Von Andi Scheuer über Volker Wissing bis zu Gelbwesten: Alles über Verkehrminister:innen
A–Z Die Letzte Generation trifft Volker Wissing, für den sind Wasserstraßen nicht interessant. Andi Scheuer baute Murks, ein SPD-Minister forderte schon 1973 Tempo 100 auf Autobahnen – und Salvini will sich ein Denkmal errichten. Unser Lexikon
„Bessere Angebote, nicht mehr Verbote“: Volker Wissing hat seine ganz eigene Vorstellung vom Klimaschutz
Foto: Steve Bauerschmidt/Imago Images
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Autobahn Sie waren nicht hart wie Kruppstahl, nicht zäh wie Leder. Arbeitsverpflichtet, schlecht bezahlt. Knochenarbeit statt Baumaschinen. Die Hungerlohnarbeiter beim Bau der „Reichsautobahnen“ erlitten den gewöhnlichsten Ausbeutungskapitalismus. Hitlers „Generalinspektor für das Straßenwesen“ Fritz Todt organisierte zwei der größten Lügen des Nazi-Regimes, das Jobwunder und die „Straßen des Führers“. Todts „Reichslandschaftsanwalt“ Alwin Seifert gaukelte den KdF-Wagen-Sparern den Bau der Autobahnen als „naturverbundene technische Arbeit“ vor. Der Gartenarchitekt „malte“ die Betonbahnen schön geschwungen – statt schnurgerade wie in Amerika – als ideale Vol
wie in Amerika – als ideale Vollendung der deutschen Landschaft in dieser Schnellstraße. Er setzte sein völkisch beseeltes Landschaftskonzept gegen den „westischen und bolschewistischen Materialismus“. Und war nach 1945 ein früher „Grüner“. Michael Suckow GGelbwesten Von 160.000 Orten aus kommt man in Frankreich überallhin: „Toutes directions“, dieses Schild steht an jedem Kreisverkehr, „alle Richtungen“. Funktioniert natürlich nur, wenn man ein Auto hat. Und Sprit. Und wenn man den Sprit auch bezahlen kann. Denn sonst starrt man an einem Kreisverkehr in der Pampa verärgert auf ein Schild, das in eine Welt weist, die einem fern bleibt. Deshalb haben sich die Gelbwesten 2019 zu Hunderttausenden Verkehrsminister:innen ernannt und direkt an den Kreisverkehren dafür gesorgt, dass das Schild seine Versprechungen erfüllt, mit Kaffee, Reden, Picknick. Die offizielle Verkehrsministerin hieß damals übrigens Élisabeth Borne. Dass unter ihr die „ronds-points“ beinahe ihre Funktion verloren hätten, hat ihr kaum geschadet: Borne ist heute französische Premierministerin. Ihr altes Verkehrsressort ist ins „Ministerium für den ökologischen Übergang und den territorialen Zusammenhalt“ gewandert. Mehr Kreisverkehre für die soziale Mobilität! Elsa Koester KKanalausbau Für Schleusen und Kanalausbau haben Verkehrsminister traditionell kein Auge. Das liegt auch daran, dass das Ministerium zwölf Jahre in CSU-Hand lag (➝ Ministerhaftung). Da dominierten bayerische Interessen. Länger gab es Hickhack um eine neue Schleusenstufe am Nord-Ostsee-Kanal, bis die Realisierung durchgedrückt wurde: Der damalige Verkehrsminister Alexander Dobrindt immerhin setzte sich dann doch gegen den Bundesrechnungshof durch. Nun hat Volker Wissing (FDP) der Wasserstraße vollends den Rücken gekehrt. Aus einem Gesetzentwurf geht hervor, dass am Fluss- und Kanalausbau für die Logistik kein öffentliches Interesse besteht. Denn bei keinem der Ausbauprojekte sieht der Entwurf ein beschleunigtes Planfeststellungsverfahren vor. Hingegen sollen von 148 Ausbauprojekten für Schiene und Straße 60 beschleunigt werden. Branchenvertreter werten das als Ignoranz. Im Koalitionsvertrag hieß es, man wolle durch Ausbau den „Schifffahrtsanteil im Güterverkehr steigern“. Im Interview mit der Deutschen Verkehrs-Zeitung erklärte Wissing, dass er gern in den Nord-Ostsee-Kanal investieren möchte, den Ausbau der Neckar-Kanal-Schleusen, um den länger gerungen wird, hält er für nötig. Es fehle nur das Geld. Tobias PrüwerLLauritz Lauritzen Einst SPD-Oberbürgermeister in Kassel, war er in der sozialliberalen Koalition auch Verkehrsminister, ausgerechnet, als der Ölstrom aus dem Nahen Osten versiegte und er 1973 deutsche Mobilitätsfantasien einhegen musste – mit dem Sonntagsfahrverbot. Doch Lauritz Lauritzen hatte noch etwas im Gepäck: Das ➝ Tempolimit. Angedacht war sogar eine Begrenzung auf 100 km/h. „Antiautohysterie!