen alten Kriminalfall aufrollte, hat Maßstäbe gesetzt: Die direkte Ansprache der Hörer:innen, der erzählende Tonfall, als säße man mit der Journalistin am Küchentisch, der prägnante Soundtrack, der dazu führte, dass man jedes Mal in Gedanken in die Geschichte abtauchte, wenn man nur die Titelmelodie hörte.

Lange Zeit waren die Versuche, das hierzulande mit True-Crime-Formaten zu reproduzieren, hüftsteif. Deutschland eben. Doch in letzter Zeit sind Formate entstanden, die eine lockere Ansprache habe, die verstärkt mit Audio-Collagen und Archivmaterial arbeiten, die einen guten erzählerischen Bogen haben – zum Beispiel weil die Spurensuche selbst zum Erzählstrang wird.

Cui Bono: WTF happened to Ken Jebsen? ist da zu nennen – kürzlich mit dem „Preis für Popkultur“ in der Kategorie „Die schönste Geschichte“ ausgezeichnet. Oder Wild Wild Web – Die Kim Dotcom Story. Journalistin Janne Knödler (mit dem Kolumnisten nicht verwandt oder verschwägert) erzählt die Geschichte von Internet-Geschäftemacher Kim Dotcom – und nebenbei noch die von Internet und Urheberrecht. Begleitet wird das von schlau eingebauten O-Tönen, Soundschnipseln alter Werbeclips und einer Titelmusik, die keine Stangenware ist, sondern zum Gegenstand, der digitalen Welt, passt.

In die Reihe der guten Erzählformate gehört auch 11 Leben – Die Welt von Uli Hoeneß von Sportjournalist Max-Jacob Ost. Der Soundtrack ist nicht ganz so modern und hip, dafür ist die Geschichte von Uli Hoeneß, die gleichzeitig eine des deutschen Fußballs, der deutschen Gesellschaft und der deutschen Medien ist, so gründlich recherchiert, so voller spannender Gesprächspartner:innen und weiterer Geschichten, dass selbst dieses bereits mehrfach erzählte Leben fesselnd ist.

Klar, diese Form der biografischen Spurensuche kann sich auch totlaufen. Und irgendwann wird es womöglich mehr Spurensucher:innen als Protagonist:innen geben. Doch fürs Erste eignen sich diese Geschichten ganz hervorragend, um sich davon abzulenken, dass man wieder mit wehenden Fahnen in den Arbeitsalltag strampelt. Es hat fast etwas Heilsames.

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Geschrieben von

Benjamin Knödler

Product Owner Digital, Redakteur

Benjamin Knödler studierte Philosophie und Sozialwissenschaften an der Humboldt-Universität zu Berlin (HU). Neben seinem Studium arbeitete er als Chefredakteur der Studierendenzeitung UnAufgefordert, als freier Journalist, bei Correctiv und beim Freitag. Am Hegelplatz ist er schließlich geblieben, war dort Community- und Online-Redakteur. Inzwischen überlegt er sich als Product Owner Digital, was der Freitag braucht, um auch im Netz viele Leser:innen zu begeistern. Daneben schreibt er auch weiterhin Texte – über Mieten, Stadtentwicklung und Podcasts. Er ist außerdem Co-Autor zweier Jugendbücher: Young Rebels (2020) und Whistleblower Rebels (2024) sind im Hanser Verlag erschienen.

Benjamin Knödler

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