Eine Mozartkugel für Berlin

Attraktion Eine seltsame weiße Kugel steht auf dem RAW-Gelände im Berliner Szenekiez Friedrichshain. Dahinter verbirgt sich jedoch ausgeklügeltes Marketing

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Eine Mozartkugel für Berlin

Bild Eurovision Song Contest

Wer in Berlin-Friedrichshain an der berühmten Warschauer Brücke entlangläuft, kann die mysteriöse Kugel schon erahnen. Sie ragt aus einer Industriebrache direkt an der Spree hervor.

Wo früher Züge ausrangiert oder auf Spur gebracht wurden, liegt heute der RAW-Tempel, ein Hotspot der Berliner Subkultur. Hier sind Proberäume, Bars, ein Flohmarkt und ein Street Food Markt. Da wundert es kaum, dass der ein oder andere Drogendealer bei Dämmerung in den schummrigen Ecken auf seine Kunden wartet.

Jetzt steht also eine weiße Mozartkugel dort. Abends leuchtet ein Beamer die Hülle an und lüftet das Geheimnis. Die aufblasbare Kugel nennt sich „ViennaSpehre” und wirbt mit dem Motto des diesjährigen Eurovision Song Contest 2015 in Wien. Die Kugel wurde schon in London und Paris gezeigt und soll eine Brücke schlagen zwischen Europas Hauptstädten. Jetzt ist sie also in Berlin. Noch bis Sonntag können Schaulustige das Innere der ViennaSphere besichtigten. Wer tagsüber Zeit hat, erkundigt mit Virtual-Reality-Brille und Kinect-Sensoren die Wiener Hauptstadt. Abends lockt die ViennaSphere mit einer 360° Videoperformance, bei der auch Conchita Wurst, die Gewinnerin des Eurovision Song Contest, nicht fehlen darf. Jetzt fragt man sich jetzt: Wozu brauchen wir so eine Mozartkugel?

Ein bisschen Eurovision in Berlin

Berlin ist hipp und beliebt bei Musikfans. Zehntausende aus aller Welt besuchen täglich die Hauptstadt, um ihre Popstars bei Konzerten im Olympiastadion, in der O2-World (künftig Mercedes-Arena) oder dem Tempodrom live aus nächster Nähe anzusehen. Bei musikalischen Großveranstaltungen mit breiter TV-Wirkung zieht Berlin hingegen oft den Kürzeren. Gründlich misslungen ist die Bewerbung für den Eurovision Song Contest 2011, den der Berliner Senat in einem riesigen Zirkuszelt auf dem Tempelhofer Feld unterbringen wollte. Die Jubiläumsshow für den Eurovision Song Contest „Eurovision's Greatest Hits” wurde nicht wie ursprünglich gedacht in Berlin, sondern in London produziert. Da ist es eigentlich als Ur-Berliner schon fast peinlich zu erwähnen, dass die berühmte Punktevergabe beim Eurovision Song Contest jedes Jahr live von der Reeperbahn in Hamburg und nicht von der Straße am 17. Juni in Berlin übertragen wird. Berlin hat einen Überfluss an aufstrebender Subkultur, aber einfach leider keine Lust auf etablierte Formate wie den Eurovision Song Contest.

Dass es doch geht, beweisen zahlreiche von Eurovision-Fans organisierte Veranstaltungen wie das Eurovision Weekend im Pfefferberg und das Eurovision-Karaoke in der aha. Doch auf den Berliner (und auf den Berliner Senat) sprüht der Funke nicht wirklich herüber. Es sind oft nur die Touristen, Kurzzeit-Berliner und die schwulen Eurovision-Fans, die sich für ihn begeistern. Hier ist eindeutig der Berliner Kulturstaatsekretär Tim Renner gefordert, mehr Begeisterung für das traditionsreiche bunte Popformat auch in der Bevölkerung und im Senat zu etablieren: Wir brauchen in Berlin eine Fanmeile für den Eurovision Song Contest und ein öffentlich zugängliches Eurovision Museum, das die popkulturelle Bedeutung des Wettbewerbs hervorhebt.

Die ViennaSphere ist für Herrn Renner ein willkommenes Geschenk der Wiener Tourismusbehörde, um zu zeigen, dass Berlin doch ein bisschen Eurovision kann. Aber eben nur ein bisschen.

Die ViennaSphere ist vom 17. bis 19. April 2015 täglich ab 12 Uhr geöffnet und befindet sich auf dem RAW-Gelände in der Revaler Straße (Nähe S+U Warschauer Straße) in Berlin-Friedrichshain.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Daniel Koch

Schreibt über den Eurovision Song Contest, die Teilnehmer, die Länder und die TV-Shows

Daniel Koch

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