“, echauffierte sich ein CDU-Parlamentarier, „Sicherheitsideologe!“ kam es von FDP-Kollegen, weil der Minister mit Unfallzahlen argumentierte. Wie sich doch alles wiederholt. Der „Spiegel“ glossierte bereits die „klassenlose“ Autofahrgesellschaft. Käfer Seit an Seit mit Porsche Carrera. Der Mann, übrigens mal Mitglied der Reiter-SA und auch sonst guter Nazi (➝ Autobahn), scheiterte am Bundesrat. Dem 1,5-Grad-Ziel wären wir sonst näher. Ulrike BaureithelMMinisterhaftung Wenn ein Staatsbeamter auf Arbeit Murks baut, dann haftet der Staat für den Schaden. Das gilt auch für Minister. Der Schaden, den CSU-Verkehrsminister Andi Scheuer (2018– 2021) mit seinem Prestigeprojekt „Infrastrukturabgabe“ (aka „Ausländermaut“) angerichtet hat, beläuft sich wohl auf mehr als eine halbe Milliarde Euro. Weil Scheuer den Betreibern zugesichert hatte: Auch wenn’s nix wird, kassiert’s ihr trotzdem den „entgangenen Gewinn“. Hätte er so freihändig agiert, wenn er dafür haften müsste? Wohl kaum. Pepe Egger PPromi Er war einer der ganz wenigen ostdeutschen Politikpromis, umso bedauerlicher ist, dass Günther Krause so eine peinliche Nummer hinlegte. Der gebürtige Hallenser war ab 1991 Verkehrsminister – bis zum Rücktritt 1993. Er war im Strudel einiger Affären – Vergabe von Raststättenlizenzen an den Ost-Autobahnen, private Grundstücksgeschäfte … – dazu gezwungen. Außerdem ließ er sich vom Arbeitsamt eine Putzfrau bezahlen. Als Rostocker Bürgermeisterkandidat scheiterte er. Mit seiner Firma ging Krause 2001 insolvent und wurde wegen Betrugs verurteilt. Einer Zwangsräumung seiner Luxusvilla kam er 2020 zuvor, indem er auszog. Im selben Jahr ging er ins „Dschungelcamp“, musste aber an Tag eins schon wieder raus. TPRRasen Ein Verkehrsminister lässt sich lieber nicht mit 109 Stundenkilometern in einer geschlossenen Ortschaft blitzen. Tja, das ist Oliver Wittke (CDU) aus Nordrhein-Westfalen 2008 aber passiert. Die Bild wusste, warum er so aufs Gaspedal getreten hatte: Er war auf dem Weg zu einer Ranch, um mit Peter Oser, dem Ehemann der Veltins-Chefin, auf die Jagd zu gehen. Die Gruppe schoss acht Hirsche, fünf Wildsauen und zwei Füchse. Da hat sich das Rasen gelohnt! Weil der WDR wenig später enthüllte, dass Wittke schon in seiner Zeit als Gelsenkirchener Oberbürgermeister auf der A2 bei Herten auf die Tube gedrückt hatte und ihm daraufhin für einen Monat sein Führerschein abgenommen worden war, trat Wittke am 11. Februar 2009 zurück. Das fiel dooferweise in die Karnevalszeit. Und so zeigten die Jecken aus der Kleinstadt Sendenhorst wenige Tage später beim Rosenmontagszug den Ex-Minister (➝ Lauritz Lauritzen) in einer Ente: In dem französischen Kultauto hätte Wittke niemals so viele Punkte ansammeln können. Dorian BaganzSSalvini Es sei „der Traum von Millionen von Italienern seit Jahrhunderten“, tönt Matteo Salvini, Italiens Infrastrukturminister. Eine Brücke von Kalabrien zur Insel Sizilien will er bauen. Er ist nicht der Erste. Schon Mathematiker Archimedes, einem Bourbonenkönig und Baulöwe Berlusconi schwebte das gigantische Unterfangen vor. Bisher ist die Meerenge von Messina nur mit der Fähre zu überqueren. Salvini will das „größte öffentliche Bauwerk auf dem europäischen Kontinent in diesem Jahrhundert“ realisieren. Drunter geht es nicht für den Mann