Erich Kästner zum Geburtstag: Glückwünsche von A bis Z
Codewort Es gab viele Emils, wie wir anlässlich Erich Kästners 125. Geburtstag herausfanden. Einer durfte nicht so heißen, andere standen schon früher in Diensten von Sherlock Holmes. In Berlin aber gab’s nur den einen. Das Wochenlexikon
Die Stadt war einmal durch den Kriegs-Fleischwolf gedreht worden – und hat sich neu erfunden. Die zweite deutsche Adaption von Emil und die Detektive im Jahr 1954 zollt dem Neuanfang Tribut: Knapp zehn Jahre nach Nazis und Bomben hechten Regisseur und Kameramann in die neue Zeit. Schon das fiktive „Neustadt“ ist ein malerisches, kaum kriegsgeschädigtes Kleinstädtchen mit VW-Käfer auf dem Marktplatz. Und erst Berlin: Die Großstadt, die Emil via Charlottenburg kennenlernt, zeigt sich von ihrer besten Wiederaufbau-Seite. Das Café Palais ist ein Schmuckstück der 50er-Jahre-Architektur, von Werbeplakaten dominierte Straßen strotzten vor Farbe. Bei der Verfolgung des Diebes Grundeis präsentiert die Stadt stolz ihre Neubaut
t die Stadt stolz ihre Neubauten. Aber Kästner ist ein Mahner, so setzt der Film die zerstörte Gedächtniskirche in den Mittelpunkt, sie rückt immer näher, immer enger ziehen die Detektive ihre Kreise, bis sie schließlich zum Herzstück wird und die Botschaft aus dem Ruinenfenster herausschreit: Nie wieder! Jenni Zylka Bwie BandenIn Kästners Emil und die Detektive ist die Bande eine spontan gegründete Formation, die durch die berühmte „Parole Emil“ zusammengehalten wird. In der Kinderbande hat jede*r seine oder ihre Aufgabe, sie ist angesichts des Ziels, Emil das gestohlene Geld wiederzubeschaffen, eine perfekte Form informeller Organisation. Die Mitglieder agieren rational und technisch aufgeklärt, sie sind in der Lage dazu, in Windeseile effektive Befehlsketten und Kommunikationsnetzwerke zu organisieren. Die Bandenparole ist ja fast schon militärisch präzise. Sie agieren selbstständig, als Truppe, mit Emil und dem Professor als Avantgarde. Insofern dienen Banden bei Kästner der Aufklärung, deren Tradition sich Kästner zeit seines Lebens zugehörig fühlte: Die Kinder finden den Ausgang aus ihrer selbst verschuldeten Unmündigkeit durch Bandenbildung. Markus SteinmayrFwie FrauenpowerSich mit den Verhältnissen abfinden? Sich halb prokrastinierend, halb resignierend mit der politischen Großwetterlage arrangieren? Dieser Geist der Neuen Sachlichkeit ist Pony Hütchens Sache nicht. Jedenfalls nicht in Franziska Buchs Verfilmung von Emil und die Detektive von 2001. Während Erich Kästner das Mädchen, das noch von den Pflichten der Frauen spricht und Schürze trägt, bisweilen etwas zu zurückhaltend und sekretärinnenhaft im Kreis seiner Jungsbande darstellt, präsentiert sie die Gegenwartsregisseurin mit der vollen Kraft moderner Frauenpower. In der Bande, die sowohl von kultureller Diversität als auch sozialer Ungleichheit geprägt ist, gibt sie den Ton an und glänzt durch ihre Cleverness. Den urbanen Jungendslang beherrscht sie astrein – das übrigens entspricht dem Roman. „Ihr Erwachsenen“, so die junge, feministische Rebellin, „seid manchmal kolossal hart verpackt.