Die Aktionen der Gruppe „Letzte Generation“, sich an Straßen festzukleben, sind in der breiten Bevölkerung umstritten. Da zahlreiche Anzeigen gegen die Blockaden bei den Behörden eingegangen sind, kreist die Debatte vor allem um die strafrechtliche Relevanz der Proteste. Man kann die Kriminalisierung der Letzten Generation wie Robert Habeck als „völlig absurd“ betrachten, oder wie Rahel Jaeggi als untaugliche „juristische Lösung für gesellschaftliche Probleme“ verurteilen (der Freitag 22/2023). Davon unbenommen ist die Frage, was es für die Klimaschutzdebatte bedeutet, wenn eine Protestform so viel Gegenwehr erzeugt. Ist es eine sinnvolle Strategie, regelmäßig die Hauptverkehrsstraßen lahmzulegen und dadu
Zur Strategie der Letzten Generation: Falscher Fokus der Klimakleber
Verzicht Die Strategie der Letzten Generation geht einem mächtigen Narrativ auf den Leim, das Konflikte verschleiert. Die Politologin und Bloggerin Anja Baisch erklärt, inwiefern sie damit Energiekonzernen sogar in die Hände spielt

Hier hat der Aktivist immerhin schon mal einen Autokonzern in den Fokus genommen – weiter so!
Foto: Paul Zinken/dpa
eugt. Ist es eine sinnvolle Strategie, regelmäßig die Hauptverkehrsstraßen lahmzulegen und dadurch gesellschaftlichen Stress zu provozieren?Sie würden das auch nicht gerne tun, argumentieren die Aktivisten. Aber sie sähen keine andere Möglichkeit mehr, um auf die drohende Katastrophe aufmerksam zu machen. Ziviler Ungehorsam, mit dem sie größtmögliche Störungen verursachen wollen, sei das letzte ihnen zur Verfügung stehende Mittel. Auf diesem Weg wollen sie Druck auf die Politik ausüben, um Klimaschutzmaßnahmen zu erzwingen.Auch wenn die Politik zum Adressaten erklärt wird, stören sie de facto nicht den Alltag des Bundeskanzlers, sondern den von Mitmenschen, die stundenlang im Stau stehen. Die Verkehrswege sind ein bewusst gesetztes Ziel, weil sie die dreckige fossile Mobilität verkörpern. Die Aktivisten richten dabei Appelle an die Gesellschaft. Sie wollen eine „Störung des todbringenden Alltages“ verursachen, denn dieser müsse sich ändern.Die betroffenen Autofahrer interpretieren die Aktionen dementsprechend als Angriff auf ihre persönliche Lebensführung, indem sie sich entweder rechtfertigen, warum sie ihr Auto brauchen, oder indem sie sich über die als übergriffig empfundenen Aktionen ärgern. Konkret wird dieser politische Konflikt also regelmäßig – nicht als einmalige Aktion – in den Alltag vieler Menschen getragen.Damit knüpfen die Aktivisten an die Verzichtsdebatte an, die das Umweltthema schon lange begleitet. Ihren Anfang nahm die Auseinandersetzung in der wachstumskritischen Bewegung seit den 1960er Jahren, die die Übernutzung der natürlichen Ressourcen anprangerte und den Grund dafür im wirtschaftlichen Wachstum sah. Sie ging davon aus, dass die natürlichen Ressourcen der Erde nicht für den weltweiten Energiebedarf ausreichen – erst recht nicht bei einer steigenden Anzahl von Menschen. Daher strebten die Wachstumskritiker eine Verringerung des Verbrauchs an. Das müsse sowohl auf politischer Ebene als auch individuell im Rahmen der persönlichen Lebensführung geschehen.In eine ähnliche Richtung argumentierten Wissenschaftler des Club of Rome, die im Jahr 1972 den Bericht über „Die Grenzen des Wachstums“ verfassten. Sie markierten das Wirtschaftswachstum und das Bevölkerungswachstum als Probleme, die die Ressourcen der Erde überfordern würden. Die Botschaft war daher ein klares „Weniger“: Weniger Wachstum, weniger Verbrauch, weniger Menschen.Im Gegensatz dazu