China stellt sich dem Erbe Alexander von Humboldts
Forschungsreisender Der erste Humboldt-Tag in China, veranstaltet an der Hunan Shifan Universität in Changsha, widmet sich der Geschichte und dem Werk des großen Aufklärers, vor allem aber seinen Botschaften für das 21. Jahrhundert
Alexander von Humboldt, Porträt von Emma Gaggiotti-Richards
Foto: Imago/Heritage Images
Als Alexander von Humboldt am 9. Mai 1859 in Berlin starb, hatte er fast kein Geld mehr. Dafür hinterließ er der Welt vieles von Wert ohne Preis: Weltwissen vom Kleinen zum Ganzen, ein Fundament für die Einheit der Wissenschaft, der Würde und Verpflichtung des einzelnen Wissenschaftlers gegenüber der Menschheit.
Mit der Disziplin eines Gärtners im Gebirge hatte er die vulkanische Kraft, die ihn in die Welt trieb, mit dem geduldigen Sedimentieren seiner Forschungsfunde zur Tektonik des Geistes verbunden, der die Spannung nicht nur aushalten, sondern fruchtbar machen würde, aus der sich der Mensch aus Elend und Dummheit befreien kann.
Jetzt ist Humboldt auch in China angekommen. Es gab zum ersten Humboldt-Tag in China drei Tage lang Vorträge und Sympos
Humboldt am 9. Mai 1859 in Berlin starb, hatte er fast kein Geld mehr. Dafür hinterließ er der Welt vieles von Wert ohne Preis: Weltwissen vom Kleinen zum Ganzen, ein Fundament für die Einheit der Wissenschaft, der Würde und Verpflichtung des einzelnen Wissenschaftlers gegenüber der Menschheit. Mit der Disziplin eines Gärtners im Gebirge hatte er die vulkanische Kraft, die ihn in die Welt trieb, mit dem geduldigen Sedimentieren seiner Forschungsfunde zur Tektonik des Geistes verbunden, der die Spannung nicht nur aushalten, sondern fruchtbar machen würde, aus der sich der Mensch aus Elend und Dummheit befreien kann. Jetzt ist Humboldt auch in China angekommen. Es gab zum ersten Humboldt-Tag in China drei Tage lang VortrXX-replace-me-XXX228;ge und Symposien mit deutsch-chinesischen Beiträgen. Diskutiert wurde auf Chinesisch, Deutsch, Englisch, Französisch und Spanisch. Leitung und Organisation oblagen dem Alexander von Humboldt-Zentrum am Kolleg für Fremdsprachen-Forschung an der Hunan Shifan Universität in Changsha, Hauptstadt der Provinz Hunan. Humboldt war Gegner von Sklaverei, Rassismus und IdentitätsdogmenIn unmittelbarer Nachbarschaft der Yuelu-Akademie, die seit der Tang-Dynastie im Jahre 976 in China Impulse für Innovation und Tradition in Bildung und Wissenschaft setzt. Der renommierte Potsdamer Professor Ottmar Ette als „Kopf“ und seine Kollegin Professor REN Haiyan als „Hals“ sind gemeinsam für dieses Zentrum verantwortlich. Es ging um Leitthemen wie Sklaverei und Kolonialismus in ihren historischen Wechselwirkungen. So erweiterte man das verbindende Gesichtsfeld Humboldts auf den heutigen Horizont der Welt, mit offenem Interesse und als Einladung an China, gemeinsam die geistige Geografie Eurasiens zu erkunden. Wenn dabei jede identitäre Fraktionierung überwunden wird, gerät die Konversation zwischen chinesischen und europäischen Weltbürgern zu einer staunenswerten Selbstverständlichkeit. Humboldts gestaltungsoffene Programmatik denkt auch die chinesische Perspektive mit, nicht im Sinne einer herablassenden Konzession, sondern als charakteristischer Ausdruck der Natur des Menschen, der sich durch und über sprachliche Erfahrungswelten in dieser einen Welt wiederfindet. China wird dabei nicht als Objekt, sondern Subjekt begriffen. So lässt sich Humboldts Erbe gemeinsam erwerben, um es zu besitzen und für eine humane