Mitte der 90er-Jahre tauchte in israelischen Souvenirshops ein T-Shirt auf, das zwei nebeneinander fliegende Kampfjets mit amerikanischer und israelischer Flagge zeigte. Darunter stand: „America, don’t worry. Israel is behind you“. Das Motiv traf – durchaus (selbst-)ironisch – den Nerv der Zeit.
Bis Jitzchak Rabin ermordet wurde
Die US-Hegemonie in Nahost schien unerschütterlich, der Ostblock war aufgelöst, die Sowjetunion zerfallen, die arabische Welt nach der Machtdemonstration Washingtons im Krieg gegen den Irak 1991 in Schockstarre. Zugleich gab es einen nahöstlichen Friedensprozess, und die drei Friedensnobelpreisträger, die das befördert hatten – Israels Premier Jitzchak Rabin, sein Außenminister Shimon Peres und PLO-Che
ak Rabin, sein Außenminister Shimon Peres und PLO-Chef Jassir Arafat – waren noch am Leben. In Israel gab es einen breiten Konsens, die eigene Position relativer Stärke für einen dauerhaften Ausgleich mit den Palästinensern zu nutzen, den israelischen Staat – auch um seiner selbst als demokratisches Gemeinwesen willen – aus der Rolle einer Besatzungsmacht zu befreien und eine Zwei-Staaten-Lösung anzustreben. Ein neues, auf Verständigung bedachtes Selbstbewusstsein fand mit der Ermordung Rabins durch einen rechtsextremistischen jüdischen Studenten im November 1995 ein jähes Ende.Heute, gut 30 Jahre später, ist die Welt eine andere. Israel und die USA verkörpern zutiefst gespaltene Gesellschaften, deren Führungen vom Hamas-Angriff offenbar komplett überrascht wurden. Die Biden-Administration reagierte zunächst wie erwartet: Mit Empathie für die israelischen Opfer, mit markigen Worten gegen die Hamas, mit Flugzeugträgern und Waffenlieferungen. Und doch war es ein Wendepunkt.Joe Bidens Sicht auf Benjamin NetanjahuJoe Biden hatte sich seit seinem Amtsantritt 2021 strikt geweigert, Benjamin Netanjahu zu empfangen. Das war ebenso ungewöhnlich wie deutlich. Ein Statement gegen dessen Rechtsaußen-Koalition, die ihn ungeachtet diverser Korruptionsvorwürfe an der Macht hält, das Land innenpolitisch zerrissen und sicherheitspolitisch ins Abseits manövriert hat. Bidens Kurs wurde zudem gestützt vom Meinungsbild im Wählerspektrum der Demokraten. Das Gallup-Institut ermittelte im März erstmals größere Sympathiewerte für die Palästinenser als für Israel. Ein Alarmsignal.Die Art und Weise, wie das Weiße Haus nach einem ersten Echo auf den Hamas-Terror mit der entstandenen Lage umgeht, darf durchaus als Misstrauensvotum gegen Netanjahus Führungsfähigkeit gelten. Dass der die Opposition ins Kriegskabinett holte, war auch Druck aus Washington geschuldet. Ohne diesen Schritt würde es der US-Regierung noch schwerer fallen, dem Kongress finanzielle und militärische Ressourcen für eine verstärkte Unterstützung abzuringen. All das hat jedoch seinen Preis, den Jerusalem wohl oder übel zahlen muss. Der operative Einfluss Washingtons auf die israelische Krisenreaktion ist unübersehbar und deutlich.Zwei-Fronten-Kriegsszenario mit dem Iran und der HisbollahWenn Biden die israelische Führung öffentlich vor Rachegelüsten warnt, wie sie den USA nach 9/11 zum Verhängnis wurden, dann nicht wegen kritischer Nabelschau. Dass diese Warnung von der – ebenfalls sehr öffentlich kommunizierten – Entsendung hochrangiger US-Militärberater begleitet wurde, unterstreicht das mangelnde Vertrauen Washingtons in den Willen Israels, militärische Macht in dieser kritischen Situation mit einem Gespür für politische Folgen einzusetzen. Zumal vor dem Hintergrund eines möglichen Zwei-Fronten-Krieges, in den der Iran involviert wäre, wenn die schiitische Hisbollah aus dem Libanon ernsthaft in den Konflikt eingreift. Washington wäre vor erhebliche Probleme gestellt.Die Biden-Regierung zeigte seit ihrem Antritt wenig Ehrgeiz, sich aktiv in Nahost zu engagieren. Der außenpolitische Fokus war auf die pazifische Region gerichtet, besonders auf die als unvermeidlich betrachtete Konfrontation mit China als rivalisierender Globalmacht. Bidens eher bescheidene Nahost-Agenda bestand darin, die Lebensbedingungen der Palästinenser in den besetzten Gebieten schrittweise zu verbessern, eine Zwei-Staaten-Option wenigstens politisch am Leben zu halten und Israel zum Ausgleich mit den Golfmonarchien zu ermutigen. Dahinter stand die Illusion, den palästinensisch-israelischen Kern des Nahostkonflikts umschiffen zu können. Dafür war Biden sogar bereit, eine vorsichtige Entspannung gegenüber dem Iran einzuleiten, die sich freilich nach der russisch-iranischen Annäherung im Sog des Ukrainekrieges schnell erledigt hatte.Ein Gaza-Streifen ohne die HamasSeit Israel in Gaza direkt einmarschiert ist, kursieren in Washington Szenarien, die in einer finalen blutigen Zerschlagung der Hamas eine Chance für den Neustart nahöstlicher Friedensprozesse sehen. Dahinter steht die Idee, ein derart „befriedeter“ Gazastreifen werde unter UN-Verwaltung gestellt, wobei arabische Truppen Sicherheit garantieren und die Golfstaaten Gelder für den Wiederaufbau fließen lassen. Am Ende könnte dies in der Westbank und in Gaza zu politischen Mehrheiten in der palästinensischen Community führen, die eine Neuauflage des Friedensprozesses mit Israel ermöglichen. Das klingt wie das Pfeifen im Wald, weil sich alle Planspiele vor der Antwort auf die entscheidende Frage drücken: Wie kommen Palästinenser und Israelis im Heiligen Land zu ihrem staatlichen Recht? Gleichberechtigt und ohne Gewalt?