Freddie Lion liegt zerschlagen vor der BBC

The Hour&Serienelend In "The Hour" (Arte) zeigen Romola Garai, Ben Whishaw, Dominic West & Co., dass in TV-Serien Kunst möglich ist. Die BBC traute sich gegen die Quote. Wer berichtet davon?

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Freddie Lion liegt zerschlagen vor der BBC

„The Hour“ hielt gerade einmal zwölf Folgen durch, dann zogen die BBC- Verantwortlichen den Stecker und sprachen die absolute Wahrheit des Quotenpublikums aus, die heute als Demokratieäquivalent gilt, so, wie eben die GroKo, kurzentschlossen, lang verhandelt und entschieden, der gemeinsame Nenner der 80% plus-Mehrheit ist, wenn man simpel immer eins und eins zusammenzählt.

Was Neues muss her oder aber das Altbekannte und Gewohnte gewohnheitsmäßig so versimpelt, dass die Gegenwart zur fortgesetzten ewigen Zukunft gerät.

Auf Arte hat man schon länger und immer wieder den Mut, den absoluten Massengeschmack absichtlich nicht zu bedienen und sendete daher alle zwölf Folgen der BBC, so, wie man „Monroe“, die Arztserie aus dem roten Backsteinkrankenhaus ausstrahlte und Jane Campions „Top of the Lake“ aus Neuseeland und „Borgen“, die hundertschichtige Politik- und Medien-Story der Dänen und „Breaking Bad“, den Abgrund der Menschenmöglichkeiten aus den USA.

Auf Arte zeigten sie „Les Déferlantes“/“Die Gestrandeten“, mit Schauspielern die wirklich Gesicht zeigen dürfen. Vor allem die wunderbare Sylvie Testud und zum letzten Mal Daniel Duval, jenes Gesicht mit unvergleichlicher Stimme, Ikone des französischen Films seit den 70er Jahren des letzten Jahrhunderts, bevor er nun verstarb. - Das wäre zum Beispiel ein Film gewesen, der in der Glückswoche ins Hauptprogramm gehörte, direkt nach den täglichen Bundesnachrichtendiensten gesendet.

Eine so aufwendig und liebevoll produzierte, bis ins Interieur stimmige Journalismus-Crime story wie „The Hour“, hatte in den ersten sechs Folgen zwischen 3 Millionen und 1,8 Millionen Zuschauer auf der noch zur EU gehörigen Insel. Hierzulande würde ein Tatort- Pärchen oder Team, so wie es derzeit Mode ist, bei dieser Quote nach der ersten Folge abserviert. Die zweite Sechserstaffel kam auf 1, 8 – 1,5 Millionen Zuschauer.

Aber was entgeht den zweiten und ersten Augen Deutschlands, wenn sie sich weiterhin, in Szene gesetzt mit dem weltgrößten Etat für öffentlich-rechtliche Medien, den Geschmack und die Intelligenz durch die ewigen Vorabendserien und die Dauerkrimis in der frühen Abendwachphase nach unten drücken lassen? Was entgeht Qualitätszeitungen, wenn sie zwar genügend Profis jede Woche stundenlang dem Publikumsgeschmack hinterhersurfen lassen, um dem wiederkäuend und arschkriechend Bestätigungsadressen für den massenhaft schlechten Geschmack zu schreiben, das Besondere aber nicht mehr ausreichend würdigen?

Kein Luxusblatt des allgemeinen veröffentlichten Geistes verzichtet auf ausführliche Nachbesprechungen der ewiggleichen Serien, Shows und Talks, die mittlerweile die Moderatoren und Gäste dort so langweilen, dass sie, im munteren Austausch zwischen Sendern und Sendeanstalten, sich schon selbstironisch als große Werbeveranstaltung schön reden.

Vom Interview-Slot bis zur hochgehaltenen CD und dem Promi-Buch direkt in die Kamera gedrückt, von der ewigen Wiederkehr der Selbstreferenz der gigantischen Anstalten, bis zur ödesten Folge von „In aller Freundschaft“. Käse, Käse, Käse! - Und Freddie Lion musste sich die Knochen zerschlagen lassen, für ein paar Hundertausend?

Macht Arte zum Hauptprogramm und schon ist ein wenig Freiheit, auch Pressefreiheit, zurückgewonnen, wird in der Presse dazu erweitert und kunstvoll geschrieben.

Christoph Leusch

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