“ Als Tochter einer armen Wirtshausfamilie weiß diese Provokateurin schon früh, wie der Hase läuft. Björn HayerKwie KinderdetektiveNoch nie, erzählt Dr. Watson später, habe er dermaßen schmutzige Geschöpfe zu Gesicht bekommen. Gleich zu sechst fallen sie in das geheiligte Domizil des großen Sherlock Holmes ein, kassieren pro Kopf einen Schilling und machen sich wieder auf den Weg. Ihr Auftrag ist noch nicht erledigt. Die „Baker Street Irregulars“, eine Bande cleverer Straßenkinder, angeheuert von Sherlock Holmes, sind die ersten Kinderdetektive der Literatur. Dass die kleinen Dreckspatzen auch Kästner inspiriert haben, ist wahrscheinlich. Ihnen folgte eine ganze Reihe halbwüchsiger Ermittler, von Astrid Lindgrens Kalle Blomquist (→ Michel) bis zu den populären drei ???. Wer nun den Eindruck haben sollte, Detektivarbeit sei vor allem etwas für Jungs, täuscht sich (→ Rumtreiben). Seit 2006 ermitteln die drei !!!, Kim, Franziska und Marie, in bislang mehr als 90 Fällen. Joachim FeldmannMwie MichelEiner der bekanntesten Kinderfilme beginnt in der deutschen Synchronfassung mit einer Lüge: „Sing dudeldei, sing dudeldei, der Michel war bekannt. Sing dudeldei, sing dudeldei, bekannt im ganzen Land.“ In Wahrheit kennt diesen Michel zwischen Malmö und Kiruna kein Mensch, noch nicht mal in seiner Heimat Småland hat man je von ihm gehört. In Schweden heißt Astrid Lindgrens eigensinniger Junge aus Lönneberga Emil,aber um der Verwechslung mit Kästners Emil Tischbein vorzubeugen, wurde Emil Svensson in Deutschland kurzerhand umbenannt. Warum die Wahl auf Michel fiel, bleibt das Geheimnis derer, die 1964 für die deutsche Ausgabe im Oetinger Verlag verantwortlich waren. Im Schwedischen existiert dieser Name nicht und mit dem schlafmützigen deutschen Michel verbindet den schlagfertigen schwedischen Fünfjährigen nur, dass er darauf beharrt, auch im Bett seine „Müsse“ zu tragen. Vater Anton hingegen durfte trotz Kästners Pünktchen und Anton seinen Namen behalten. Christine KäppelerPwie ParlamentWas auf den ersten Blick als harmlose Detektivgeschichte daherkommt, ist bei genauerem Hinsehen ein Politikum: Denn als Erich Kästner seinen Emil 1929 veröffentlichte, stand die Weimarer Republik schon am Abgrund. Die Erwachsenen bekamen es einfach nicht hin, drum ließ der Schriftsteller eben seine jungen Spürnasen eine vorbildliche Demokratie entwickeln. Stullen wurden verwaltet, eine Telefonzentrale eingerichtet, und Abstimmungen tätigten die Detektive – schon lange bevor Herbert Grönemeyer fordern konnte: „Gebt den Kindern das Kommando“ – in einem Quasiparlament auf der Straße (→ Rumtreiben). Die Eltern sollten ob der Ergreifung der Diebe allenfalls staunen, aber teilnehmen am Entscheidungsverfahren? Auf gar keinen Fall! Denn die, darin sind sich die Protagonist:innen einig, „sind nun mal komisch“. Björn Hayer Rwie RumtreibenWir waren fünf. Nadja hatte die größte Klappe, fuhr schwarz U-Bahn undvermisste ihren Vater. Scheidungskindheit war die unausgesprochene Aufnahmebedingung für die → Banden-Mitgliedschaft. Wir wollten Detektive sein, aber fanden keine Verbrechen. Also dachten wir uns welche aus, trieben wir uns rum im verrotteten Park an der alten Villa, balancierten auf deren Simsen, gruselten uns vor Obdachlosen. Stachelten uns gegenseitig auf, wer schneller über den Zaun kam, wer am wenigsten Angst hatte. Heulen war verboten. Ganze Hefte schrieb ich voll, mit den Regeln und den Abenteuern. Ich glaubte an unser