setzten andere Richtungen der Umweltschutzbewegung an der fossilen Produktionsweise an. Nicht die Menschen und ihre Bedürfnisse seien das Problem, sondern das Verfeuern von Kohle, Gas und Öl. Sie experimentierten mit emissionsfreien Wegen der Energieerzeugung und arbeiteten an einer Energiewende hin zu den erneuerbaren Energien.Die Monopolisten freuen sichDiese Auseinandersetzung war von heftigen Interessenkonflikten geprägt, denn die fossile Energiewirtschaft sah ihre Monopole bedroht und attackierte die Solarpioniere auf allen möglichen Wegen. Der Kampf um die Energieversorgung prägte die umweltschutzpolitischen Konflikte in den 1970er und 1980er Jahren. Nein zu Kohle und Atom, forderten die Demonstranten. Mühsam errangen sie 1990 erste Möglichkeiten, solar erzeugten Strom in die öffentlichen Netze zu speisen. Die Energiekonzerne wehrten sich vehement dagegen und verteidigten ihre Monopolposition mit Händen und Füßen. Diese Konflikte verliefen eindeutig konfrontativ und geprägt von gegensätzlichen Interessen.Im gleichen Zeitraum begannen die Bemühungen verschiedener Akteure aus Politik, Wissenschaft und Umweltbewegung, im Rahmen der Vereinten Nationen klimaschutzpolitische Maßnahmen zu initiieren. Hierbei setzten sie allerdings einen anderen Schwerpunkt, der insbesondere im Rahmen der UN-Weltklimakonferenzen seit 1995 vertieft wurde. Die teilnehmenden Staaten sollten sich zu bestimmten Reduktionszielen verpflichten. Im Zentrum stand die Frage, wer sich wie stark und wie verbindlich einschränken müsse. Letztlich drehte sich der Diskurs also um den Verzicht.Damit verschob sich die Auseinandersetzung von der konkreten Energiepolitik hin zu dem deutlich abstrakteren Thema der Erderwärmung oder allgemein des Klimas. Politisches Ziel war nicht mehr eine möglichst schnelle Umstellung der Energiepolitik, sondern eine Reduzierung der Treibhausgase – irgendwie. Dies wurde als gesamtgesellschaftliche Aufgabe definiert, zu der alle ihren Beitrag leisten sollen.Aus Interessenkonflikten zwischen fossilen und erneuerbaren Energien wurde so ein Handlungsauftrag an jeden Einzelnen. Das heißt nicht, dass es nicht sinnvoll ist, den eigenen Ressourcenverbrauch zu beachten. Aber aus politischer und ökonomischer Perspektive ist entscheidend, an welcher Stelle der Hebel zu einer Transformation gesetzt wird.Fortan wurde um Prozente und Jahreszahlen gerungen, wie schnell die CO₂-Emissionen zu reduzieren seien. Wenn sich alle beschränken würden, könnten die Ziele erreicht werden, lautete die Botschaft. Als Bundesumweltministerin setzte Angela Merkel (CDU) früh auf diesen Ansatz der individuellen Verantwortung durch Verzicht. Eine ihrer ersten Amtshandlungen als Umweltministerin war eine PR-Kampagne im Jahr 1995, die die Bürger zu einem klimafreundlicheren Verhalten animieren sollte. Das Motto der Initiative lautete: „Mensch, ändere dich.“Wie das Problem sinnvoller zu bekämpfen wäre, demonstrierten wenige Jahre später einige Abgeordnete der rot-grünen Regierung, als sie das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) auf den Weg brachten. Sie kreierten Möglichkeiten für private und gewerbliche Akteure, in die eigene Energieerzeugung zu investieren und die Überschüsse ins Netz zu speisen. Das war der Einstieg in eine systemische Wende, um die Energieversorgung zu dezentralisieren. Anstatt auf Verzicht zu setzen, schuf das Gesetz neue Chancen. Es gab keinen Zwang, sich zu beteiligen, sondern eine Option, die finanziell und ökologisch für viele sehr attraktiv war. Zu den Profiteuren gehörten