Erlebnisse in der "Dritten Welt"

Guinea Bissau (4) Lebens- und Arbeitstationen im Ausland seit 1976. Aufzeichnungen für die Daheimgebliebenen

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Guinea Bissau (4)

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Foto: Praia de Bruce (Strand von Bruce), Insel Bubaque, Guinea Bissau, öffentliche Postkarte

Wenn ich wüsste, wie S. das nur angestellt hatte. Meinen ersten gemeinsamen Geburtstag begingen wir am 1. Juli 1978 auf der Bijagos-Insel Bubaque. Das Hotel mit den von schwedischer Entwicklungshilfe finanzierten Holzbungalows liegt an der Nordspitze der Insel, nahe dem kleinen Verwaltungssitz Bubaque. Um an den kilometerlangen makellosen, einsamen Sandstrand Bruce ganz im Süden zu gelangen, hatte der Präsident eine 20 km lange Asphaltstraße quer durch den Ölpalmenwald anlegen lassen. Unsere kleine Gruppe war wie immer, wenn wir ein Wochenende auf dieser Insel verbrachten, mit ausgeliehenen Fahrrädern schon früh in der Kühle des Waldes Richtung Praia de Bruce unterwegs.

[In meinem Roman: „Abschied von Bissau“ (bei Amazon) habe ich in literarischer Form u.a. die Kolonialzeit von Guinea Bissau wie auch die ersten Jahre der Unabhängigkeit bis zu Beginn des Bürgerkrieges in den 90er Jahren beschrieben. Da ist auch von Bubaque die Rede.]

Als wir nach zwei Stunden Schwimmen im transparenten, lauwarmen Meer, Strandspaziergang und Beobachtung von zahlreichen Seevögeln und vorbeiziehenden Delphinen hungrig aufs Essen wurden, deckten S. und ihre Freundin Fernanda den groben Holztisch mit Kalebassen-Schalen, gefüllt mit Erdbeeren und Schlagsahne obenauf. Ich kam aus dem Staunen nicht heraus: Bei 35 Grad Hitze, strahlendem Sonnenschein trotz Beginn der Regenzeit, in einem Land fern von jeglicher Versorgung mit europäischen Leckereien Erdbeeren mit Schlagsahne unter schattenspendenden tropischen Bäumen zu verspeisen, war tatsächlich für mich das Höchste der Geburtstagsgefühle. S. wusste, dass mir meine Mutter in der Nachkriegszeit zum Geburtstag stets die ersten selbst geernteten Erdbeeren mit Schlagsahne schenkte. S. hatte sich die Früchte und die Sahne am Vorabend von Bekannten aus Lissabon mit dem Nachtflug mitbringen lassen.

Die zweijährige Beziehung zu S. fiel in eine entscheidende Phase meiner ersten Auslandstätigkeit und trug dazu bei, mein ganzes Berufsleben als Entwicklungsberater im Ausland zu verbringen. Bevor ich sie kennenlernte, hatte ich häufig darüber nachgedacht, ob der dreijährige Vertrag mit „Dienste in Übersee“ für mich sinnvoll sei oder nicht. Ich werde versuchen, die Zwiespältigkeit und das Dilemma meiner Situation zu Beginn des Aufenthaltes in Bissau zu beschreiben. Das hat viel damit zu tun, wie bis heute „linke“ Metropolenmenschen mit der Sehnsucht nach einer besseren Welt die Augen vor der kruden Realität autoritärer Regime, die antiimperialistisch (gegen die Interessen des US-Imperiums) handeln, verschließen. Auch heute wird immer noch Beifall für Staaten wie Kuba, Venezuela, Russland und andere geklatscht oder der unermüdlichen Guerillatätigkeit von Che Guevara gehuldigt, ohne dass der menschenverachtende Charakter dieser Staaten oder der politischen Führer gesehen wird. Vielen „Linken“ reicht für politisches Handeln, dass der US-Imperialismus bekämpft wird.

Wie ich bereits andeutete, ging ich hoffnungsvoll aber auch kritisch an meine Arbeit in Bissau. Außer mir gab es zwei Jahre nach Erlangung der Unabhängigkeit aus westlichen Ländern nur einige wenige staatlich finanzierte „Kooperanten“. Sie kamen aus Schweden und Holland. Die Regierungen beider Staaten unterstützten den afrikanischen Sozialismus von Beginn an, glaubten sie doch an die Mär von einem sozialistischen Afrika mit menschlichem Antlitz. Andererseits bekam Guinea Bissau massive Unterstützung aus den sozialistischen Staaten, insbesondere der Sowjetunion, der DDR und Kuba. Letztere Staaten hatten sogleich Botschaften vor Ort und Mitarbeiter zum sozialistischen Aufbau. Die Kooperanten der sozialistischen Staaten lebten in von jeweiligen Geheimdiensten überwachten „Compounds“ bzw. in leicht zu überwachenden Gebäudekomplexen. Die Ausnahme bildeten einige Kooperanten aus dem ehemaligen Jugoslawien, zu denen wir wenigen „Westler“ guten Kontakt hatten. Wir selbst wohnten selbstverständlich da, wo wir es für richtig und am günstigsten hielten. Auch bestand für uns keinerlei Bewegungsbeschränkung im Lande.