Bandentagebuch, an unsere Minidemokratie (→ Parlament). Valerie konnte damit nichts anfangen. Mette und Sannefanden es schick. Bei Babsi tranken wir Mate-Tee, weil ihr Stiefvater aus Chile kam. Einmal habe ich mir den Knöchel gebrochen, als wir über den Zaun kletterten. Es tat mistweh, doch ich habe keine Träne vergossen und war stolz wie Emil. Keine Ahnung, wo die alle hin sind, unsere Bande sind längst gerissen. Katharina Körting Vwie VorläuferBevor Kästner mit Emil und den Detektiven den immensen Erfolg einfuhr, hatte es schon einen jungen Pfiffikus mit Bande gegeben, nicht ganz so, aber auch sehr erfolgreich: Wolf Durians Kai aus der Kiste. 1924 als Fortsetzung im Heiteren Fridolin, 1926 als Buch. Während Kästners Emil für Berlin warb (→ Architektur), warb Kai für die Werbung, die damals Reklame hieß – und ganz amerikanisch neu war. Der 13-jährige Straßenbengel will vom amerikanischen Zigarettenkönig als Werbefritze angeheuert werden. Dafür klimaklebt seine Bande nicht, sondern verziert alles und jedes in Berlin mit schwarzen Handabdrücken. Die erregte Aufmerksamkeit befördert Kai flugs zum Reklamekönig. Ein amerikanisches Märchen made in Berlin. Während Kästner im NS-Reich Unterhaltung schrieb, hielt Durian sich mit markigen Artikeln ans Durchhalten. Erhard Schütz Wwie WiderstandKästners Figuren sind damit beschäftigt, sich in der Welt, wie sie ist, und den Verhältnissen, wie sie eingerichtet sind, zunächst erst einmal zurechtzufinden – das gilt für Kinder und für Erwachsene. Ohne Kenntnis der Welt oder eine Orientierung in ihr kann man keinen Widerstand üben. Emil sagt ja nicht zufällig am Ende seiner Geschichte: „Eine Lehre habe ich bestimmt daraus gezogen: Man soll keinem Menschen trauen.“ Zusammengehalten wird die erzählte Welt der Kindheit durch unterschiedliche Parolen, die sogar wie Schlachtrufe anmuten (→ Zora, rote): In Kästners Roman Das fliegende Klassenzimmer (1933) ist es die Parole „Eisern“, die die Schulgemeinschaft und ihre unterschiedlichen Charaktere zusammenhält, in Emil und die Detektive (1929) einfach „Emil“, mitunter gedeutet als Kästners „Plädoyer für Vernunft“. So entsteht durch die Parole eine Welt der Eindeutigkeit in einer uneindeutigen Welt. Überwinden kann man diese Welt nicht, sich aber in ihr gemeinsam mit Freunden, Partnern und Kindern zurechtfinden: Kenntnis der Welt setzt ihre Erkundung voraus. Markus SteinmayrZwie Zora, rote→ Banden waren in meiner DDR-Kindheit eigentlich kein positiv besetzter Begriff. Eher der „Trupp“, wie jener von Timur und seinen Kompagnons, über die Arkadi Gaidar schrieb. Unter meiner Parole Emil versammelten sich zum Trupp neben Kästners Detektiv noch Pippi Langstrumpf und Ronja Räubertochter, um dem Bösen der Welt zu trotzen. Irgendwann bekam ich Die rote Zora und ihre Bande in die Hände, genauer: unter die Augen. Ganz natürlich reihte sie sich ein in mein Panoptikum der Helden und Heldinnen, mit denen ich mir Abenteuer ausdachte. Dass Zora da mit dem Stallausmister und Hydraenthaupter Herakles, mit Emil und dem Degen stoßenden d’Artagnan gemeinsame Sache machte, kam mir nicht merkwürdig, sondern logisch vor. Denn die Parole „Alle für einen“ galt in meiner Vorstellung nicht nur für drei Musketiere. Tobias Prüwer
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