Zukunft einzusetzen.Humboldt war stets klarer Gegner von Sklaverei, Rassismus, Kolonialismus und Identitätsdogmen. Er widerstand dem Wirtschaftsmodell manches Kollegen, der Humanismus ohne Weiteres mit Profiten aus dem Sklavenhandel vereinbaren konnte. Den Weg nach China, der Zivilisation ohne Verständnis für Kolonialismus und Sklaverei, hatten ihm die Behörden Großbritanniens 1829 verbaut. Hätte Humboldt China persönlich erfahren und dort maßgebliche Gesprächspartner getroffen, so wie Matteo Ricci zwei Jahrhunderte zuvor: Die Weltgeschichte hätte womöglich andere Wege genommen. Die klassischen Kulturen von Tianxia und Kosmos wären einander begegnet und hätten die Geschäftsgrundlage sowohl des Rassismus als auch des Beutekapitalismus delegitimiert. Für solche Verbindungsleistungen ist es nie zu spät. Die Industriesklaverei ist im Begriff, sich als „digitale Sklaverei“ neu zu erfinden Die Probleme eines Erkenntnis- und Wirtschaftsmodells, das im Rauben gründet und nicht in eigener Arbeit, liegen auf dem Tisch, in sublimierter Gestalt. Der Kolonialismus als technisch-infrastrukturelle Ausweitung des Zugriffs auf tiefere Räume und die Sklaverei als Verdinglichung des Menschen zeigen sich heute zunehmend abstrakt, so wie die Technologien, die heute zur Ökonomie beitragen, kaum noch an die Grundbedeutung des Digitalen erinnern – nämlich an Hand-Arbeit. Die Industriesklaverei ist im Begriff, sich als „digitale Sklaverei“ neu zu erfinden. Gleichwohl erwächst die Würde des Menschen wie vor 3.000 Jahren aus dem Zusammenspiel von Hand, Herz und Hirn. Schneidet man dieses Arbeiten von der Produktion ab, bleiben Dinge und Daten, es bleibt der Preis ohne den Begriff von Wert, der Mensch leidet an sich selbst, wird krank. Nicht nur Fehlentwicklungen des 20. Jahrhunderts würdigen, sondern Hausaufgaben machenOhne die ausbeutende Entfremdung des Menschen zum Sklaven hätte Kolonialisierung vielleicht ihren pragmatischen Charakter behalten. Heute wirken beide zusammen, Kolonien und Sklaven, verstärkt durch die innere Entfremdung der Wissenschaft, die sich in der Quantifizierung und Veräußerlichung ihrer Leistung manifestiert. Arbeit, ob in der produzierenden Realwirtschaft oder in der Disziplin des Geistes, degeneriert zum rituellen Erwerb von Tokens für Zugang zum Konsum. Der hilflose Ruf nach einer „work-life-balance“ drückt diesen Missstand umso drastischer aus, als er selbst die Heilung in etwas Anderem sucht, nicht im eigenen Sein. In China kommen diese Entwicklungen phasenverschoben an. Man hat im Zuge der nachholenden Modernisierung fast vergessen, dass menschliche Gemeinschaft, die sich auf Versorgung beschränkt, nach dem Wissen der eigenen Klassiker, uns entwürdigt. „Wer seine Eltern nicht an Menschlichkeit und Gerechtigkeit erinnert, wer sie nur mit Nahrung versorgt, aber nicht mit Liebe, macht sie zu Nutztieren“, heißt es sinngemäß im „Klassiker der kindlichen Pietät“ (Xiaojing, entstanden um 300 v. Chr.).In den konfuzianischen Analekten heißt es in diesem Zusammenhang klipp und klar: „Der Edle ist kein Gerät“. Wer sich anders organisiert, zerstört die Menschheit in der eigenen und jeder anderen Person. Ebenso um 300 v. Chr. schreibt der Philosoph Meng (Menzius): Die Güte der menschlichen Natur braucht Raum und Pflege, damit sie die Schönheit des Menschseins hervorbringen kann. Auch die Einheit von Bildung und Wissen als ganzheitliches Kultivierungsprogramm, bei dem die kulturelle Natur in eine Kultur gestaltet wird, die unserer Natur entspricht, ist