Ich wohnte schon bald in einem kleinen Häuschen in einer geschlossenen Zuckerplantage eines weißen Kapverdiers im „bairro“ Santa Lucia. A. hatte es vorgezogen, erst einmal abzuwarten, ob ihn das neue sozialistische Regime vollends enteignen würde oder nicht. Er war schon vierzig Jahre im Lande, hatte mehrere Cashew- und Zuckerfarmen während des Kolonialismus besessen, die das sozialistische Regime bis auf zwei Ausnahmen umgehend enteignet hatte, und war allgemein anerkannt als bester Kenner tropischer Landwirtschaft in Guinea Bissau. Seine Zuckerrohrschnaps-Produktion war in der Kriegszeit aber auch in der unabhängigen Republik ein äußerst lukratives Geschäft und für die neue Regierung ein wichtiger Steuerzahler.

Vasco Cabral, der damals etwa 50 Jahre alt und Mitglied der kommunistischen portugiesischen Partei war, die während des Faschismus im Untergrund zu agieren gezwungen war, galt als unbedingter Anhänger Moskaus und auch Verfechter der Leninschen Entwicklungstheorie mitsamt Fünfjahresplänen (Gosplan). Er schickte mich zu A., um mit ihm über die mögliche Verstaatlichung seiner Farm zu sprechen und das Für und Wider auszuloten. Die bereits von der Regierung verstaatlichten Farmen der emigrierten portugiesischen und kapverdischen Besitzer waren samt und sonders bankrott gegangen, da die neue Regierung und das Landwirtschaftsministerium keinerlei Erfahrung besaßen, wie ein landwirtschaftlicher Betrieb zu verwalten sei. Die Landarbeiter hatten wegen ausbleibender Löhne gleich nach staatlicher Übernahme die Betriebe verlassen und waren in ihre Dörfer zurückgekehrt. Ich freundete mich nach einigen Besuchen mit A. an, der mir und zwei schwedischen Kooperantinnen sein Nebenhaus zum Wohnen anbot. Wir waren äußerst glücklich darüber, hatten wir doch garantierte Stromversorgung rund um die Uhr. Und Vasco verstand, dass er das einzig übrig gebliebene „Goldene Kalb“, A.‘s Schnapsproduktion als Steuereinnahmequelle und als einziger lokaler Alkoholversorger nicht schlachten durfte.

Zu Beginn meiner Arbeit im Planungsministerium war ich der einzige westliche Kooperant, der mit zwei Ökonominnen aus Kapverden die ersten Evaluationen von möglichen Entwicklungsprojekten vornahm. Wir hatten unser Buero in einem Gebäude des ehemaligen Hauptquartiers des portugiesischen Militärs. Meine ersten Berichte fertigte ich auf Französisch an, da mein Portugiesisch noch nicht schriftreif war. Vasco und andere hohe Mitglieder der PAIGC-Nomenklatura sprachen und schrieben Französisch, da sie während des Befreiungskampfes zumeist in Guinea-Conakry oder Senegal in der Diaspora lebten. In Conakry, nahe der Grenze zu Bissau, war das militärische Kommando des Widerstandskampfes beheimatet. Meinem Büro benachbart lag das Büro mit fünf russischen Gosplan-Spezialisten, alle altgediente „Kämpfer“, die vor der Pensionierung noch einmal als Belohnung für lebenslange Planungsarbeit nach Afrika in den „Busch“ durften. Ein junger russischer Sprachstudent musste ihre Formulare, die regelmäßig wegen völliger Ferne von realen guineischen Verhältnissen im Papierkorb landeten, vom Russischen ins Portugiesische übersetzen. Der 65jährige Chef der russischen Planer hieß Boris, sprach ein wenig Deutsch und hatte im frühen Jugendalter Lenin begeistert die Hand schütteln dürfen. Das Büro der Russen verströmte den penetranten Geruch von Wodka und Vasco flüchtete nach kurzem Morgengruß regelmäßig hastigen Schrittes aus ihrem Büro. Aber die überaus freundlichen Russen, strengstens von einem KGB-Mann kontrolliert, der häufig im Büro vorbei sah, meinten zur Entschuldigung für ihren Wodkaverzehr und den Genuss von eingelegten sauren Gurken, dass sie angesichts der russischen Kälte ohne Wodka und saure Gurken keine vernünftige Arbeitsleistung abliefern könnten. Das träfe auch auf die tropische Hitze zu. Deshalb sei um drei Uhr nachmittags Schluss mit der anstrengenden Arbeit, die morgens zwischen neun und zehn Uhr begann und von einer einstündigen Mittagspause unterbrochen wurde. Schwierig war es dann für meine russischen Kollegen, wenn der sowjetischen Botschaft der Sprit ausging. Dann musste der letzte Gin aus Kolonialzeiten herhalten, oder ich musste Zuckerrohrschnaps von A. abstauben.

