Von True-Crime bis Geschichtspodcasts – geht die Experimentierfreude verloren?

Podcasts „Es ist schon alles gesagt, nur noch nicht von allen“, hat Karl Valentin einmal gesagt. Nach diesem Motto scheinen Verlage neue Podcast-Formate zu entwickeln. Für das einstige Experimentierfeld sind das keine guten Aussichten
Ausgabe 13/2022
Wo man hinsieht, Geschichte: Basilius-Kathedrale in Moskau
Wo man hinsieht, Geschichte: Basilius-Kathedrale in Moskau

Foto: Kivrin/Golovanov/IMAGO

Dieses Zitat von Karl Valentin habe ich mir schon lange für die Podcast-Kolumne aufgehoben: „Es ist schon alles gesagt, nur noch nicht von allen“, hat der Münchner Komiker einmal gesagt. Und wüsste ich es nicht besser, könnte man meinen, er hätte damit die Podcast-Formate der Gegenwart beschrieben. Jetzt passt es jedenfalls gar zu gut. Denn neulich habe ich mich mal wieder etwas ärgern müssen. Über einen Podcast aus Valentins Heimatstadt München, genauer aus der Redaktion der Süddeutschen Zeitung. In Kooperation mit Spotify gibt es dort seit Mitte März den Podcast Geschichte Daily. Jeweils eine Woche lang wird dort ein Thema unter verschiedenen historischen Schlaglichtern beleuchtet – in täglich erscheinenden rund zehnminütigen Folgen. In der ersten Woche ging es um Russland, in der zweiten um die Oscars, jetzt ist das Impfen dran.

Endlich ein Geschichtspodcast, habe ich mir da gedacht, das gibt es ja zum Glück noch nicht. Also bei der Süddeutschen Zeitung. Denn in Wahrheit gibt es natürlich schon jede Menge Geschichtspodcasts. Deutschlandfunk Nova verwurstet seine Sendung Eine Stunde History schon im Voraus als Podcast, bei Zeit Online erscheint einmal im Monat der Podcast Wie war das noch mal?, der History-Podcast von radioWissen auf Bayern 2 heißt Alles Geschichte und so weiter und so fort. Einer der Pionier-Podcasts ist übrigens Geschichten aus der Geschichte, ein Indie-Podcast, bei dem sich die Hosts gegenseitig Woche für Woche eine Geschichte aus der Geschichte erzählen. Den Podcast gibt es seit sechs Jahren. Graue Vorzeit war das, als dieses ganze Podcastgedöns noch kaum einen Verlag so richtig interessiert hat.

Jetzt aber interessiert es die Verlage. Und so gibt es unzählige Geschichtspodcasts, viele davon hörenswert. Und ja, auch Geschichte Daily ist interessant: Die Redaktion hat sich die Mühe gemacht, die Folgen zu einem Überthema mit Cliffhangern zu verbinden. Und dann sind da die kleinen Kuriosa aus der Geschichte – ein Element, das auch Geschichten aus der Geschichte schon auszeichnete. Im Fall von Geschichte Daily zum Beispiel die Episode, in der es um den Zusammenhang von Arbeitskampf und Oscars geht. Worüber ich mich gleich auch wieder habe ärgern müssen, weil man sich als Podcast-Kritiker frei nach Georg Kreisler denkt: „Aber ich weiß sehr wohl, was Kritik ist, je schlechter, umso mehr freu’n sich die Leut.“ Auf diesem Wege konnte ich meiner Bitterkeit nicht Luft machen.

Am Ende droht der Einheitsbrei

Was bleibt, ist die Ursachenforschung. Woher kommt mein Ärger – oder vielleicht eher die Ernüchterung? Sie liegt wohl in der Nachahmung selbst. Klar, im Grunde ist an der „Adaption“ eines guten Modells nichts verkehrt. Ist ja gut. Und außerdem ist Nachahmung laut Oscar Wilde die höchste Form der Anerkennung (habe ich mir jetzt mal bei Oscar Wilde stibitzt). Nur ist es halt nicht gerade geistreich (in etwa so, wie Oscar Wilde zu zitieren).

Im Podcast-Bereich wird uns das besonders schmerzhaft vor Augen geführt: Erst waren da die Laberpodcasts, bis sich die Welt kaum noch vor labernden Buddies retten konnte, dann kamen die True-Crime-Podcasts, die Nachrichtenpodcasts, ganz schlimm auch die Prominente-Pärchen-Podcasts. All das hat es alles schon bei anderen Medienprodukten gegeben, nur passiert diese Entwicklung bei Podcasts in einem bemerkenswert kurzen Zeitraum – und macht ein vormals buntes Experimentierfeld platt. Die, die neue Dinge ausprobieren, die kleinen Formate, gehen im Zweifel irgendwann unter gegen die großen Medienhäuser. Am Ende droht der Einheitsbrei an „erprobten Formaten“. Genau deshalb sollten sich auch die großen Medienhäuser eine gewisse Experimentierlust bewahren. Sonst wird es ziemlich schnell ziemlich öde. Oder, um es mit Karl Valentin zu sagen: „Heute in mich gegangen. Auch nichts los.“

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Geschrieben von

Benjamin Knödler

Product Owner Digital, Redakteur

Benjamin Knödler studierte Philosophie und Sozialwissenschaften an der Humboldt-Universität zu Berlin (HU). Neben seinem Studium arbeitete er als Chefredakteur der Studierendenzeitung UnAufgefordert, als freier Journalist, bei Correctiv und beim Freitag. Am Hegelplatz ist er schließlich geblieben, war dort Community- und Online-Redakteur. Inzwischen überlegt er sich als Product Owner Digital, was der Freitag braucht, um auch im Netz viele Leser:innen zu begeistern. Daneben schreibt er auch weiterhin Texte – über Mieten, Stadtentwicklung und Podcasts. Er ist außerdem Co-Autor zweier Jugendbücher: Young Rebels (2020) und Whistleblower Rebels (2024) sind im Hanser Verlag erschienen.

Benjamin Knödler

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