Vor sieben Jahren meldete sich die Polizei in Wien bei dem Regisseur und Drehbuchautor Constantin Hatz. Sein bester Freund hatte eine Abschiedsnachricht hinterlassen, in der er ihm seinen Nachlass überantwortete. Auf einem kleinen Zettel stand nüchtern mit Bleistift geschrieben: „Suizid. Keine Obduktion nötig.“
Das Vermächtnis des Freundes bestand aus Tausenden beschriebenen Seiten Papier, die er mit „Notizen über meine Existenz“ betitelt hatte. In der erschütternden Grausamkeit dieses Ereignisses liegt so eine Art letzter Hoffnung: Der Selbstmord ist zwar Ausdruck von Entbindung und Destruktivität, im schriftlichen Vermächtnis aber bewahrt sich die unauflösliche Beziehung zu einem Adressaten.
Für den Hinterbliebenen i
Hinterbliebenen ist das ein schweres Erbe, das nach Auseinandersetzung verlangt. Diese in der Form eines filmischen Essays anzugehen, hat im Fall von Constantin Hatz nicht nur persönliche Gründe. Was die Notizen seines Freundes akribisch über eine verlorene Existenz festhalten, ist auch gesellschaftlich relevant. Sie konturieren Stationen von Fluchterfahrungen infolge von Genozid und Vertreibung. Der Freund war als Kind während des Jugoslawienkriegs mit seiner Mutter aus dem Kosovo nach Österreich geflohen.Constantin Hatz nähert sich den schriftlichen Zeugnissen mit großer formaler Strenge. In breiten Schwarz-Weiß-Tableaus konzipiert er fünf Episoden, die einschneidende biografische Abschnitte dramatisieren. Ein Ensemble aus SchauspielerInnen und Laien spricht Auszüge der Texte als Monolog ein, um den herum sich eine szenische Konstellation entwickelt.Zu Beginn kommt ein Lkw frontal vor der Kamera zum Stehen. Ein älterer Mann übernimmt die Rolle, von den Kriegserfahrungen aus der Perspektive eines Kindes zu berichten. Die Begegnung mit einem Leichnam auf einem Feld oder die Verletzungen an den Füßen durch lange Märsche auf der Flucht versetzen den Erzähler zunehmend in einen Autopilot-Modus. Die physische Notwendigkeit, sich zu bewegen, ist das Einzige, was es ihm noch ermöglicht, weiter zu denken. Die filmische Inszenierungsweise sorgt dabei für eine beklemmende Konzentration. Einzelne Sätze bekommen durch die fragmentarische Äußerungsform eine theatrale Kraft.Immer wieder kommt er auf Erfahrungen zurück, die ihn auch später noch verfolgen, wie die beklemmende Zeit auf der Ladefläche eines Lkw während der Flucht. Wenn Hatz solche Elemente visuell aufgreift, dann gerade nicht, um das Geschriebene zu illustrieren. Vielmehr ähnelt die essayistische Annäherung einzelnen Traum- oder vielmehr Albtraumepisoden. Im Vordergrund stehen die schwer erträglichen Erfahrungen des Freundes, die ästhetisch so weit verdichtet werden, dass sie eine universelle Aussagekraft entfalten. Wenn ein Schauspieler im Asylbewerberheim immer wieder monoton die maroden Türen und Fenster öffnet und schließt, überträgt sich eine Vielzahl an verstörenden Eindrücken nur durch die eine Geste.Der Erzähler spricht von der Scham durch die Armut, von der Schutzlosigkeit durch fehlende Privatsphäre. Auf einem Kassettenrekorder sind die Vier ernsten Gesänge von Johannes Brahms zu hören, die sich mit der Todesagonie auseinandersetzen. Doch im Monolog ist auch die Rede von einer unverhofften Freundschaft zwischen dem Erzähler und einem Klassenkameraden, der unter Legasthenie leidet. Ein Foto zweier Kinder kommt in den Fokus. Ob es sich dabei um den Regisseur handelt, bleibt offen. In dieser Zeit kristallisiert sich jedoch eine gemeinsame Leidenschaft für Literatur heraus. Der Geflüchtete fürchtet sich zwar vor der deutschen Sprache, entwickelt aber auch großen Ehrgeiz, diese perfekt zu beherrschen. Sein Freund leiht ihm Bücher, die seine Ausdrucksfähigkeit tiefgreifend verändern und eines der wenigen positiven Erlebnisse in dieser Zeit bilden.Einen weiteren tiefen Einschnitt bildet der Tod der Eltern. Der Leichnam des Vaters wird im Kriegsgebiet identifiziert, die Mutter stirbt an Bauchspeicheldrüsenkrebs. Für den Erzähler beginnt eine neue Form der Tortur im Erziehungsheim. Immer wieder wird er erniedrigt und zur Strafe in ein Isolationszimmer geschickt. Auch sprachlich beginnt sich das Erzählte weiter von der unmittelbaren Erfahrung abzulösen und wird literarischer. Nach dem Verlust der Mutter sei die ganze Welt zusammengebrochen, heißt es von ihm. Und zugleich gibt es, außer dem besten Freund, niemanden, um diese Zersplitterung aufzufangen.Die letzte biografische Station bildet die geschlossene Psychiatrie nach einem ersten Suizidversuch. Eine junge Frau setzt in dieser Episode die Gedanken des Erzählers bedrückend in Szene. Dieser spricht von seinem „Denkkabinett“, in das er sich immer weiter zurückgezogen hat. Alles erscheint dem Erzähler wie das Reenactment eines absurden Theaterstücks. Schließlich werden auch die Worte zu Requisiten, die er brutal gegen sich wendet.Constantin Hatz gelingt es, durch den hohen Grad der formalen Abstraktion die innere Entfremdung des Protagonisten ins Ästhetische zu übertragen und damit anschaulich zu machen, ohne sie völlig ins Verstehbare zu überführen. Damit gibt er den letzten Wunsch seines Freundes an die Zuschauer weiter: Dass seine Erfahrungen auch als Störung anderen zumutbar sein sollen und Gehör finden mögen.Placeholder infobox-1