von der rechtspopulistischen Lega, der als Innenminister auf den Thron strebte und sich verkalkuliert hat. Jetzt also: Verkehr. Die Hängebrücke soll dreimal länger werden als die Golden Gate Bridge. Rom träumt von Hunderttausenden Arbeitsplätzen und Aufschwung für den Süden. Die Mafia hofft auf lukrative Aufträge der öffentlichen Hand. Kritiker lehnen den Bau wegen Erdbebengefahr in der Region und allzu hoher Kosten vehement ab. Doch Salvini hat längst Finanzierungszusagen – von der EU. Maxi LeinkaufTTempolimit Eine „ausgeprägte Managerbegabung“ attestierte der Spiegel im Januar 1956 dem gelernten Maurer, der gerade im Handstreich 15 kommunistische Funktionäre der Baugewerkschaft entmachtet hatte. Ein Jahr später wurde er ihr Vorsitzender und blieb es zehn Jahre lang. Der konservative Sozialdemokrat Georg Leber, Jahrgang 1920, war ein gewiefter Stratege mit ausgeprägtem Machtbewusstsein. Auch als Verkehrsminister. Sein Credo, dass kein Deutscher „mehr als 20 km von einer Autobahnauffahrt entfernt leben“ solle, passte in die Zeit. Die Idee, den Gütertransport von der Straße auf die Schiene zu verlagern, offenbar nicht. Vom „Leber-Plan“ blieb, nicht zuletzt aufgrund des Widerstands der Koalitionspartner von CDU und CSU, wenig übrig. Durchsetzen konnte „Schorsch“ Leber allerdings eine praktische Maßnahme, die das Verkehrsgeschehen in Westdeutschland grundlegend ändern sollte. Am 23. Juli 1971 kündigte er eine Höchstgeschwindigkeit von 100 Stundenkilometern auf Land- und Bundesstraßen an. Bis dahin nämlich durfte man außerhalb geschlossener Ortschaften unbegrenzt ➝ rasen. Und das sollte auch so bleiben, meinte nicht nur der ADAC. 19.000 Verkehrstoten im Jahr zum Trotz. Als das Tempolimit im März 1972 in Kraft trat, war Georg Leber schon auf dem Weg ins Verteidigungsministerium. Sein Nachfolger ➝ Lauritz Lauritzen versuchte, eine weitere Geschwindigkeitsbegrenzung auf den Weg zu bringen: 100 auf Autobahnen. Das Ergebnis ist bekannt. Joachim FeldmannUUm-Lei-Tung Zu spät dran einer Straßensperrung wegen: Wer ist schuld? Der „chinesische Verkehrsminister“! Ein Wortspiel, moralisch und sachlich völlig daneben. Gegen den Groll darüber, aufgehalten zu werden, hilft ein Witz. Als lägen die Ursachen nicht im eigenen Land. Viel fällt einem dazu ein: dass Baumaßnahmen koordiniert werden müssten, dass auch das Mehr an Abgasen zu bedenken ist, wenn stockender Verkehr in Kauf genommen wird. Autofahrer „erziehen“, damit sie aufs Rad umsteigen? Nicht jeder kann es. Wie viel wäre durch kostenlose Parkplätze an S- und U-Bahnhöfen gewonnen? Vielleicht sollten sich deutsche Experten tatsächlich mal mit Li Xiaopeng, dem chinesischen Verkehrsminister, beraten, etwa was „Smart-Ampeln“ und Elektromobilität betrifft. Wenn man Berichten von China-Reisenden glauben darf, werden sie staunen über den Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs, der sehr preisgünstig ist, Leihwagen und Taxis sind subventioniert. So werden Privatautos reduziert. Irmtraud GutschkeZZonenrandgebiet Für den Teenie auf dem Dorf, die Kreisstadt zwölf Kilometer entfernt, angebunden nur durch einen Bus am Morgen und einen am Abend, änderten sich die Dinge schlagartig, als Jürgen Warnke Verkehrsminister wurde. Plötzlich gab es in seinem Heimatwahlkreis Rufbusse, die, so will es meine Erinnerung, quasi ausschließlich von mir genutzt wurden. Es waren terminierte Taxis. Unter der Nummer 314 rief ich am Schalter im Bahnhof Marktleuthen an und bestellte mir den Shuttle so oft, dass man mich am Telefon bald schon mit „Hallo, Beate! Gehst du heute wieder ins Kino?“ begrüßte. Der dank Schülermonatskarte kostenfreie Service rettete mich aus der Dorf-Isohaft ins Leben. Beate Tröger