„Ihm ist, als ob es tausend Stäbe gäbe und hinter tausend Stäben keine Welt.“ Rainer Maria Rilke schrieb sein berühmtes Gedicht Der Panther 1902 oder 1903, nachdem er im Pariser Jardin des Plantes die exotischen Tiere in ihren Käfigen gesehen hatte. Rilkes Beobachtung eines in Gefangenschaft degenerierten Raubtiers verstört bis heute: „Der weiche Gang geschmeidig starker Schritte, der sich im allerkleinsten Kreise dreht.“ Lang vorbei scheinen die Zeiten, in denen mitteleuropäische Zoos ihre Besuchermagneten auf derart engem Raum hinter Gitter gesperrt haben.
Heute sind die Flächen meist größer, die Knastästhetik ist verschwunden. Tiere leben hinter Glas, es gibt kaum noch Betonböden, bisweilen verzichten Zoo
ilen verzichten Zoos auf jede Absperrung. Wer genau hinsieht, entdeckt aber weiterhin starke Einschränkungen für die Tiere. Weil etwa Eisbären gern Büsche ausreißen, ist das Grünzeug in den Gehegen oft mit Elektrogras gesichert. Das sind Strom führende Drahtbüschel, die grün beschichtet sind, damit die Besucher sie nicht bemerken. Wenn statt Gittern und Gläsern große Gräben gezogen werden, geht den Tieren noch mehr Platz verloren. Außerdem sind solche Bauarten gefährlich: In mehreren Zoos sind Menschenaffen in den wasserbefüllten Gräben ertrunken. In Arealen für Huftiere liegen um die Bäume herum oft spitze Steine, damit die Tiere sich nicht am Stamm scheuern können – und die Besucher einen ästhetisch ansprechenden Baum zu Gesicht bekommen, auf den das Tier verzichten könnte.Nicht alles, was in heutigen Zoos natürlich aussieht, ist eine Verbesserung für die Tiere. Vielmehr stellt sich inzwischen die Frage, ob diese Art der Gefangenschaft leidfähiger Wesen zur Bespaßung des Menschen noch zeitgemäß ist. Eine Frage, die heftige Reaktionen hervorruft. Wer daran Kritik äußert, sieht sich immer öfter als Teil der vermeintlichen Verzichtsverschwörung gebrandmarkt, nach dem Motto: „Jetzt wollen diese Linksgrünversifften uns auch noch unseren geliebten Zoo verbieten!“Tiere kriegen AntidepressivaUnstrittig sollte zumindest sein, dass sich einige Tiere nicht für eine Zoohaltung eignen. Das betrifft in aller Regel jene, die den Parks als Flaggschiff-Arten gelten, weil sie die Besucherzahlen steigern: Elefanten, Nashörner, Delfine, große Raubkatzen oder Menschenaffen. Kein Tier jedoch ist im Zoo so beliebt und zugleich so deplatziert wie der Eisbär. Ganz abgesehen davon, dass es ihm in gemäßigten Klimazonen fast immer zu warm ist, nimmt sein Lebensraum in freier Wildbahn gigantische Ausmaße an. Bei Eisbären zeigt sich, was für viele Zootiere zur Qual wird: Sie langweilen sich und entwickeln Verhaltensstörungen, die man Stereotypien nennt. Sie gehen apathisch im Gehege auf und ab, die Reizarmut der Umgebung lässt sie psychotisch werden; was nicht wenige Zoos mit Antidepressiva behandeln, anstatt den Grund des Elends sehen zu wollen.Das gilt auch für höher entwickelte Tiere wie Menschenaffen. Die Freianlagen für Schimpansen liegen im Vergleich zu den Revieren, die sie in Freiheit durchstreifen, im Zehntelpromillebereich. Sie brauchen klimatisch angepasste und abwechslungsreich gestaltete Lebensbedingungen. Gerade Affen benötigen Spielräume für Bewegung und anspruchsvolle Tätigkeiten, sie müssen ihrer sozialen Natur gemäß Gruppen bilden und einander aus dem Weg gehen können. Vor allem dürfen sie nicht permanent den Blicken der Menschen ausgesetzt sein. Das erzeugt einen Dauerstress, der den Tieren anzusehen ist. Wenn ein Wildtier solche Stereotypien zeigt, sollte es nicht in Gefangenschaft leben.Zoodirektoren mögen es noch so bestreiten, doch Zoos sind fast immer in erster Linie nach den Bedürfnissen der zahlenden Kundschaft gestaltet. Es geht heute mehr denn je darum, dem Besucher ein Freizeitpark-Erlebnis zu ermöglichen. Führungspersönlichkeiten der Zoos kommen immer häufiger nicht aus der Zoologie, sondern aus dem Marketing. Wasserrutschen oder Park-Eisenbahnen sind dann wichtiger als das Wohlbefinden der Tiere.Ein zentrales Rechtfertigungsargument für die Existenz der Zoos bleibt auch unter diesen Bedingungen die Bildung. Menschen, die sich von der Natur entfremdet haben, lernen demnach durch direkten Kontakt, das Tier zu respektieren. Auch das ist aus mehreren Gründen falsch. Zum einen legt das Argument nahe, es sei prinzipiell