Doras Brosche

Großbritannien 1908 erkämpfen die Suffragetten das Frauenwahlrecht. So manches Erbstück erzählt davon
Ausgabe 10/2018
Kämpferinnen für die Gleichberechtigung: Suffragetten 1908 in London
Kämpferinnen für die Gleichberechtigung: Suffragetten 1908 in London

Foto: Hulton Archive/Getty Images

Wer waren die tapferen Frauen, die 1908 an der Seite von Emmeline Pankhurst für das Frauenwahlrecht auf die Straße gingen? Der Guardian bat seine Leserinnen und Leser, die Geschichten ihrer Großmütter und Großtanten zu erzählen.

Steinwürfe und Hungern

Mein Bruder Peter fand eines Tages ganz unten in einer Schublade die leicht rissige Urkunde der Women’s Social and Politicial Union (WSPU) unserer Großmutter Dora Spong. Sie trägt die Unterschrift von Emmeline Pankhurst und erinnert an Doras Einsatz für die Sache, „jederzeit bereit, dem Ruf der Pflicht zu folgen“.

Wir wissen, dass Dora und ihre Schwester Florence 1908 der WSPU beitraten. Alle Frauen in unserer Familie beteiligten sich an WSPU-Demonstrationen. Großtante Irene gab Konzerte, um die Bewegung zu unterstützen, und sowohl Florence als auch Dora verbüßten mehrfach Haftstrafen im Londoner Frauengefängnis Holloway Prison.

Am 29. Juni 1909 war Florence dabei, als nach dem Protest einer WSPU-Abordnung vor dem Parlament über hundert Frauen verhaftet wurden. Florence wurde wegen Steinewerfens angeklagt, zu einem Monat Gefängnis verurteilt und trat in den Hungerstreik. Das hielt sie nicht davon ab, sich später am „Schwarzen Freitag“ im November 1910 an einer Demonstration gegen die Behandlung der Suffragetten auf dem Parliament Square zu beteiligen. Dafür kam sie weitere zwei Monate ins Gefängnis. Florence stickte ihre Unterschrift auf eine WSPU-Fahne, die im Holloway-Gefängnis angefertigt wurde und bis heute im Londoner Stadtmuseum ausgestellt ist.

Unsere Familie bewahrt auch eine Brosche in Form eines Fallgatters mit einer symbolischen durchgebrochenen Kette auf. Schon als Kinder wussten wir, dass die Brosche den Sieg im Kampf für das Frauenwahlrecht feiert.

Joanna Wickenden Ibarra, London,Enkelin von Dora Spong

100 Jahre Frauenwahlrecht

1918, vor einhundert Jahren, durften in Deutschland Frauen das erste Mal an die Wahlurne treten. Grund genug für die Freitag-Redaktion, zum Internationalen Frauentag die Hälfte dieser Ausgabe der Hälfte der Menschheit zu widmen: Frauen. Eine Ausgabe, die das Jubiläum von 100 Jahren Frauenwahlrecht zum Anlass nimmt, um sowohl an den Kampf von Frauen- und Wahlrechtlerinnen in Deutschland, England und der Schweiz zu erinnern als auch den Blick über die Historie hinaus zu weiten. Wir rücken den Druck, dem Frauen heute ausgesetzt sind, in den Fokus:

Wie sie es auch anstellen, irgendetwas daran ist immer falsch. Warum? Weil es kein eindeutiges Frauenbild gibt, so wie noch vor einigen Jahrzehnten? Dafür gibt es jede Menge vorherrschende, meist eindimensionale Zuschreibungen: Weibchen mit Kernkompetenz für Kinder, Küche, Vorgarten. Oder machthungrige Karrierefrauen, denen feminine Eigenschaften abhandengekommen sind.

Haben Frauen eine andere Wahl? Dürfen sie einfach so sein, wie sie nun mal sind: stark, schwach, Mutter, kinderlos, Chefin, Hausfrau? So unterschiedlich also wie das Leben selbst? Und eine Wahl jenseits der fakultativ-obligatorischen Möglichkeit, über den Bundestag, ein Kommunal- oder Landesparlament mitzuentscheiden?

Lesen Sie selbst!

Vereint im Mietstreik

Meine Großtante Jenny MacCallum, die aus der schottischen Kleinstadt Dunfermline stammte, trat 1908 der Women’s Freedom League bei und fuhr nach London, um mit anderen Suffragetten vor dem Parlament zu demonstrieren. Sie wurden wegen „Randale“ verhaftet und mit einer Strafe von fünf Pfund belegt. Wie Jenny wurden die meisten für einen Monat ins Holloway-Gefängnis geschickt, weil sie sich weigerten, die Strafe zu bezahlen.

Im Nationalarchiv in London fand ich eine Kopie von Jennys Haftstrafenregister und die Kopie des Berichts der Times über die Demonstration. Vor Kurzem entdeckte ich dann in der Bibliothek von Dunfermline Informationen über einen Mietstreik im benachbarten Rosyth, den Jenny 1919 mitorganisiert hat. Das hatte ich bis dahin nicht gewusst. Es gibt Fotos von einer recht großen Demonstration und Plakaten, auf denen steht: „Rosyth Rent Strike Never Surrender“ (dt. „Der Rosyth Mietstreik ergibt sich nie“). Aus den Unterlagen geht hervor, dass Jenny offensichtlich auch die Suffragetten-Aktivistin Sylvia Pankhurst dazu gebracht, sich für einige der Männer einzusetzen, die später vor Gericht gestellt wurden.

Sheila Perry, Edinburgh,Großnichte von Jenny McCallum

Schärpen für den Kampf

Ich besitze noch immer eine Schärpe mit dem Aufdruck „Votes for Women“, die meine Großmutter Jennie Adamson irgendwann vor 1914 anfertigte. Meine Großmutter hat sich für das Frauenwahlrecht eingesetzt und war Politikerin. Meine Mutter hat mir erzählt, dass es regelrechte Schärpen-Partys gab, bei denen viele Frauen ihre Schärpen batikten. Es ging dort allerdings sehr ernsthaft zu.

Der Mann meiner Großmutter, William Adamson, war Gewerkschaftsführer und ab 1922 Abgeordneter im Parlament. Er brachte mehrfach Gesetzesvorschläge für das Frauenwahlrecht ab 21 Jahren ein. Großmutter wurde 1938 ins Parlament gewählt. Ich glaube, sie war die 36. weibliche Abgeordnete, und die beiden waren während das Zweiten Weltkriegs das einzige Ehepaar, das gemeinsam im Parlament saß. 1962 starb meine Großmutter im Alter von 79 Jahren. Ein Porträt von ihr hängt in der National Portrait Gallery in London.

David Adamson Redgrave, Massachusetts, Enkel von Jennie Adamson

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