Private, Gewerbe (vor allem mittelständische Unternehmen), Genossenschaften, Landwirte, Kommunen. Das Gesetz wurde zu einem großen Erfolg, der alle Erwartungen übertraf. Und es war in ökologischer Hinsicht das wirksamste Klimaschutzgesetz, das es je gegeben hatte.Es gab aber auch Verlierer: die Energiekonzerne, die ihre Monopolposition durch die dezentralen Strukturen bedroht sahen. Aus diesem Grund lobbyierten sie in den folgenden Jahren massiv gegen das EEG, sodass die Bürgerenergie erschwert und verhindert wurde. Wenn nun sauberer Strom erzeugt wird, dann meistens innerhalb von Konzernstrukturen, die Offshore-Anlagen an der Küste bauen oder riesige Solarparks in die Landschaft setzen.Dass mit der Bürgerenergie das schärfste Schwert für eine soziale und ökologische Wende abgeräumt wurde, hat aber kaum jemand mitbekommen, weil auf der großen Bühne der Klimakonferenzen darüber gestritten wurde, wer sich wie stark einschränken müsse. Für die Energiekonzerne ist das eine willkommene Ablenkung: Anstatt dass an ihren monopolistischen Geschäftsmodellen gekratzt wird, sitzen nun vermeintlich alle in demselben Boot. Die Interessenkonflikte um die Strukturen der Energieversorgung sind aus dem Blickfeld geraten. Stattdessen wird mit moralischen Argumenten operiert und an die Schuld und das schlechte Gewissen individueller Konsumenten appelliert. In ihrer Zeit als Kanzlerin setzte Angela Merkel diese Ansprache konsequent fort. Während ihre Regierungen die Bürgerenergie konsequent ausbremsten – und damit viele innovative Unternehmen in die Pleite trieben, appellierte sie an die breite Bevölkerung. Bei der Eröffnung einer „Klima-Arena“ in Sinsheim im Oktober 2019 erklärte sie: „Wir setzen darauf, dass die Menschen wissen, was an Verhaltensänderung in den nächsten Jahren stattfinden muss.“ Innerhalb der Klimaschutzbewegung wird oft argumentiert, beides sei notwendig: Sowohl die Politik müsse umsteuern als auch der Einzelne sein Verhalten anpassen. Diese Annahme mag plausibel scheinen, sie verkennt aber die Wirkung von politischen Botschaften. Anders formuliert: Der Fokus auf den individuellen Verzicht vernebelt die energiepolitischen Interessenkonflikte.Bürgerenergie statt Scham!Die Straßenblockaden unterstützen – auch wenn die Aktivisten aus besten Absichten heraus handeln – mit ihrer Protestform genau das energiepolitische Narrativ, das bei den Energiekonzernen so beliebt ist. Sie transportieren die Idee von Klimaschutz als einer Last und einer Zumutung, die allen Bürgern Einschränkungen abverlangt. Das nutzt vor allem der Fossilwirtschaft, deren Monopolposition unangefochten bleibt und die sich mit ein paar grünen Alibiprojekten als Weltretter inszenieren kann. Für den Klimaschutz ist es aber kontraproduktiv, wenn Emotionen wie Schuld, Angst und schlechtes Gewissen im Zentrum der Aktionen stehen. Das zeigt sich in den aufgeladenen Debatten, an den wütenden Autofahrern und den emotional aufgewühlten Aktivisten, die aus tiefer Überzeugung an ihre persönlichen Grenzen gehen. Diese Auseinandersetzungen lösen Stress und Frust auf allen Seiten aus.Ein produktiverer Ansatz wäre, Möglichkeiten der Bürgerenergie auf allen Ebenen einzufordern und umzusetzen. Denn: Mit der richtigen energiepolitischen Weichenstellung kann Klimaschutz tatsächlich eine Chance sein, um eine nachhaltige und gerechtere Welt zu schaffen. Das wäre eine ermutigende und selbstermächtigende politische Botschaft, die nicht die Bürger, sondern die eigentlichen Verursacher der Ökokrisen unter Stress setzt.Placeholder authorbio-1