Was droht: Israel marschiert ein, der Iran mischt sich ein und der Krieg wird global
Analyse Israelische Bodenoffensive in Gaza, US-Flugzeugträger im Mittelmeer, Irans Warnung vor allen Fingern am Abzug: Ob diese Megakrise eskaliert, hängt vor allem von einer zentralen Frage ab
Deir al Balah nach einem israelischen Luftschlag: Die öffentliche Meinung in der arabischen Welt dominiert Wut über das, was in Gaza geschieht.
Foto: Mohammed Faeq/AFP/Getty Images
Während der Krieg zwischen Israel und der Hamas in die zweite Woche geht, ist die größte Sorge der westlichen Regierungen nicht die Notlage der Palästinenser in Gaza. Es ist die alarmierende Aussicht auf einen sich rasch ausweitenden Konflikt, in dem die israelischen und US-amerikanischen Streitkräfte gegen den Iran und seine Milizen antreten. Die jüngsten, unheilvollen Anzeichen deuten auf eine rasche Verschlechterung hin. Der Iran hält den Schlüssel in der Hand.
Beide Probleme sind eng miteinander verbunden. Arabische Führer erklärten dem zu Besuch weilenden US-Außenminister Antony Blinken, dass der Krieg unkontrollierbar eskalieren könnte, wenn Israels Angriffe auf den Gazastreifen, die viele Opfer fordern, weitergehen. „W
. „Wenn die zionistischen Aggressionen nicht aufhören, haben alle Parteien in der Region die Hände am Abzug“, warnte der iranische Außenminister Hossein Amir-Abdollahian.Angst vor Frontalzusammenstoß mit dem IranAber Israel wird sich nicht aufhalten lassen. Eine hochriskante, groß angelegte Bodenoffensive im nördlichen Gazastreifen steht unmittelbar bevor. Die meisten westlichen Staats- und Regierungschefs wünschen sich sicherlich, dass es nicht dazu kommt. Selbst James Cleverly, Großbritanniens ahnungsloser Außenminister, hat verspätet zur Zurückhaltung gemahnt. Aber inmitten der anhaltenden Nachbeben des Schwarzen Samstags fühlt sich kaum jemand in der Lage, dies zu verhindern.Eskalation führt zu Eskalation. Die USA erklären, ihre Entscheidung, eine zweite Flugzeugträgergruppe im östlichen Mittelmeer zu stationieren, solle die Sicherheit Israels stärken und „jeden staatlichen oder nichtstaatlichen Akteur“ von einer Ausweitung des Konflikts abhalten. Hinter dieser vagen Formulierung verbirgt sich eine Welt der Angst vor einem möglichen Frontalzusammenstoß mit dem Iran.Der Iran ist der „staatliche Akteur“, der die „nichtstaatlichen Akteure“ kontrolliert und koordiniert – die Hamas und die militante Gruppe Palästinensischer Islamischer Dschihad im Gazastreifen, mit Teheran verbundene Milizen in Syrien, im Irak und im Jemen und die mächtigste von ihnen, die libanesische Hisbollah (die „Partei Gottes“). Dies ist es, was Irans oberster Führer, Ayatollah Ali Khamenei, die „Achse des Widerstands“ nennt.Der Iran betrachtet den zusätzlichen Einsatz zweifellos als eine amerikanische Eskalation. Er scheint seine Milizen darauf vorzubereiten, dass sich bald neue Kriegsfronten auftun könnten. Israel wehrt bereits tägliche, begrenzte grenzüberschreitende Angriffe der Hisbollah im Norden ab und warnt vor der „Zerstörung des Libanon“, sollte sich die Miliz dem Krieg der Hamas anschließen.Krisenherd Westjordanland, Spannungen mit SyrienDas Westjordanland ist ein weiterer potenzieller Krisenherd angesichts der zunehmenden Gewalt in der vergangenen Woche. Um die Spannungen weiter zu verschärfen, beschuldigt Israel den Iran, neue Waffen in oder über Syrien zu stationieren, um eine zweite Front zu schaffen. Syrien behauptet, Israel habe vergangene Woche Damaskus und Aleppo bombardiert.Was ist der Plan des Iran, wenn er denn einen hat? Was will er? In diesen Fragen liegt der Schlüssel zum Krieg. Unmittelbar nach dem 7. Oktober erklärten US-amerikanische und israelische Beamte schnell, dass es derzeit keine Beweise für eine direkte Beteiligung des Iran gäbe. Vielleicht zu schnell. Der Verdacht liegt nahe, dass sie zu diesem sehr heiklen Zeitpunkt eine offene Konfrontation vermeiden wollten.Die Vorwürfe an den IranWeitere Berichte legen nahe, dass hochrangige iranische Beamte im Vorfeld des Anschlags in engem Kontakt mit der Hamas standen. General Esmail Ghaani, Chef der Quds-Truppe des Korps der Islamischen Revolutionsgarden (IRGC), die für extraterritoriale geheime Militäroperationen zuständig ist, soll sich wiederholt mit Führern der Hamas und der Hisbollah getroffen haben.Insbesondere wird behauptet, dass