Bisher galt in der AfD ein Gesetz: Wenn es bei einem Parteitag zum Showdown kommt, setzt sich der rechte Flügel durch. Das war 2015 in Essen so, als Parteigründer Bernd Lucke die Machtfrage stellte und die Partei verlassen musste. Und das war 2017 so, als Frauke Petry in Köln ein ähnliches Schicksal ereilte. Jedes Mal gelang es den Völkischen um Björn Höcke, durch eine geschickte Bündnispolitik ihre Rolle in der Partei zu stärken. Doch der Einfluss des Flügels schwindet, wie nun der Parteitag im nordrhein-westfälischen Kalkar gezeigt hat.
Eigentlich sollte es in den Messehallen eines Freizeitparks um die sozialpolitische Ausrichtung gehen. Mit einem sachorientierten Präsenz-Parteitag mitten in der Pandemie hätten viele in der AfD der Öffentlichkeit gerne das Bild einer geschlossenen und entschlossenen Partei präsentiert. Doch daraus wurde nichts, denn zum Auftakt überraschte Parteichef Jörg Meuthen die Delegierten mit ungewöhnlich klaren Worten. Die AfD werde nicht erfolgreicher, „indem wir immer aggressiver, immer derber, immer enthemmter auftreten“. Seine Rede war nicht nur ein Affront gegen Leute wie Höcke – sondern auch gegen den Ehrenvorsitzenden Alexander Gauland.
Meuthen präsentiert sich seit Längerem als Vorkämpfer gegen die Völkischen, mit denen er jahrelang eng zusammengearbeitet hatte. Kurz nachdem der Verfassungsschutz im März die Teilbeobachtung der Partei verkündet hatte, veranlasste Meuthen die Auflösung des Flügels und schmiss dessen zentralen Strippenzieher Andreas Kalbitz aus der Partei. Seitdem ist Meuthen Hassobjekt der völkischen Rechten in der AfD.
Auch sein Auftritt auf dem Parteitag löste eine heftige Kontroverse aus. Gauland bezeichnete die Rede als spalterisch, als „Verbeugung vor dem Verfassungsschutz“. Ein Missbilligungs-Antrag gegen Meuthen kam nach zweistündiger Debatte jedoch nicht zur Abstimmung. Ein Erfolg für den konfrontativen Parteichef.
Bei den Nachwahlen für den Bundesvorstand setzten sich dann Kandidaten durch, die dem ehemaligen Flügel kritisch gegenüberstehen. Aus einer knappen Mehrheit für das Meuthen-Lager ist im Bundesvorstand eine Zweidrittel-Mehrheit geworden. Kalkar zeigte die Grenzen der Völkischen auf. Kampflos werden sie das Feld aber nicht räumen.
Kommentare 11
Verfassungsschutz und teilbeobachtung hat bei mir keinerlei Erleichterungsgefühl verursacht. Immerhin hat der verfassungstreue Verfassungsschutz jahrelang eng mit der AFD zusammengearbeitet. Diese bis hinein in die Spitze (Maaßen) mit Informationen versorgt, wie man sich trotz rechtem Abschaum den verhalten muss um nicht beobachtet zu werden! Die selben Leute mit dem selben "völkischen" Gedankengut sitzen doch immer noch im Verfassungsschutz sowie in der AFD. Die zahlreichenSpitzel die der Verfassungsschutz innerhalb der AFD angeworben hat, beruhigen mich auch nicht. Das ist doch eine Drehtür "völkischen" Denkens.
Wenn Meuthen jetzt sagt man solle sich "ruhiger verhalten" damit man anders/besser wahrgenommen wird, zeigt dass für mich leider noch nicht, dass der rechte Flügel schwächer wird.
Ich halte es für ein Missverständnis, zu glauben die AFD spalte sich weiter. Im Gegenteil, sie wächst immer mehr zusammen zu einer Partei des neoliberalen Endsieges. Das erkennt man an ihrer Betonung der Demographie. Mit an geblichen demographischen Gewisshieten hat schon Meinhard Miegel, zusammen mit Kurt Biedenkopf Lobbyismus gegen die Rente betrieben. Biedenkopf und Miegel sind quasi die Vordenker und Geburtshelfer der AFD.
