AfD-Kandidat Robert Sesselmann gewinnt Landtratswahl: Sonnebergs blaues Wunder
Thüringen Robert Sesselmann hat die Stichwahl in Sonneberg gewonnen und wird der erste Landrat der rechtsextremen Partei. Die stiert schon auf die Landtagswahlen in Thüringen, Sachsen und Brandenburg. Sind sie noch zu stoppen?
AfD-Landratskandidat Robert Sesselmann gewinnt die Stichwahl in Sonneberg
Foto: Jacob Schröter/Imago Images
Die Gefahr, dass sich das Wort „Dammbruch“ in Bezug auf die AfD in Ostdeutschland bereits abgenutzt hat, ist real. Mit dem Erfolg von Robert Sesselmann bei der Stichwahl um das Amt des Landrats von Sonneberg setzt sich nur fort, was zuvor in den Landkreisen Oder/Spree und bei der Oberbürgermeisterwahl in Schwerin nur knapp abgewendet wurde: dass ein Politiker der AfD über Wahlen Zugriff zumindest auf einen Zipfel exekutiver Macht bekommt. Nicht dass, sondern wann dies geschieht, war die Frage der vergangenen Wochen. Jetzt ist es geschehen: Erstmals besetzt eine rechtsextreme Partei das Amt eines Landrats in der Bundesrepublik. Welche Folgen hat das?
Ein Landrat ist weder Kaiser noch Bundeskanzler. Seine Kompetenzen halten sich in Grenzen. Er muss Bundes- und Landesrech
muss Bundes- und Landesrecht umsetzen. Und doch ist sein Einfluss etwa auf gesellschaftspolitische Fragen in einem Landkreis nicht ohne Belang. Handlungsspielräume für politische Akzentsetzung ergeben sich durchaus beim Umgang mit Flüchtlingen, in der Gleichstellungspolitik, bei der inhaltlichen Akzentsetzung von Kultur und Jugendarbeit oder in den Formen öffentlicher Repräsentation des Landkreises. An all diesen Stellen kann der frisch gewählte AfD-Landrat Sesselmann Kostproben der rechtsextremen Positionen der AfD geben. Dass er dies tun wird, daran ließen er und vor allem der AfD-Fraktionschef im thüringischen Landtag, Björn Höcke, keinen Zweifel.In ihrer strategischen Kommunikation wird die AfD nun alles daran setzen, aus dem Ergebnis von Sonneberg mehr zu machen, als es ist. Der symbolische Wert des Erfolgs ist für die Partei mindestens ebenso wichtig, wie das Wahlergebnis an sich. Aus Sicht der AfD stellt Sonneberg den ersten Stein in einem blauen Domino dar, welches jetzt in den Regionen, in denen dieses Jahr noch Stichwahlen mit AfD-Beteiligung anstehen, in Gang kommen soll. Läuft es für die Partei so, wie sie sich das vorstellt, so ist dies der Auftakt für das, was die anderen Parteien und die demokratische Zivilgesellschaft im kommenden Jahr bei den anstehenden Landtagswahlen in Brandenburg, Sachsen und Thüringen fürchten müssen:Der AfD ist politisch nur schwer beizukommen, sie umgibt sich mit einem kommunikativen System alternativer Medien und Kommunikationsangeboten, die via Telegram und Instagram bei manchem nicht mehr nur mit Tagesschau und der Lokalzeitung konkurrieren, sondern diese als Hauptnachrichtenquelle für die Meinungsbildung abgelöst haben. Zudem arbeitet die AfD mit politischen Begriffen, die an die politisch-emotionalen Befindlichkeiten eines Teils der Bevölkerung und deren Krisenbewusstsein anknüpfen.Dass der Erfolg der AfD kein Naturgesetz ist, lässt sich am Beispiel der Corona-Krise aufzeigen. Die damaligen Erwartungen der Parteiführung und einiger Strategen im Umfeld der Partei, von der Kritik an der Corona-Politik zu profitieren, erfüllten sich nicht. Auch weil die