„Der letzte Traum“ von Pedro Almodóvar: Szenen einer Filmlegende
Literatur Der spanische Regisseur Pedro Almodóvar veröffentlicht ein Buch mit Kurzgeschichten, die er zur Zeit der Franco-Diktatur in den 1960ern heimlich im Büro schrieb
Pedro Almodóvar war selbst in den berüchtigten Salesianer-Schulen. Eine Kurzgeschichte handelt davon
Foto: Mary Evans/Imago Images
Der US-amerikanische Musikproduzent Rick Rubin, Wegbereiter von Größen wie den Red Hot Chili Peppers oder Lana Del Rey, definiert Künstler in seinem Buch kreativ. Die Kunst zu sein als kosmische Medien für Außergewöhnliches, die es schaffen, mit ihrer Umwelt in Verbindung zu stehen, Zeichen zu lesen und wichtige Botschaften auf eigene Art zu kanalisieren. Besonders wichtig sei es, nicht das Mittelmaß anzustreben, denn daraus sei bekanntlich noch nie etwas Neues entstanden, sondern sich abzusetzen, merkwürdig zu sein und zu glänzen. Pedro Almodóvar ist Spaniens international bekanntester Filmemacher. Er führte Regie bei gefeierten Filmen wie Frauen am Rande des Nervenzusammenbruchs und Alles über meine Mutter, der 2000 sowohl den O
er, der 2000 sowohl den Oscar als auch den Golden Globe für den besten fremdsprachigen Film gewann. Almodóvar ist Förderer spanischer Hollywood-Sterne wie Penélope Cruz oder Antonio Banderas und verkörpert kongenial Rick Rubins Beschreibung eines Vollblutkünstlers. Seine soeben veröffentlichte Sammlung von Kurzgeschichten Der letzte Traum illustriert seine künstlerische Odyssee.Die zwölf Erzählungen erlauben Einblick in jene Welten, die Almodóvar auch in seinen Filmen bewegen: die Suche nach Identität und menschlicher Nähe in einem bestenfalls volatilen, schlimmstenfalls gewalttätigen Umfeld. Die Geschichten sind nahezu alle in den 1960er Jahren entstanden, also während der spanischen Franco-Diktatur, und wurden in den freien Stunden während seines damaligen Bürojobs bei der spanischen Telefonbehörde Telefónica heimlich auf einer Schreibmaschine getippt. Der Autor hatte sie seitdem nicht gelesen, weil er sie als frühreifes Gekritzel abtat, und war überrascht, sich doch so sehr darin wiederzufinden, als seine Assistentin Lola Martinez sie ausgrub und ihm vorlegte. Die tiefe Abneigung Almodóvars gegen kirchliche Institutionen, insbesondere Klosterschulen, die in Spanien lange einen elementaren Teil des Erziehungssystems darstellten, findet sich etwa in der Geschichte Der Besuch. Ein Transvestit besucht seinen alten Mönch-Mentor und konfrontiert ihn mit der Misshandlung, die er als Jugendlicher erfuhr.Dieses Szenario findet sich auch in seinen Filmen Die schlechte Erziehung und Das Kloster zum heiligen Wahnsinn. Almodóvar war selbst in den berüchtigten Salesianer-Schulen in La Mancha. Geschichten wie jene, dass er beim kollektiven Anziehen der Schlafanzüge Geschichten vorlesen musste, weil er das gut konnte, gehören noch zu den angenehmeren Erinnerungen. Er verwendet die Institution der Kirche als Sinnbild des Bösen, die dem Drang der Kunst und schlussendlich des Lebens nach Entfaltung und Freiheit mit ungezügelter Grausamkeit statt Güte entgegentritt. In der Geschichte Die Spiegelzeremonie, der man ob ihres ungestümen Versuchs, magisch-realistisch zu sein, das junge Alter seines Autors anmerkt, wird die mystische Grenze zwischen Gut und Böse sogar zeremoniell überschritten, indem der stoische Abt der Geschichte sich mit einem Vampir, der das Kloster infiltriert, in einer messianischen Szene vermählt.Nur die Gegenwart zähltAls extremer Akt der Befreiung zieht sich wiederum das klimpernde Szenario der Movida, der Madrider Kulturbewegung, die auf Francos Tod folgte und Almodóvar selbst erst durch den Untergrund und dann ins Rampenlicht schreiten ließ, durch sein Werk. In Bekenntnisse eines Sex-Symbols gibt es ein Wiedersehen mit Pathy Diphusa, einem philosophierenden Pornosternchen, dem Almodóvar bereits 1991 einen Kurzgeschichtenband widmete. Die Movida wird darin allerdings nicht zur ewigen Nacht voller Seligkeit, sondern vielmehr zum blendenden Stroboskop, in dem Drogen und schneller (und nicht immer einvernehmlicher) Sex zum einzigen Kitt einer verwirrten Gesellschaft werden, die nichts sehnlicher will, als alles zu verdrängen.Besonders interessant erscheinen in Almodóvars Werk die Porträts von Frauen als Mutterfiguren. In der titelgebenden Erzählung Der letzte Traum schreibt er über seine wirkliche Mutter im Dorf Calzada de Calatrava und wie sie der illiteraten Gemeinschaft Briefe vorlas und dabei Teile hinzuerfand – eine gut gemeinte Verzerrung, die der zehnjährige Pedro später dann auch anwendete, als er während der Stickkurse seiner Schwester den Schülerinnen Filme nacherzählte und die Handlung interessanter machte. Nicht nur in den offensichtlichen Filmen wie Alles über meine Mutter, in nahezu allen cineastischen Ausdrücken Almodóvars bieten mütterliche Zuwendung und weibliche Solidarität einen Anker im Strom des Lebens, sei es der vermeintliche Geist in Volver, der Anruf der Mutter aus dem Dorf in Fessle mich! oder zuletzt das geteilte Schicksal der zwei Frauen in Parallele Mütter.In der Geschichte Leben und Tod von Miguel, die Benjamin-Button-ähnlich von einem jungen Mann erzählt, der mit 25 Jahren geboren wird und dann sein Leben rückwärts erlebt, begegnet der Held zunächst seinem Mörder, dem eifersüchtigen Ehemann seiner Affäre, und durchlebt dann nacheinander Studium, Schule und Kindheit, verliert dabei immer mehr an Kapazität und zeigt dabei auf, dass Begegnungen zufällig sind, dass nur die Gegenwart zählt, wenn Zukunft und Vergangenheit austauschbar sind, und dass der einzige Drehpunkt wiederum die Präsenz der Mutter ist.Hier gelingt dem Künstler Almodóvar seine größte Botschaft im Sinne Rick Rubins: Alles, was wir sind und darstellen, ist von vornherein in uns angelegt. Es ist an uns, die Einzigartigkeit zum Erschaffen zu nutzen. Da ist es stilistisch nur konsequent, dass Almodóvar, der sich in seiner Arbeit als Filmemacher sowieso eher als Schreibender gesehen hat, sich in seiner Geschichtserzählung keinem Genre zuordnen lässt, schon gar nicht in dieser erhellenden und lesenswerten Sammlung seiner Lebensanekdoten.Placeholder infobox-1
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