Die Achsen des Welthandels werden sich auf lange Sicht verschieben, vom Atlantik zum Pazifik. Man schrieb das Jahr 1850, als diese Prognose von zwei jungen deutschen Intellektuellen aufgestellt wurde, die damals noch weithin unbekannt waren – Karl Marx und Friedrich Engels. Inzwischen ist eingetreten, was die Altväter des Marxismus voraussahen, die Achsen des Welthandels wie der Weltwirtschaft haben sich gründlich verschoben – in Richtung des indopazifischen Raumes. Dominierende Mächte der globalen Ökonomie sind heute Anrainerstaaten des Pazifischen Ozeans – China, Japan, die USA. Seit Gründung der Asiatisch-Pazifischen Wirtschaftsgemeinschaft (APEC) im Jahr 1989 haben die beteiligten Staaten damit eine Struktur, die sie für ihre Beziehungen
en nutzen können, sofern sie das wollen.Inzwischen ist die Staatenassoziation auf 21 Mitglieder angewachsen, weitere Aspiranten stehen vor der Tür. Etwa die Hälfte der Weltbevölkerung lebt in diesem Raum, 2022 entfielen 47 Prozent des Welthandels auf die APEC-Community. Ein Freihandelsabkommen für die indopazifische Region ist zwar seit 1994 im Gespräch, kam aber bislang nicht zustande. Dafür wächst die Zahl der bilateralen Handelsverträge zwischen Mitgliedsländern. Seit dem Ende von „Chimerika“, der lange währenden Symbiose der beiden führenden Weltwirtschaftsnationen China und USA, und dem Handelskrieg, den Domald Trump als Präsident gegen China vom Zaun brach, sind die Spannungen zwischen Washington und Peking nie mehr abgeflaut.Sie tangieren die Agenda des diesjährigen APEC-Gipfels in San Francisco, auf dem erbitterte Gegner wie Russland und die USA sowie neuerdings beste Feinde wie Australien und China aufeinandertreffen. Zudem bietet sich die Gelegenheit für eine Begegnung zwischen Joe Biden und Xi Jinping. Es geht um den schwelenden Handelskonflikt, der beiden Staaten zusetzt, dazu die Kriege in Europa und Nahost. Auch wenn Präsident Xi sich als Protagonist einer kommenden Weltmacht sieht, gegenwärtig kommt er nicht umhin, eine nach wie vor globale Schlüsselrolle der USA anzuerkennen. Ohne deren Einwirken wird der fünfte Gaza-Krieg seit 2008 kaum zu beenden sein. Und wenn es die Biden-Regierung will, wird auch in der Ukraine weitergekämpft. Militärisch bleiben die USA und die NATO China überlegen, das in beiden Konflikten Zurückhaltung übt, ohne passiv zu sein.Xi Jinping verfolgt eine duale Außenpolitik, er will Konflikte verhindern oder eindämmen, zugleich einer Weltmacht China Geltung verschaffen. Das bedeutet keine grundsätzliche Abkehr von der strategischen Entscheidung, eine offene Konfrontation mit dem Hauptgegner, der geschwächten, aber weiter relevanten Macht USA zu vermeiden. Das haben Xi Jinping ebenso wie Außenminister Wang Yi zuletzt immer wieder betont. Im Pazifik, auf der Welt überhaupt, gäbe es Platz genug für ein friedliches Nebeneinander der USA und Chinas. Womit mehr als nur angedeutet wird: Trotz aller Aufregung um Taiwan, an einem Schlagabtausch hat niemand ein Interesse. China kann das Südchinesische Meer und die Taiwan-Straße als seine Gewässer betrachten, aber nicht ignorieren, dass internationale Wasserrouten für viele APEC-Staaten gleichfalls von strategischem Interesse sind.Handelskrieg herunterfahrenAus Peking und Washington gab es vor dem APEC-Gipfel Entspannungssignale. So herrscht keine Funkstille mehr zwischen den Generalstäben beider Länder. Im Oktober reiste eine hochrangige US-Delegation zum Xiangshan Forum, Chinas Version der Münchner Sicherheitskonferenz für den asiatisch-pazifischen Raum. Und Xi Jinping warb für die Triade Kooperation, Koexistenz und Konkurrenz, um mit den USA Brandherde der Weltpolitik unter Kontrolle zu bringen. Daraus werden keine Friedensinitiativen erwachsen. Die US- und chinesische Sicht auf die Konfrontation in Gaza und der Ukraine sind zu konträr.Peking hat keinerlei Interesse daran, dass seine kostspielige und langfristig angelegte Belt-and-Road-Initiative (BRI) durch regionale Erschütterungen beeinträchtigt wird. Die Handelswege Richtung Westen sind von existenziellem Wert. Notfalls kann man auf Zeit spielen und zusehen, wie sich die USA an zwei großen Kriegsschauplätzen abarbeiten. Chinas Einfluss im Nahen Osten wie in der Ukraine ist ohnehin nicht stark genug, um dort spürbar deeskalierend zu wirken. Den USA jedoch setzen diese Konflikte Grenzen, um sich einem Rivalen wie China so widmen und dessen Ambitionen im pazifischen Raum so entgegentreten zu können, wie das gewollt war, als Joe Biden 2021 antrat.Eines dürfte unstrittig sein, die chinesische Führung erwartet von den USA, dass sie den Handelskrieg herunterfahren, zumindest eindämmen. Die Volksrepublik verzeichnet Wachstumsschwächen, denen sich Xi Jinping stellen muss, wenn er politisch keinen Schaden nehmen will. Dass ausländische Investoren derzeit Kapital wieder abziehen, kann ihn nicht kaltlassen. Und wenn Amerika die Ausfuhren von Hightech-Gütern massiv unterbindet, wird das zum Störfaktor. Um derartige Blockaden zu überwinden, auch um beim Bewältigen der Klimakrise voranzukommen, braucht Xi ein erneuertes, krisenresistentes Verhältnis zu den USA. Hilfreich wäre der Konsens über einen Modus Vivendi im asiatisch-pazifischen Raum. Würde das gelingen, käme das ehrgeizigen Projekten der APEC zugute. Sie könnten eine Asiatisch-Pazifische Freihandelszone ermöglichen, die es schon 2010 geben sollte.