einerseits Teil der „chinesischen DNA“, andererseits aber immer wieder politisch und institutionell bekämpft und auf die Probe gestellt worden. Diese gleiche, wenn auch bisher noch nicht gemeinsame Erfahrung, macht Humboldt als gemeinsamer Bezugspunkt besonders aktuell. Wir im 21. Jahrhundert haben nicht nur diese große Vision und Gelegenheit geerbt, sie in die Tat umzusetzen. Wir haben nicht nur die Fehlentwicklungen und Lehren des 20. Jahrhunderts zu würdigen. Wir haben vor allem unsere Hausaufgaben zu machen: besser darin zu werden, die Disziplinen wieder in den Grundgedanken der aufklärenden Wissenschaft heranzuführen, das disparate Wissen in der Welt zu einem Weltwissen verbinden zu wollen. Ein solches Vorhaben ist das Gegenteil von kolonialistisch: denn es geht davon aus, dass jeder Mensch, ob Chinese, Europäer, Afrikaner, Amerikaner selbst bereits eine eigene „Siedlung“ der Menschheit ist. Denken wir die räuberische Logik um: anstatt übergriffiger Handlungsmacht entwickeln wir die Verbindungen dieser durch gutes Zusammenleben, wir laden einander ein, den Wert aus eigener Arbeit zu veredeln. Bundesministerium blockiert erweitertes Luftverkehrsabkommen Wie steht es heute im Land, das sich dieses Humboldts rühmt, mit der Pflege seines Erbes? Ein Griff in das aktuelle Zeitgeschehen zeigt: Airbus will seine Produktion in China verdoppeln. „Airbus glaubt, China werde künftig jedes fünfte Airbus-Flugzeug abnehmen“ (s. Süddeutsche Zeitung). Passend dazu fand am 13. Oktober in Berlin ein deutsch-chinesisches Investitionsförderungs- und Netzwerktreffen statt, das unter anderem Kooperationen mit dem Verkehrsdrehkreuz Zhengzhou in der Provinz Henan und dessen neuem Flughafenprojekt diskutierte.Was wie ein Aktivposten im Wettbewerb in der Globalisierung klingt, wurde jedoch „von oben“ gedämpft: das Bundesministerium für Digitales und Verkehr (BMDV) blockiert bis auf Weiteres die Erweiterung des Luftverkehrsabkommens. Keine chinesische Fluggesellschaft darf mehr Passagierflüge nach Deutschland durchführen. Der Berliner Flughafen BER, der seiner Interkontinentalflüge ausweiten will, hatte seine Teilnahme aufgrund dieser Blockade des BMDV abgesagt. Immerhin nahm der Flughafen Leipzig teil. (Dies bestätigt der seit Jahren im Rahmen der Luftverkehrsentwicklung tätige Generaldirektor des German Global Trade Forum Berlin, Eberhardt Trempel: in Bezug auf China, die Mongolei und Südostasien, besonders Thailand, Vietnam und Indonesien, seien die größten Hindernisse für einen erweiterten Flugverkehr wie für Luftverkehrsabkommen – die Lufthansa und das Bundesverkehrsministerium.) Es braucht keine britischen Strategen mehr, um Humboldts Geist zu behindern. Humboldts 300. Geburtstag wird zeigen, ob man sich seines Erbes würdig erweistDer 51. Jahrestag der diplomatischen Beziehungen zwischen der Bundesrepublik und China, an dem dieser erste Humboldttag Chinas stattfand, markiert zugleich einen Tiefstand und die Hoffnung, am Beginn eines neuen Zyklus zu stehen. Auch Alexander von Humboldt lebte in komplizierten Zeiten. Moral und Pragmatismus konnte er durch Vernunft und Arbeit in Wertschöpfung verwandeln. Die Politik war dabei notwendiges Übel und nicht immer hilfreich. Vor vier Jahren fand das Humboldt-Jahr zum Gedenken an seinen 250. Geburtstag statt. Wir haben heute die Chance dafür zu sorgen, dass an seinem 300. Geburtstag mehr Grund zum Stolz darauf besteht, was wir aus diesem Erbe gemacht haben!
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