Es gibt gar keine Grenze für das Völkische, denn das Völkische ist vollkommen bedeutungslos.
Es geht was ab in dem Laden. Es begann schon mit dem Lavieren beim Einsetzen der Corona-Krise. Das war dann doch, zumindest für einige, die bis dahin auf die Partei wie Kaninchen auf die Schlange gestarrt hatten, die Chance auf Entzauberung und Ernüchterung. Deshalb sind analytische Artikel wie dieser hier gut und wichtig.
Ein Quentchen Euphorie sehe ich aber doch auch hier. Meuthen sprach keine "ungewöhnlich klaren Worte". Es waren taktische Worte.
In der nationalliberalen Lucke-AfD war das Völkische als Konsequenz schon angelegt. Und aus der völkischen Höcke-AfD ist das Nationalneoliberale keineswegs verschwunden. Es ist das Eigentliche geblieben.
Das Völkisch-nationalistische ist das ideologische Styling, mit dem das National-neoliberale den Leuten verkauft werden soll(te). Im Moment erweist sich nur, dass das nicht tragfähig genug ist. Das ist der Punkt der Meuthen-Fraktion. So kann man derzeit einfach nicht koalitionsfähig sein. Sie wollen an die Macht. Dafür schlägt sich das Pack und ein andermal wieder verträgt es sich.
„Kampflos werden sie das Feld aber nicht räumen.“ Genau so ist es. Höcke freut sich wahrscheinlich trotzdem, denn andere haben für ihn die „verbale Drecksarbeit“ in Kalkar erledigt. „Kalkar zeigte die Grenzen der Völkischen auf.“ Alles nur zum Schein, so könnte und wird es wahrscheinlich auch sein. Ich persönlich fände es erträglicher, wenn der Verfassungsschutz nicht nur eine Teilbeobachtung innerhalb der „Partei“ durchführen würde. Der Tabubruch neulich im Reichstag zeigte deutlich, wie Mitglieder der AfD eigentlich ticken: sie bedrohen, bedrängen, schüchtern ein. Daran wird sich nichts ändern. Höcke hat Visionen. Er will in eine höhere Position und hat erschreckend viele Handlanger, die ihn seinem Traum näher bringen wollen. Unter den Querdenkern sind Höckefans. Sein ganz großer Traum ist Kanzler zu werden. Deshalb droht er ab und zu Journalisten, wenn sie ihn interviewen und kritisch bei ihm nachfragen. Mit Kritik kann er nicht umgehn. Deshalb will er die Demokratie abschaffen.
Den Wunsch Kanzler zu werden hat Höcke mit Biedenkopf gemein. Kurt Biedenkopf war ebenfalls Querdenker mir Kanzlerambitionen.
++ Ein Quentchen Euphorie sehe ich aber doch auch hier. Meuthen sprach keine "ungewöhnlich klaren Worte". Es waren taktische Worte.++
Wo ist denn da Euphorie? Worüber denn? ich denke, es ist ein bisschen Erleichterung, weil es im Höcke-Umfeld nach Machtergreifung und Unruhe riecht, während bei Meuthen noch ein bisschen Fristenlösung möglich ist, in der sich die Leute auch noch in ihrem Wahlverhalten anders entscheiden können. Und Meuthen kann - Gottseidank - nicht so im Osten abgrasen, der ist ein Wessi, der dort auch verbleibt. Natürlich waren das taktische Worte - Politik ist selten klar.
"Natürlich waren das taktische Worte", na, sag ich doch.
