Eine Stadt gibt sich auf

Wahldebakel Die Bürger Bremens haben den Regierenden ihr Misstrauen ausgesprochen. Die Stadt braucht eine Regierung, die sich den sozialen Notlagen zuwendet
Ausgabe 20/2015
"Kommt mit", sagte der Hahn, "etwas Besseres als den Tod werden wir überall finden!"
"Kommt mit", sagte der Hahn, "etwas Besseres als den Tod werden wir überall finden!"

Foto: Sepp Spiegl/imago

Nach der Wahl in Bremen stellen sich unangenehme Fragen. Und dabei ist die nach der Paradoxie, dass eine Landesregierung fast 14 Prozentpunkte verliert, und trotzdem darauf pocht, weiter zu regieren, noch die leichteste. Es hat mit dem Wahlrecht zu tun, das nur anscheinend viele Optionen bietet. Vielen Bremern ist es offenbar schnuppe, was alles auf dem Wahlzettel steht – sie machen kein Kreuz: Von Rechtsaußen über die National- und Wirtschaftsliberalen sowie die schwarze und grüne Mitte bis ganz nach links gab´s alles, was des Wählers Herz begehrt. Keine dieser Möglichkeiten hat die Wahlberechtigten überzeugen können.

Hierin liegt das eigentliche Problem der Wahl in der Hansestadt und ihrer Hafenexklave an der Nordsee: Bremen ist, mindestens in Stadtteilen wie Tenever oder Gröpelingen eine soziale Risikozone: Nirgends in der Republik sind die Schulergebnisse schlechter, ist die Zahl der Arbeitslosen und Sozialhilfeempfänger höher. Wie gefährlich es in Bremen ist, lässt sich inzwischen an den Haaren von Kleinkindern ablesen: Nach dem grauenvollen Tod des zweijährigen Jungen Kevin, der in einer Drogenfamilie starb, hatte man Haarproben mehrerer Hundert Kinder auf Rückstände untersucht. Das Ergebnis: Bei 255 Bremer Kleinkindern fand man heraus, dass sie schwer drogenabhängig sind – obwohl sie selbst noch gar keine Drogen nehmen können.

Das ist der Bremen-Schock: Seit 70 Jahren regiert dort die SPD, eine qua Selbstdefinition soziale Partei. Zuletzt tat sie es zusammen mit den Grünen, die vor Reformideen nur so sprühen. An der Hoffnungslosigkeit der Menschen in bestimmten Stadtteilen hat dies nichts ändern können. Dafür haben die Bürger den Regierenden ihr Misstrauen ausgesprochen – sie geben sich praktisch auf.

Regierungschef Böhrnsen hat seine Konsequenz gezogen, er will nicht mehr als Bürgermeister antreten. Aus seiner Sicht mag das ein ehrbarer Schritt sein. Wann hat schon mal ein rechnerischer Wahlgewinner auf sein Amt verzichtet? Für die Stadt und die massiven Probleme manches ihrer Bürger allerdings reicht dies nicht aus. Bremen braucht eine Regierung, die sich den sozialen Notlagen in den gefährdeten Bezirken glaubwürdig und wirksam zuwendet. Das ist keine arithmetische Frage, sondern eine der Zukunft von Politik.

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Geschrieben von

Christian Füller

http://christianfueller.com

Christian Füller

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