„Der Untergang des Hauses Usher“ auf Netflix: Edgar Allan Poe und die Opioid-Krise

Was läuft Braucht es wirklich noch eine Serie, die sich nach „Dopesick“ und Laura Poitras' exzellenter Nan-Goldin-Doku der Opioid-Krise in Amerika widmet? Dobrila Kontić über die Netflix­-Adaption „Der Untergang des Hauses Usher“
Ausgabe 43/2023
Carl Lumbly als C. Auguste Dupin in „Der Untergang des Hauses Usher“
Carl Lumbly als C. Auguste Dupin in „Der Untergang des Hauses Usher“

Foto: Netflix

„Wird es jemals genug sein?“ Eine Frage, die den Anwalt C. Auguste Dupin (Carl Lumbly) seit Jahrzehnten umtreibt, wenn es um die Machenschaften des Mannes geht, dem er sie nun endlich stellen kann: Roderick Usher (Bruce Greenwood) führt seit Anfang der 1980er den Pharmakonzern Fortunato und wurde mit der Markteinführung des Opiats Ligodone zum Milliardär. Abertausende Menschen sind der Sucht nach dem vorgeblich harmlosen Schmerzmittel zum Opfer gefallen, während die Ushers zur mächtigen Dynastie avancierten, bestehend aus Roderick, seiner kaltschnäuzigen Zwillingsschwester Madeline (Mary McDonnell), seinen sechs aus unterschiedlichen Beziehungen und Affären stammenden erwachsenen Kindern und der Enkelin Lenore. Nach jahrelangen mühsamen Ermittlungen konnte Auguste die Ushers kürzlich vor Gericht bringen, doch der Prozess wurde jäh unterbrochen, nachdem Rodericks Kinder unter bizarren Umständen der Reihe nach ums Leben gekommen sind. In der Rahmenerzählung hat der trauernde Roderick den verblüfften Auguste zu später Stunde in das abbruchreife Haus seiner Kindheit eingeladen, um ein Geständnis abzulegen.

In dieser Ouvertüre wird der Bezug zur Unternehmerfamilie Sackler, die als Pharmakonzern Purdue Pharma mit der Vermarktung des Medikaments OxyContin maßgeblich für die verheerende Opioid-Krise in den USA verantwortlich ist, offensichtlich. Der Untergang des Hauses Usher greift damit auf, was die Hulu-Serie Dopesick, Laura Poitras’ gefeierte Nan-Goldin-Doku All the Beauty and the Bloodshed und zuletzt die Netflix-Miniserie Painkiller dezidiert und mit realem Bezug angegangen haben: die katastrophalen Folgen unternehmerischer Gier. Doch Regisseur Mike Flanagan (Spuk in Hill House) spannt seinen erzählerischen und stilistischen Bogen weiter: Der Untergang des Hauses Usher macht sich genüsslich an eine Neuinterpretation der schaurig-makabren, von moralischem wie körperlichem Verfall durchzogenen Kurzgeschichte von Edgar Allan Poe. Damit nicht genug, flicht Flanagan in den acht Folgen seiner Miniserie diverse Bezüge zu Poes Gesamtwerk und Biografie ein, die sich in den Figurennamen, Dialogpassagen und der Ausstattung wiederfinden.

Von Rodericks Geständnis in der Rahmenhandlung ausgehend, schildert die Serie in einem weiteren fortlaufenden Erzählstrang, wie der Tod die Erben dieser Dynastie reihum ereilt – angefangen mit dem kaum volljährigen Prospero, der mit seinen Geschwistern in Succession-Manier um die Anerkennung und Liebe des machtbesessenen Patriarchen konkurriert. Mit einer geheimen, hochexklusiven Feier in einem stillgelegten Werk des Pharmakonzerns will der dem Drogenexzess und Orgien zugeneigte Jüngling seine erste Million verdienen, doch der Folgentitel Die Maske des Roten Todes lässt ahnen, dass das in einem Desaster enden wird. Diese zweite Folge gibt in ihrer Struktur und der Neigung zu Gore-Effekten und Schwarzhumorigkeit den Tonfall für die weiteren Folgen vor, doch auf beeindruckende Weise gelingt es Flanagan dabei, dem Repetitiven auszuweichen.

Dafür sorgt die in geschickten Überleitungen erfolgende Integration eines weiteren fortlaufenden Erzählstrangs, der, im Jahr 1979 situiert, den entscheidenden Aufstiegsmoment von Madeline und Roderick umkreist. In diesen ist sowohl ein junger und schon damals vom Kampf um Gerechtigkeit umgetriebener Auguste involviert als auch eine rätselhafte Frau namens Verna (Carla Gugino), die die Ushers in den weiteren Zeitebenen heimsucht. Was es mit ihr auf sich hat und welche Konsequenzen ihr Erscheinen nach sich zieht, wird nach und nach in spannungsreichen Momenten, teils aber auch fast ärgerlich irreführender Dramaturgie enthüllt.

Nichtsdestotrotz sticht Mike Flanagan hier nach seiner sehenswerten Miniserie Midnight Mass erneut mit seinem Händchen für ausladende, lustvolle Volten schlagende und von wohlinszenierten Horrormomenten durchzogene Erzählungen hervor. Der Untergang des Hauses Usher entwickelt sich dabei erzählerisch zum kunstvoll gewebten Garn, das durch die Poe’schen Verzierungen und die mitunter etwas plump geratenen sozialkritischen Applikationen einerseits ständig in sich zusammenzusacken droht, andererseits vom Ende her betrachtet bestaunenswert anmutet.

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