Populistische Fremdherrschaft?

Schweiz Ganze Bevölkerungskreise sind auf den parteiideologischen Unsinn hereinfallen, den die SVP mit ihrer Initiative gegen Einwanderung verbreitet hat

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Populistische Fremdherrschaft?

Foto: FABRICE COFFRINI/ AFP/ Getty Images

Dass die Initiative angenommen wurde, ist an sich schon fragwürdig. Die Signale, die daraus entstehen können, sind unterschiedlich. Erstens kann es die Geringschätzung von allem bedeuten, was ausländisch ist. Dabei ist es nicht einmal ein ausgesprochenes schweizerisches Phänomen. Zweitens kann es eine Einigelung der Schweiz bedeuten, was aber widersinnig wäre, weil die Schweiz – gerade wegen der Kleinheit – extrem vom Ausland und der EU abhängig ist. Und dies nicht nur wegen des Warenaustausches, sondern weil ohne Ausländer in der Schweiz das Land nicht zum heutigen Wohlstand gekommen wäre. Ebenso der Erhalt dieses Wohlstandes! Aber das interessiert die Initianten der Abstimmung nicht.

Eine dritte Bedeutung liegt darin: Wenn die nationalistische und rechtspopulistische SVP es fertigbringt, mit plumpen Annahmen (Straßenbahnen und Züge seien überfüllt) und mit falschen Fakten (Im Jahre 2060 werde es in der Schweiz 16 Millionen Einwohner und mehr Ausländer als Schweizer haben), dann ist dies bedenklicher als die Annahme der Initiative. Dies ist nämlich der Beweis, wie ganze Bevölkerungskreise auf parteiideologischem Unsinn hereinfallen, dessen Urheberschaft zum größten Teil beim selbsternannten Strategen und finanziellen SVP-Gönner Christoph Blocher liegt.

Es gibt noch einen vierten Aspekt. Es ist davon auszugehen, dass nicht alle Ja-Stimmen von Blocher-Fans oder SVP-Parteigängern stammen. Vermutlich durchziehen die Ja-Stimmen alle möglichen Bevölkerungskreise, möglicherweise auch andere Parteien. Es ist leicht, nach außen hin die weltoffenen Typen zu spielen, doch wohin sie beim Urnengang das Kreuz platzieren, weiß niemand.

Gerät die Schweiz unter Druck?

Mit dem Abstimmungsergebnis wird die Schweiz in den nächsten Jahre leben müssen. Wie die Schweizer Regierung mit dem Resultat umgeht, steht auf einem anderen Blatt. Christian Müller vom «Infosperber» fasst es treffend zusammen 1:

Die Situation könnte kaum paradoxer sein. Da kämpft eine Partei mit dem Argument, es dürfe keine Fremdbestimmung geben, gegen Alles und Jedes, was nach EU tönt. Und sie lanciert eine Volksinitiative, die, nach ihrer innenpolitischen Umsetzung, klar gegen bestehende Verträge mit der Europäischen Union verstösst. Und diese Initiative ist nun heute, wenn auch knapp, angenommen worden.

Die Verstöße gegen EU-Verträge, falls es zur Umsetzung kommt, sind vorprogrammiert. Es ist nicht anzunehmen, dass sich das die Europäische Union so einfach gefallen lässt. Aber dies ist der Punkt: Christoph Blocher und seine SVP bekunden permanent ihre Aversionen gegen die EU. Dies könnte zum Bumerang für die Schweizer Politik werden, denn nicht die Schweizer Politiker werden bei Neu- oder Nachverhandlungen den Ton angeben, sondern die EU-Administration. Die EU hat Mittel genug, um die Schweiz im Nerv zu treffen. Nur zur Erinnerung: 2012 betrug der Exportanteil zur Europäischen Union 59 Prozent (CHF 125 Milliarden), der Anteil der Importe aus der EU sogar 76 Prozent (CHF 141 Milliarden) 23.

