Und raus bist du!

Internet Sein oder Nichtsein im Netz: Wer seine digitale Existenz Fremden anvertraut, sollte die AGB gut lesen
Ausgabe 32/2016
Die Cloud ist nicht immer ein sicherer Ort für persönliche Daten
Die Cloud ist nicht immer ein sicherer Ort für persönliche Daten

Foto: Blickwinkel/Imago

Google ließ im digitalen Wunderland gerade einen Schriftsteller verschwinden. Mit einem Schlag löschte die Google-Tochter Blogspot den literarischen Blog von Dennis Cooper. Kein Inhalt war mehr zugänglich, auch nicht Coopers Romanprojekt Zac’s Freight Elevator. Selbst sein E-Mail-Konto wurde ausgeknipst. „Es tut uns leid, das Blog wurde entfernt“ – so karg wurde die Löschung verkündet. Und raus bist du!

Coopers Literatur ist als grenzgängerisch bekannt. In seinem Buch Frisk finden Lustmorde an jungen Männern statt. Für die queere Internet-Enzyklopädie glbtq.com ist er einer der kontroversesten Autoren der Gegenwart. Cooper selbst hatte seinen Blog mit einem „NSFW“-Hinweis versehen, auf Deutsch: für unter 18-Jährige nicht geeignet.

Die schlichteste und zugleich marktwirtschaftliche Antwort auf den Fall des Dennis Cooper lautet: „Lies! Deine! Allgemeinen Geschäftsbedingungen!“ Jeder Nutzer unterwirft sich qua Zustimmung diesen Regeln – auch wenn er sie weder verstanden hat noch deren Eintreten für wahrscheinlich hält. Solange Wettbewerb besteht, hat der Blogger, Foto- und/oder Film-Hochlader immerhin die Wahl: Er kann seinen Blog auch auf einem bezahlten Server betreiben, unter einer eigenen Web-Adresse. Der simpelste Tipp: jeden Blogeintrag präventiv abzuspeichern. Woher eigentlich rührte Coopers Vertrauen, sein Werk in die Hände eines Konzerns zu legen – und keine Sicherheitskopie zu behalten?

Freilich ist Coopers Problem kein privates: Online-Kommunikation ist, so schändlich sie im Einzelfall erscheinen mag, Teilhabe an politischer Öffentlichkeit. Der Schaden, der bei Löschungen entsteht, ist nicht nur der Verlust an Daten, sondern der an Aufmerksamkeit. Sie zu garantieren, sollte eine generelle öffentliche Aufgabe werden. Das heißt, es muss Auftrag öffentlich-rechtlicher Medien sein, Chancen auf Aufmerksamkeit herzustellen – diskriminierungsfrei.Bei dem laxen Umgang mit Konflikten, die Online-Plattformen durch Löschen auslösen, kann es nicht bleiben.

Derzeit sprechen Google & Co Recht in eigener Sache. Viele Eingriffe der Plattformbetreiber – Löschen, Sperren, Aus-Der-Suchmaschine-Nehmen – sind ja politisch gewollt, etwa bei Verletzungen des Urheberrechts oder bei Missbrauchs-Abbildungen. Für Nutzer ist der Eingriff trotzdem schlecht vorhersehbar, der Prozess ist nicht transparent, und Rechtsmittel sind faktisch ausgeschlossen. Die Lösung kann nur lauten, sich wieder formeller an Rechtsfragen zu orientieren. Erstens Nutzungsbestimmungen zu vereinheitlichen, zu erläutern und mit Entscheidungsdokumentationen anzureichern. Zweitens strittigen Fällen Gehör zu verschaffen – hier ist auch die Politik gefragt. Drittens muss eine Instanz geschaffen werden, die über alle Anbieter hinweg das Sperren von Publikationen und Konten überprüft, etwa ein Zensur-Ombudsmann.

Die Auslöschung des Cooper-Blogs wirft die grundsätzliche Frage auf: Wer sind wir, wenn wir uns im Wunderland Internet mit Texten, Bildern und Kommunikation verwirklichen? Eingeborene, Künstler, Kopierer – oder vielleicht doch nur Mieter, Gäste und Kunden, über deren Sein oder Nichtsein im virtuellen Reich der Kollaboration andere jederzeit willkürlich verfügen können? Was der Fall lehrt, ist, Blogger und Surfer nachdrücklich an die virtuellen Eigentumsverhältnisse zu erinnern: „Die Cloud“, das ist ein Synonym für „fremder Leute Computer“.

Christoph Kappes ist Netztheoretiker, Internetunternehmer und Autor

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