AfD politisch inkonsistent agierte. Ebenso verpuffte der von der AfD politisch ins Auge gefasste so genannte „heiße Herbst der Wut“, ohne dass die Partei davon nachhaltig profitiert hätte.Der Grund für den Erfolg der AfDMit Blick auf die Wählerschaft der AfD gilt es, analytische Genauigkeit walten zu lassen. Die Partei hat in Ostdeutschland ein verlässlich mobilisierbares Stammwählerpotential, das die AfD seit Jahren erfolgreich mit Wut und Empörungskampagnen bombardiert, die an die üblichen rechten und autoritären Einstellungsmuster anknüpfen. Als erstaunlich sichere Bank erweist sich immer wieder auch das sehr heterogene Milieu der Nicht-Wähler, aus dem die AfD im Falle der Stichwahl in Sonneberg einiges an Stimmen abzuschöpfen vermochte. Diese Wähler verorten sich vielfach gar nicht in einem politischen Koordinatensystem. Jedoch folgen sie kulturell latent rechten Einstellungsmustern. Dass die AfD soziale und ökonomische Entfremdungserfahrungen ethnisch-kulturell auflädt, ist ein Grund, warum es dieser Partei gut gelingt, die Nichtwähler zu erreichen. Weder ist es angezeigt, Wähler der AfD aus der Verantwortung für die Stimmabgabe zugunsten einer rechtsextremen Partei zu entlassen, noch die Wählerschaft ganzer Regionen pauschal zu verunglimpfen, wie in sozialen Medien nach der Wahl im Landkreis Sonneberg geschehen.Über die gegenwärtige politische Sorge, die den AfD-Wählern und ihrem Milieu gilt, dürfen jene nicht aus dem Blick geraten, die die AfD aus sehr guten Gründen nicht wählen. Menschen, die Minderheiten angehören, Erfahrungen von Rassismus, Diskriminierung und subtiler sozialer Ausgrenzung in Ostdeutschland erfahren, weil sie nicht den latent rechten Homogenitätsvorstellungen entsprechen, in irgendeiner Weise von den Kategorien der Zugehörigkeit abweichen, und sei es, weil sie habituell als „Wessis“ gelten. Für all diese stellt der Terraingewinn der AfD nicht nur ein Problem, sondern eine potenzielle Gefahr dar. Vereine, Initiativen und Einzelpersonen, die sich in den Regionen dem Rechtsruck entgegenstellen und sich mit Diskriminierung und Rassismus nicht abfinden wollen, brauchen mehr als ein Lob für ihr oft ehrenamtliches und in vielen Fällen leider auch nicht ganz ungefährliches Engagement. Sie brauchen konkrete Unterstützung. Je stärker die AfD wird, desto mehr Unterstützung benötigen sie.Ein Zaubermittel gegen die AfD wird indes nicht so leicht zu finden sein. Ein Anfang für eine erfolgreiche Auseinandersetzung wäre gemacht, wenn die Einsicht wüchse, dass es die AfD letztlich stärkt, wenn sich Parteien und Gesellschaft permanent von rechten Diskurslagen ihre politische Agenda bestimmen lassen. Robert Sesselmann wollte im Stichwahlkampf offenkundig nicht über Schwimmbäder, Schulessen, die Bürgernähe von Behörden oder den ÖPNV im Landkreis Sonneberg reden. Stattdessen besetzte er in seinem Wahlkampf Themen, auf deren politische Gestaltung er keinen Einfluss hat, die also in der Landeshauptstadt Erfurt, im fernen Berlin oder Brüssel entschieden werden, die aber bei vielen Wählern ankamen. Die demokratische Repolitisierung von Kommunal- und Regionalpolitik gegen den Trend der ressentimentgeladenen Politik der Vereinfacher ist eine harte Arbeit in den Regionen, in denen es in den kommenden Jahren um nichts weniger geht als um unsere demokratische Zukunft.