Die EU kann darauf verzichten, die Schweiz hingegen nicht. Noch hält sich die EU bedeckt und spricht von einem bedauerlichen Entscheid 4, obwohl es bereits ein paar EU-Politiker gibt, die offen drohen. Um was es bei den Verträgen geht, darüber gibt eine einschlägige PDF-Datei der EU Auskunft 5

Tatsache bleibt, dass die Schweiz aus heutiger Sicht gegenüber der EU im Nachteil ist, wenn es um die Frage der Freizügigkeit geht. Dennoch haben sowohl die Schweiz als auch die EU – Deutschland inklusive – einen gemeinsamen Nenner: Ob man es wissen will oder nicht, es bleibt das gemeinsame Unbehagen über «Risiken und Nebenwirkungen der Personenfreizügigkeit», wie die Süddeutsche Zeitung vorgestern schrieb 6. Es stimmt nachdenklich, wenn die Zeitung weiter schreibt: «Ließe man Niederländer, Deutsche oder Franzosen über die Zuwanderung abstimmen, fiele das Ergebnis wohl nicht viel anders aus als in der Schweiz.» Ein Trost ist das nicht, aber vermutlich zutreffend.

Populistische Fremdherrschaft

Christoph Blochers Fremdherrschaftsgerede, das seine Getreuen der SVP übernehmen, hat noch einen ganz anderen Aspekt. Blocher und die SVP stellen aus ideologischer Sicht nicht das Schweizer Volk dar. Klar, das Volk hat entschieden, weil es den populistischen Argumenten gefolgt ist. Damit haben sich die Bürger – so meine These – zu 50,3 Prozent eine populistische Fremdherrschaft eingehandelt. Christoph Blocher, deshalb ein moderner Gessler? Nein, so weit muss man nicht gehen. Aber mit Sicherheit ist er kein Wilhelm Tell, weil er eine Schweiz verteidigt, die so nicht existiert.

Die Befürchtung ist nicht unberechtigt, weil das Abstimmungsergebnis zu einem weiteren Aufschwung für für europäische Populisten und Nationalisten führen kann 7. Vermutlich hat es Horst Seehofer von der deutschen CSU bereits vorher gemerkt, indem er es mit seiner populistischen Masche versuchte («Wer betrügt, der fliegt») 8. Prompt steigt die «Alternative für Deutschland» (AfD) in den Zug der SVP ein, wie die Frankfurter Allgemeine Zeitung über Bernd Lucke berichtet 9:

«Unabhängig vom Inhalt des Schweizer Referendums ist auch in Deutschland ein Zuwanderungsrecht zu schaffen, das auf Qualifikation und Integrationsfähigkeit der Zuwanderer abstellt und eine Einwanderung in unsere Sozialsysteme wirksam unterbindet.»

Dieser umtriebige Lucke meint sogar,

«Volksabstimmungen zeigten, wo dem Volk der Schuh drücke und welche Probleme die Regierung vernachlässige».

Dem kann der Bürger-Herold nicht zustimmen. Bernd Luckes Unsinn (wie auch von Roger Köppel) konnte man bei Plasberg nochmals hautnah in «Hart aber fair» erleben. Die Art und Weise, wie die SVP den Abstimmungskampf geführt hat, zeigt, dass dem Volk dort der Schuh drücken soll, wo es die Partei will – eines der Markenzeichen aller Populisten und kein Einzelfall.

  1. Christian Müller: Die Schweiz spielt den Ball der EU zu. «Infosperber», 10.2.2014
  2. Einfuhren der Schweiz aus der EU. Excel-Tabelle, Schweizerische Eidgenossenschaft
  3. Ausfuhren der Schweiz nach der EU. Excel-Tabelle, Schweizerische Eidgenossenschaft
  4. EU-Kommission prüft Konsequenzen. EU-Vertretung in Deutschland
  5. Faktenblatt. PDF-Datei, EU-Vertretung in Deutschland
  6. Freizügigkeit, nein danke. Süddeutsche Zeitung, 9.2.2014
  7. Europas Rechte jubilieren. Süddeutsche Zeitung, 11.2.2014
  8. Uwe Pawlowski: Ach, der Horstl. Bürger-Herold, 7.1.2014
  9. Merkel sieht erhebliche Probleme mit der Schweiz. Frankfurter Allgemeine Zeitung, 10.2.2014
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