"Euphorisch" ist sicher eine nicht ganz treffende, missverständliche Wortwahl. Kann ich einsehen. Was ich meine: "Ungwöhnlich klare Worte" sagen auch Höcke und Konsorten. Es gibt nichts, gar nichts, was an Meuthens Worten Grund für Erleichterung, gar Anerkennung o.dgl. wäre. Meuthen macht gar nichts besser. Er führt auch keine schwarzen Schafe unter den Schirm des demokratischen Konsenses zurück. Er hat nur Angst, dass die Felle davonschwimmen. Die AfD bleibt was sie ist: Nationalistisch in der Form, neoliberal-asozial im Inhalt. Von Lucke bis heute und so weiter variieren nur ein bisschen die Schattierungen der Form.
ich meine auch zu spüren, daß dem prof. meuthen
das autonome schlagen seines partei-"flügels" höchst un-angenehm ist,
nicht nur aus gründen drohenden wähler-verlusts.
und die (noch-mögliche) aus-schaltung der krawall-truppe
von parlamentarischen ressourcen sollte durchatmen lassen.
oder ist die dann drohende zusammenarbeit mit der union die
schlimmere aus-sicht?
Ich denke, Meuthen ist der taktisch Klügere.
Gründe: Aktuell lassen sich im Rechtsaußen-Lager zwei grundsätzliche Strategien unterscheiden – eine der Straße, zu der neben Höcke, Identitären, Kameradschaften und so weiter auch große Teile des aktuellen, an PEGIDA & Co. bruchlos anschließenden »Querdenker«-Milieus gehören, und eine parlamentarische, die mittelfristig auf einen rechts-neoliberalen Bürgerblock zusammen mit Union und FDP setzt.
Beide Richtungen sind fluid und überschneiden sich. Die Intervention Meuthens ist offensichtlich der Tatsache geschuldet, dass die militante Straßenstrategie inklusive Polizeiunterwanderung und Rechtsterrorismus derzeit an ihre Grenzen stößt und zumindest mittelfristig wenig geeignet erscheint, eine Machtübernahme im rechten Sinn zu bewerkstelligen. Erschwerend hinzu kommt hier, dass weder terroristische Aktivitäten (wie Hanau und der Lübcke-Mord) noch das Setzen auf die Coronaleugner-Karte Dinge sind, die sich dazu eignen, die Mehrheit der Bevölkerung für sich einzunehmen.
Vor diesem Hintergrund ist ein Einschwenken auf ein bürgerlich-parlamentarisches Gesamterscheinungsbild der größten Rechtspartei im Parlament durchaus einleuchtend. Mit Union und FDP teilt die AfD mehr, als erstere zugeben: sozialpolitisch den brachialen Sozialdarwinismus, innenpolitisch die Law-and-Order-Vorlieben, kulturell die Ressentiments gegen moderne Strömungen, vom Staatsbürgerverständnis die ablehnende Haltung gegen Migration. Auch bei den Indikatoren Stadt/Land und Jung/Alt steht die AfD fest im Lager derjenigen, die gegen alle Veränderungen anrennen – eine Haltung, die man früher mit dem Begriff »reaktionär« charakterisierte.
Ich denke, langfristig schließen sich die beiden Grundoptionen ebensowenig aus, wie sie das in der Vergangenheit taten. Klug in diesem taktisch-strategischen Sinn ist so auch Alexander Gauland – derzeit einer der Hauptgegner Meuthens. Ursache hier ist folgerichtigerweise auch weniger Dissens im Grundsätzlichen als vielmehr die Setzung unterschiedlicher Prioritäten: Während der »Realo« Meuthen die AfD möglichst schnell unter eine Regierungshaube mit Union und FDP bringen will, setzt Gauland auf die Einheit der Partei – wohl wissend, dass eine nationalliberal auftretende Splittergruppe zwar auf bürgerlich-konservatives Wohlwollen treffen, das rechte Sammelbecken AfD allerdings zerstört.
Wer ist der Klügere? Schwer zu sagen. Möglich durchaus, dass die aktuelle Konstellation Platz bietet für ZWEI rechte Bundestagsparteien.
Wir befassen uns viel zu sehr mit der AfD und viel zu wenig mit dem Entwickeln einer eigenen (Gegen-)Kultur. Es gab Zeiten, da war das anders. Aber Künstler, Literaten, Kulturschaffende und Interllektuelle sind stumm geworden.