DJV warnt Medienschaffende vor Reisen in die Türkei: Bitte nicht pauschalisieren
Journalismus Der Deutsche Journalisten-Verband gibt eine Warnung an deutsche Medienschaffende bei Reisen in die Türkei aus. Wie schätzen die Kolleg*innen vor Ort die aktuelle Situation ein?
Die Türkei hat in den vergangenen Jahren mit dem Niedergang der Demokratie zu kämpfen. Besonders schwerwiegend waren die Folgen des Putschversuches im Jahr 2016. Die politische Krise verschärfte sich
Pressefreiheit in der Türkei aus.Die Türkei hat in den vergangenen Jahren mit dem Niedergang der Demokratie zu kämpfen. Besonders schwerwiegend waren die Folgen des Putschversuches im Jahr 2016. Die politische Krise verschärfte sich. In den Jahren nach dem Putsch befanden sich etwa 200 Journalist*innen in Haft. Ein düsteres Zeugnis für die freie Meinungsäußerung und Medien im Land. Ein besonders aufsehenerregender Fall war die einjährige Inhaftierung des „Welt“-Journalisten Deniz Yücel, der sowohl die türkische als auch die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt, im Jahr 2017, was zu einer besonders verschärften Situation zwischen den beiden Ländern führte.Verschiedene Indizes zur Pressefreiheit, darunter der RSF-Pressefreiheitsindex, bewerten die Türkei durchweg negativ. Das derzeitige Ranking der Türkei auf Platz 165 von 180 unterstreicht das gefährliche Umfeld, in dem sich Journalist*innen dort bewegen. War es eine Überreaktion des DJV?Kritische Stimmen hinterfragen jedoch den Zeitpunkt der DJV-Warnung. DJV-Pressesprecher Hendrick Zorner verteidigt den Schritt gegenüber dem Freitag: „Nach der Verhaftung der deutschen Bundestagsabgeordneten in Antalya sahen wir uns veranlasst, die Warnung herauszugeben.“ Er betont, dass der DJV sich immer wieder besorgt über die Lage in der Türkei geäußert und auch schon in der Vergangenheit von Reisen dorthin abgeraten habe.Die Frage ist nun, ob der DJV überreagiert.Man müsse zwischen einzelnen politischen Vorfällen und dem breiteren Klima für internationale Journalist*innen im Land unterscheiden, betonte der Präsident der Foreign Media Association (Vereinigung ausländischer Medien, FMA) in der Türkei, Chris Feiland. Es könne durch politische Aussagen zu Spannungen kommen, aber das bedeute kein generelles Risiko für alle Journalist*innen.„Auch wenn der DJV nicht falsch dabei liegt, deutsche Journalist*innen davor zu warnen. Wir sind überzeugt, dass es entscheidend ist, zwischen den Ansichten von Politiker:innen und kritischem Journalismus zu unterscheiden“, sagt Feiland gegenüber dem Freitag. Nicht zu leugnen sei, dass bestimmte Themen Risiken für türkische und internationale Journalist*innen bergen würden. Aber nicht jede kritische Berichterstattung führe zu Problemen, so Feiland. Eine „unglückliche Lotterie“Der Vertreter der Türkei beim Komitee zum Schutz von Journalisten (CPJ), Özgür Öğret, sagte gegenüber dem Freitag: „Leider ist die Türkei ein Land, das bekannt ist für Probleme bezüglich der Pressefreiheit, insbesondere die juristische Verfolgung kritischer Journalist*innen. Dennoch ist es nicht korrekt zu sagen, dass alle Journalist:innen, die die derzeitige Regierung kritisieren, seien sie türkische Staatsbürger*innen oder nicht, Probleme bekommen.“Stattdessen schiene es eine zufällig wirkende, aber sicherlich strategisch motivierte Praxis zu geben, sagte Öğret weiter. Er nenne es „umgekehrte Lotterie“. Von vielen Journalist*innen, die zu ähnlichen Themen arbeiteten oder Äußerungen in den sozialen Medien tätigten, bekämen nur einer – oder nur wenige – zeitgleich Ärger mit der Regierung. Diese Praxis ziele darauf ab, die Selbstzensur zu fördern, konstatiert Öğret. Seiner Ansicht nach sei es nicht falsch zu sagen, dass Journalist*innen, die über Themen berichten, die von der Regierung als ‚sensibel‘ eingeschätzt werden, eine größere Chance hätten, diese Lotterie zu gewinnen. Er glaubt, dass es zu ungenau sei, die Türkei als gefährlich für alle ausländischen Journalist*innen zu bezeichnen. Aber, so fügt er hinzu, „sind zweifellos die Risiken für diejenigen, die über bestimmte Themen berichten, erhöht.“Der Istanbul-Koordinator der Deutschen Welle Türkei, Bülent Mumay, dem deutschsprachigen Publikum bekannt durch seine Kolumne „Brief aus Istanbul“ in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, hinterfragt, ob der Aufruf des DJV am Ende wirklich zielführend ist. In der komfortableren PositionAngesichts zunehmender Restriktionen gegenüber ausländischen Medien sei die Präsenz internationaler Journalist:innen im Land essenziell für einen unvoreingenommenen Blick auf die Geschehnisse in der Türkei. Mumay macht auf das Paradoxon aufmerksam, dass deutsche Journalist*innen entgegen der Warnungen und der Gefahrenlage auch in Regionen wie Afghanistan arbeiten.„Wenn Berufsverbände die Risiken klarstellen und Vorsichtsmaßnahmen empfehlen würden, wäre das ein ausgewogener Ansatz“, so Mumay. „Historisch gesehen wagten sich Journalist*innen schon immer an Orte, die andere zögern ließen.“Ähnlich sieht das auch Christian Feiland von der FMA, der Vereinigung für Auslandsmedien, in der Türkei: „Insbesondere in den vergangenen drei Jahren waren internationale Journalist*innen trotz der Herausforderungen in der Lage, weitaus öfter kritische Berichte zu produzieren und über sensible Themen zu berichten als in den Jahren zwischen 2016 und 2018. Ein pauschaler Ansatz wird den Nuancen der Situation möglicherweise nicht gerecht.“ Abschließend fügt er noch hinzu: „Vergessen Sie nicht, dass sich die deutschen Journalist*innen – so riskant es auch sein mag – immer noch in einer sehr viel komfortableren Lage befinden als ihre türkischen Kolleg*innen.“