legitim, Tiere in Gefangenschaft zu halten, nur damit Menschen etwas lernen können. Die meisten Tierparks unterhalten Zooschulen für Kinder. Dort geht es fast nur um die Vermittlung biologischer Schulbuch-Informationen, fast nie jedoch um tierethische Fragen. Zooschulen sollen vor allem die Kunden von morgen akquirieren. Es ist eine Pädagogik nach den Gesetzen des Marktes. Vollends absurd wird es, wenn man das Angebot in Zoorestaurants studiert, die meist Fleisch aus Massentierhaltung anbieten. Wenige Meter entfernt stehen häufig Info-Tafeln, die ausgerechnet vor dem Verzehr von Soja warnen, das viele Vegetarier und Veganer als Fleischersatz nutzen. Wer Soja konsumiere, der mache sich mitschuldig an der Zerstörung der Regenwälder. Was dort nicht steht: Menschen verzehren direkt nur zwei Prozent der weltweiten Soja-Ernte. 80 Prozent werden an „Nutztiere“ verfüttert.Doch was ist mit dem Argument, der Zoobesuch sensibilisiere Menschen für die Belange der Tiere? Einem genauen Blick hält auch das nicht stand. Allein die im Zoo vorgeführte „Notwendigkeit“, Tiere einzusperren, weil sie draußen zu Schaden kommen oder Schaden anrichten könnten, lässt die Gefangenschaft als „richtig“ erscheinen. Galt es noch bis vor wenigen Jahren als zentrales Ziel der Zoos, Arten zu erhalten und Tiere auszuwildern, steht nun der Slogan vom Tier als „Botschafter seiner Art“ im Mittelpunkt der Propaganda. Doch hat das allzu kurze Leben des berühmten Eisbären Knut im Berliner Zoo die Eisbären und die Arktis gerettet? Eher hat der Hype um den knuffigen Kerl die Kassen klingeln lassen.Orang-Utans leben noch immer in Zoos, während ihre Artgenossen in freier Wildbahn kurz vor dem Aussterben stehen. Die 22 Millionen Euro, die der Bau des 2013 eröffneten Menschenaffenhauses in Stuttgart gekostet hat, entsprechen ziemlich genau jenem Betrag, auf den die Vereinten Nationen die erforderliche Soforthilfe zur Rettung der akut vom Aussterben bedrohten Großaffen beziffert haben. Getan hat sich fast nichts. Die deutschen Zoos geben jährlich etwa vier Millionen Euro für den Tierschutz aus. Bei 40 Millionen Zoobesuchern pro Jahr und einem angenommenen Durchschnittspreis von zehn Euro sind das gerade einmal zehn Cent pro Eintrittskarte.Von Costa Rica lernenWas also ist zu tun? Die Sozialwissenschaftlerin Laura Zodrow und der Psychologe Colin Goldner schreiben in ihrem Buch Zirkus und Zoo. Tiere in der Unterhaltungsindustrie, dass in Costa Rica 2014 alle Zoos geschlossen oder in botanische Gärten umgewandelt wurden. Die Tiere sind inzwischen ausgewildert oder leben in Nationalparks. In Griechenland sind seit 2014 die Zooschulen verboten. So weit kann und muss man noch nicht überall gehen. Alle Tiere aus den Zoos sofort freizulassen, würde niemandem helfen. Doch die Vorteile einer Haltung von Wildtieren sollten die Nachteile immer überwiegen. Wildschweine beispielsweise können in Gefangenschaft bis zu 30 Jahre alt werden, in Freiheit klappt das nicht – was nicht nur daran liegt, dass der Mensch sie gerne jagt. Eine optimale medizinische Versorgung wiegt aber nicht den Nachteil auf, dass die meisten Wildschweine in Zoos viel zu wenig Platz haben.Ginge es wirklich um Arten- und Naturschutz, um Respekt und Empathie, dann gäbe es in Europa anstelle der Zoos zahlreiche Nationalparks. Solange die Zoos in Europa fortbestehen müssen, braucht es andere Besuchermagnete. Im Vergleich zu Löwen und Eisbären würden sich Elche und Braunbären wohler fühlen, wenn die Gehege artgerecht gebaut wären und ihnen Rückzugsgelegenheiten blieben. Der Kauf eines Zootickets dürfte nicht mehr gleichbedeutend sein mit dem Recht, auf jeden Fall zu jeder Tageszeit jedes Tier zu Gesicht zu bekommen. Zoos sollten nicht mehr damit prahlen können, wie viele Tierarten sie beherbergen, sondern eher damit, dass sie relativ wenigen Tieren viel Platz gewähren. Um Jugendliche zu lehren, was der Mensch mit Tieren anstellt, wären Besuche in Mastanlagen sinnvoller als Zooschulen. Außerdem bietet Virtual Reality die Möglichkeit, imposante Tiere kennenzulernen, ohne sie einsperren zu müssen. Vor allem aber sollten Zoos verpflichtet werden, an der eigenen Abschaffung zu arbeiten. Denn auch für Wildtiere gilt das Recht, nicht Eigentum anderer zu sein.Placeholder authorbio-1
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