Hamas-Mitglieder am 2. Oktober, also fünf Tage vor dem Angriff, mit IRGC-Offizieren in Beirut ihren Plan für einen gleichzeitigen Angriff auf den Süden Israels aus der Luft, zu Lande und zu Wasser besprochen haben – und grünes Licht erhielten. Die Hamas besteht darauf, dass sie aus eigenem Antrieb gehandelt hat. Der Iran begrüßte den Angriff, bestreitet aber, daran beteiligt gewesen zu sein.Sie wittern Schwäche bei Benjamin Netanjahus IsraelWährend des langwierigen „Schattenkriegs“ mit Israel hat der Iran in der Regel über Bande gespielt und durch Stellvertreter wie die Houthis im Jemen agiert. Die Vorstellung, dass Teheran, das die Hamas finanziert, ausbildet und bewaffnet, nichts von der Planung der groß angelegten Operation des Schwarzen Samstags wusste und nicht daran beteiligt war, ist schwer zu glauben.Wie ein Mann, der des Mordes verdächtigt wird, hat auch der Iran eine Vorgeschichte und ein starkes Motiv, Israel jetzt einen Schlag zu versetzen – zusätzlich zu seiner grundsätzlichen Ablehnung der Existenz des jüdischen Staates selbst. Die iranischen Hardliner Khamenei und Ebrahim Raisi wittern Schwäche, wenn sie sehen, wie Israel von Benjamin Netanjahus antidemokratischer, rechtsextremer Politik erschüttert wird.Aus strategischer Sicht sehen die Beschäftigung der Biden-Regierung mit der Ukraine und ihre Hinwendung zu Asien wie eine Chance aus, wenn man sie von Teheran aus betrachtet. Der Rückzug aus Afghanistan und dem Irak sowie die Rehabilitierung des syrischen Regimes verstärken den Eindruck, dass die USA im Nahen Osten an Einfluss und Interesse verlieren.Russland, China und das NuklearabkommenDie zunehmende Kriegslust des Iran ist auch auf die intensivierten Beziehungen zu China und vor allem zu Russland, inzwischen ein großer Kunde im Hinblick auf Rüstungsgüter, zurückzuführen. Inzwischen hat die Aussicht auf eine Wiederbelebung des Atomwaffenkontrollabkommens mit dem Westen an Attraktivität verloren, selbst wenn ein solches Abkommen zustande käme. Khamenei hat sich stets gegen einen nuklearen Kompromiss ausgesprochen und erklärt, der Iran solle die US-Sanktionen ignorieren, sich selbst versorgen und nach Osten blicken.Als Hamas-Führer Ismail Haniyeh versuchte, den Angriff vom 7. Oktober zu rechtfertigen, verwies er auf Provokationen und Grenzüberschreitungen in der Nähe der Al-Aqsa-Moschee in Jerusalem, auf chronische jüdische Siedlergewalt und Landraub im Westjordanland sowie auf die sechzehnjährige Blockade des Gazastreifens.Die iranische Führung ist nicht so verrückt, Haniyehs Aufruf zum internationalen Dschihad und zu einem umfassenderen Krieg gegen den Westen zu unterstützen. Nach den jüngsten Unruhen im eigenen Land ist Khamenei kein Freund von Volksaufständen. Aber er hatte einen anderen dringenden Grund zu handeln.Der Trend zur Normalisierung der Beziehungen zwischen den arabischen Staaten und Israel ist Teheran ein Dorn im Auge. Teheran hasst vor allem die Aussicht auf ein israelisch-saudisches Abkommen, das durch US-Sicherheitsgarantien abgesichert sein soll. Eine Normalisierung könnte Teheran politisch und wirtschaftlich isolieren und seine Träume von regionaler Hegemonie zunichtemachen.Saudi-Arabien reagiert auf die Wut in der Arabischen WeltDer Anschlag vom 7. Oktober hat das Gleichgewicht wieder zu Gunsten Teherans verschoben. Die öffentliche Meinung in der arabischen Welt dominiert Wut über das, was in Gaza geschieht. Die Saudis haben die Stimmung gespürt und den Israel-Deal auf Eis gelegt. Bezeichnenderweise hatten Irans Präsident Raisi und der saudische Kronprinz Mohammed bin Salman in der vergangenen Woche ihre allerersten Gespräche geführt. Diese Kehrtwende bedeutet eine greifbare Kriegsdividende für Teheran.All diese Faktoren deuten darauf hin, dass ein optimistischer Iran Wind in seinem Rücken verspürt. Ob diese neu gewonnene Zuversicht in Verbindung mit einer gefährlichen Unterschätzung der israelischen und amerikanischen Entschlossenheit Teheran dazu verleiten wird, in den kommenden Tagen den Einsatz rücksichtslos zu erhöhen, ist nun die zentrale Frage in dieser Megakrise.Eine direkte Konfrontation zwischen Israel und den USA und dem Iran war selten näher. Wie Netanjahu immer wieder sagt, ist dies erst der Anfang. Der Krieg mit der Hamas könnte sich zu einem globalen Krieg ausweiten.
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