Bolsonaro wankt. Fällt er auch?

Brasilien Der Präsident wird heftig angegriffen, weil er Korruption geduldet hat
Ausgabe 27/2021
Wegen seiner Umweltpolitik steht Brasiliens Präsident Bolsonaro international in der Kritik, kürzlich mussten zwei wichtige Minister abdanken, die Arbeitslosigkeit erreicht Rekordwerte
Wegen seiner Umweltpolitik steht Brasiliens Präsident Bolsonaro international in der Kritik, kürzlich mussten zwei wichtige Minister abdanken, die Arbeitslosigkeit erreicht Rekordwerte

Foto: ZUMA Wire/IMAGO

Sichtlich aufgebracht trat Jair Bolsonaro vor die Presse. Sie sollten aufhören, „dumme Fragen“ zu stellen, brüllte er den Reportern entgegen. Staatsmännische Gelassenheit und ein konzilianter Umgang mit der vierten Gewalt waren noch nie seine Art, verbale Ausfälle wurden zum Markenzeichen. Mittlerweile aber zeigt sich ein auffallend nervöser Präsident, der in der härtesten Krise seiner Amtszeit steckt. Journalisten hatten Fragen zu einem Fall gestellt, der seit Tagen für Schlagzeilen sorgt: Bolsonaro soll von Korruptionsversuchen bei der Beschaffung des indischen Covaxin-Impfstoffes gewusst und nicht eingegriffen haben. Bisher hat der ultrarechte Staatschef viele Skandale gut überstanden. Die jüngsten Korruptionsvorwürfe jedoch wiegen schwer: Sie kratzen am Image des Saubermanns und rastlosen Kämpfers gegen Korruption.

Und das zum denkbar schlechtesten Zeitpunkt. Wegen seiner Umweltpolitik steht er international in der Kritik, kürzlich mussten zwei wichtige Minister abdanken, die Arbeitslosigkeit erreicht Rekordwerte. Dazu hat die Pandemie das Land weiter fest im Griff: Etwa 530.000 Tote, Hospitäler vor dem Kollaps, eine schleppend verlaufende Impfkampagne. Ein kurzes Video, in dem Bolsonaro einem Kind die Schutzmaske vom Gesicht zieht, steht symptomatisch für seinen Corona-Kurs. Seit zwei Monaten untersucht ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss den Umgang der Regierung mit der Pandemie und offenbart ein dilettantisches Krisenmanagement, mit dem ein Land durch Unvermögen und Ignoranz in eine Katastrophe gestürzt wurde. Umso mehr scheint bei vielen Brasilianern die Geduld am Ende zu sein. Vergangenes Wochenende gingen erneut Zehntausende gegen dieses Desaster auf die Straße. Auch im Kongress bekommt Bolsonaro immer stärkeren Gegenwind. Eine Zweckallianz aus Abgeordneten unterschiedlichster Couleur brachte kürzlich einen Antrag auf Amtsenthebung ein. Dass es so weit kommt, ist freilich unwahrscheinlich. Über die Aufnahme des Verfahrens entscheidet der Präsident des Abgeordnetenhauses, ein Verbündeter Bolsonaros, der zudem noch über genügend Rückdeckung im Kongress verfügt.

Es ist bei alldem kaum verwunderlich, wenn sich für den ehemaligen linken Präsidenten Luiz Inácio da Silva (im Amt 2003 – 2010) ein spektakuläres Comeback nicht nur anbahnt, sondern vollzieht. Nachdem alle gegen ihn verhängten Urteile im März annulliert wurden, bringt sich „Lula“ für die Wahl 2022 ins Spiel. Der Sozialdemokrat mit der heiseren Stimme führt in allen Umfragen klar vor Bolsonaro, dem nicht wenige eine Abwahl wie Donald Trump voraussagen. Allerdings wäre es fahrlässig, bereits jetzt einen Abgesang anzustimmen.

Der ultrarechte Präsident hat einen nicht zu unterschätzenden Faktor auf seiner Seite: die Zeit. Zwar läuft die Impfkampagne chaotisch, doch spätestens im nächsten Jahr dürfte auch in Brasilien ein großer Teil der Bevölkerung geschützt sein. Langsam erholt sich die Wirtschaft. Ob in ein paar Monaten noch über die Corona-Skandale gesprochen wird, ist fraglich. Das Gedächtnis der Wähler ist kurz, zumal sich Bolsonaro auf geschätzt ein Fünftel der Brasilianer absolut verlassen kann. Seine Stammwähler stehen ihm treu zur Seite und verehren ihn wie einen Gott – nicht trotz, sondern wegen seiner ungehobelten Art, den ständigen Ausfällen und der Hetze. Im krisengeplagten Brasilien versteht es Bolsonaro wie kein zweiter, Ängste zu entfachen. Mit einer populistischen Medienstrategie, infamen Attacken auf Minderheiten und den bisweilen paranoid anmutenden Warnrufen vor einer angeblichen kommunistischen Gender-Diktatur könnte er es erneut schaffen, willige Anhänger zuhauf um sich zu scharen. Auch im Wahlkampf von 2018 fand er mit seinen homophoben und rassistischen Statements viel Anklang. Statt über Inhalte diskutierte das Land seinerzeit wochenlang darüber, ob Bolsonaros Gegenkandidat Babyfläschchen in Penisform an Kitas verteilen ließ.

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