Mein eigentliches Problem in meiner neuen Umgebung ergab sich schon nach kurzer Zeit aus ideologischen Gründen. Ich hatte es mir zum Prinzip gemacht, jede freie Minute zu nutzen, um Land und Leute kennenzulernen. Die Guineer schienen mir bis auf die aus der Emigration zurückgekehrte Nomenklatura die angenehmsten und liebenswürdigsten Menschen zu sein, die mir bis dahin begegnet waren. Nachdem ich Portugiesisch beherrschte und auch das portugiesische Kreolisch einigermaßen verstand, das in jedem Dorf und jeder Stadt als „lingua franca“ wenigstens von einigen Menschen gesprochen wird, die Mehrheit der Menschen beherrschte allerdings nur ihre jeweilige Muttersprache (Guinea Bissau hat sieben Hauptethnien neben weiteren kleineren Ethnien, alle mit eigenen Sprachen), fühlte ich mich wie ein Fisch im Wasser. Bei unseren wöchentlichen Koordinations-Sitzungen im Ministerium, in denen wir über die Strategie des Wiederaufbaus des Staates diskutierten, machte ich den Vorschlag, den Schwerpunkt der Entwicklung erst einmal auf die Landwirtschaft zu legen (95% der Bevölkerung war in diesem Subsistenz-Bereich beschäftigt), die Nahrungsmittelversorgung aus Eigenproduktion sicherzustellen und die Erziehung und handwerkliche Ausbildung zu forcieren. Zusätzlich machte ich den Vorschlag, Dorfgemeinschaften in Form von Kooperativen zu organisieren und dabei die traditionale Produktionsweise der gegenseitigen Hilfe auszunutzen. Ziel sollte sein, die Produktivität zu erhöhen und Markzugang für Überschussproduktion zu erschließen, ohne tradiertes Sozialkapital zu zerstören.

Damit stieß ich bei Vasco auf taube Ohren. Die PAIGC-Nomenklatura wollte den „Neuen Menschen“, den „Neuen Guineer“ schaffen, herausgeholt aus Ignoranz, Obskurantismus und traditionalem Erbe. Die Partei würde die ideologische Richtung der Nationenbildung vorgeben und vom Agrarstaat unmittelbar zum Industriestaat übergehen. Grund und Boden sei nicht mehr Besitz der jeweiligen Ethnie, sondern zentralstaatlicher Besitz, der vorübergehend den Ethnien zur Bearbeitung ausgeliehen würde, bis die Entwicklung einer neuen staatlich gelenkten Produktionsweise Platz greifen würde. Immerhin sagte mir Vasco zu, ich könnte Versuche von Kooperativen außerhalb der offiziellen Arbeitszeit starten, was ich denn auch umgehend anging.

Meine Berichte über die in der Praxis ausgeübte neue Herrschaft und Repression der PAIGC über ihre Völker, die durch Schulung einer einheimischen Geheimpolizei durch DDR-Spezialisten erfolgte und deren Opfer ich später wurde, erzeugte bei vielen Mitgliedern von Solidaritäts-Gruppen in Deutschland ungläubiges Kopfschütteln. Ich selbst begann mich zu fragen, ob mein Verbleib in Bissau zu rechtfertigen sei. Ich wollte keinesfalls Helfer eines neuen Unterdrückungssystems sein, nachdem der Kolonialismus nach zehnjährigem Befreiungskampf besiegt worden war. https://www.daad.de/medien/fittosize_558_314_085256aad5235f18817536576ec4b2ea_1018px-paesaggio_guinea-bissau0001.jpg

Foto: Wikimedia Commons: Erste nach der Unabhängigkeit von der Hauptstadt nach Bafata gebaute Asphaltstraße, zwischen Mansaba und Bafata, die ich an zahlreichen Wochenenden mit meiner Kawasaki und später mit einem Jeep befuhr.

Schluss der vierten Folge

Liebe dFC,

die Fortsetzung meiner Berichte erfolgt leider erst nach Rückkehr meiner geplanten Deutschlandreise (10. Juni). Bis dahin liebe Ostergrüße aus Panamá, CE

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Costa Esmeralda

35 Jahre Entwicklungsberater, Lateinamerika, Afrika, Balkan. Veröff. u.a. "Abschied von Bissau" und "Die kranke deutsche Demokratie".

Costa Esmeralda

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