Stefanos Kasselakis, ein Millionär aus Miami und politischer Nobody, schaffte es innerhalb von zwei Monaten, die Herzen vieler Syriza-Mitglieder zu erobern und sich gegen etablierte Parteikader durchzusetzen. Leider scheint sein Aufstieg zum Vorsitzenden der griechischen Linkspartei eher Ausdruck eines Abenteuers zu sein als Anstoß für eine Metamorphose, die wieder zur Übernahme von Regierungsverantwortung führt. Kasselakis zeigt viel Geschick beim Umgang mit sozialen Medien und will die Partei in Anlehnung an die US-Demokraten modernisieren. Er beruft sich auf das Scheitern eines Referenzprojekts der europäischen Linken, als das Syriza einst galt.
Gegen das Euro-Spardiktat
Während des Jahrzehnts der Eurokrise ab 2010 wurde die Partei zu einem der politisch
einem der politischen Großtanker Griechenlands. Sie machte den Sprung von einer Rand- zur Regierungspartei und begründete als linker Pol vorübergehend ein Zweiparteiensystem mit der Nea Dimokratia (ND). Syriza profitierte von der Lücke, die mit der Verschuldungskrise links der Mitte entstanden war, wie auch vom dynamischen Charisma eines Anführers wie Alexis Tsipras. Ein Zuspruch von 35,5 Prozent bei den Wahlen im September 2015 belebte die Hoffnung vieler, die in Syriza einen glaubwürdigen Anwalt ihrer sozialen Forderungen sahen. Freilich lag das weder an der organisatorischen Reichweite der Partei noch an ideologischer Kohärenz. Die strategische Entscheidung, so schnell wie möglich Regierungsmacht zu haben, kam Syriza teuer zu stehen. Ihre Struktur gab es nicht her, Millionen Menschen derart zu vertreten, dass ihnen die Sparauflagen der Brüsseler Euro-Retter weniger anhaben konnten. Um zu verstehen, was die Organisationsstruktur für eine Partei wert sein kann, sollte man sich den Erfolg der sozialdemokratischen PASOK vor Augen halten, die in längeren Phasen der 1980er und 1990er Jahre souverän regierte und mit Andreas Papandreou einen populären Führer hatte. PASOK-Regierungen wurden auch dadurch möglich, dass die Partei – im Unterschied zu Syriza Jahre später – viele Parteikader im staatlichen Apparat zu platzieren verstand. Bis heute zehrt die PASOK auf kommunaler wie gewerkschaftlicher Ebene von dieser Zeit, obwohl sie aufgrund ihrer Mitverantwortung für Megaschulden des Staates fast ins politische Niemandsland abgerutscht ist.Syrizas Regierungszeit von 2015 bis 2019 korrespondierte mit einer Zentralisierung parteiinterner Macht. Strömungen lösten sich auf, es kam zur teils theatralischen Inszenierung von Parteitagen und zur Konzentration von Entscheidungsmacht bei Alexis Tsipras. Als man wieder in der Opposition war, agierte der weiter als unangefochtener Leader und verfolgte das Ziel, die Partei Richtung Zentrum und Sozialdemokratie zu bewegen. Dafür stand nicht zuletzt der Parteiname: Syriza – Progressive Allianz. Freilich konnte Tsipras nicht vollenden, was er begonnen hatte, sodass es nun bei Stefanos Kasselakis liegt, diesen Kurs fortzusetzen, sofern er das will.Premier Kyriakos Mitsotakis stach Alexis Tsipras ausDie Wahlniederlage im Juni, als Syriza nur auf 18 Prozent der Stimmen kam, während die Nea Dimokratia mit 40 Prozent triumphierte, der folgende Rücktritt von Tsipras und die Kontroversen um seine Nachfolge sorgten für eine Phase linker Melancholie, die bis heute andauert. Anstatt die neoliberale Politik der rechtskonservativen ND-Regierung zu attackieren, stürzte sich Syriza allein auf die Person von Premier Kyriakos Mitsotakis und präsentierte ihn als Beelzebub. Das parlamentarische Forum verkam zur Arena zweier Einzelkämpfer: Tsipras gegen Mitsotakis. Im Ergebnis stand Syriza auf der Schwelle zum politischen Bankrott.Nach zehn Jahren Krise und drei Jahren Pandemie ist eine Mehrheit der Griechen geneigt, in Mitsotakis den Politiker zu sehen, der für eine Rückkehr zur Normalität steht. Parallel dazu hat Syriza den Mut zur positiven Vision verloren, die in einer immer absurderen und gefährlicheren Welt zu überzeugen weiß.Placeholder image-1Ob der neue Parteichef Kasselakis das Blatt wenden kann, ist nicht ausgemacht, und ein großer Teil des Parteiapparats ist ihm nicht restlos ergeben. Unbehagen wurde erkennbar, als sich in der Parlamentsfraktion 16 Abgeordnete bei der Abstimmung über den von Kasselakis vorgelegten Plan zur Vergabe von Führungsposten enthielten. Der Drittplatzierte bei der parteiinternen ersten Wahlrunde über den künftigen Vorsitzenden, Ex-Finanzminister Efklidis Tsakalotos vom linken Parteiflügel, sah davon ab, Kasselakis zum Sieg bei der Stichwahl zu gratulieren. Schon im Vorfeld dieses Votums hatten sich die beiden Lager – das Team Kasselakis auf der einen und Eftychia Achtsioglou, die Kontrahentin in der Stichwahl, sowie Tsakalotos auf der anderen Seite – beharkt. Ex-Bildungsminister Nikos Filis nannte Kasselakis in Anspielung auf den Komiker und Begründer der Fünf-Sterne-Bewegung in Italien „den „Beppe Grillo Griechenlands“. Gegen den Willen vieler Parteimitglieder wurde der fällige Parteitag nicht mehr für dieses Jahr anberaumt, sondern auf Februar 2024 verschoben.Die Spaltung von Syriza lag in dere LuftIm Oktober hatte Kasselakis die Stirn, vier führende Politiker per Tweet aus der Partei zu werfen. Als er dann auch noch drohte, notfalls ein Mitglieder-Referendum über diesen Rausschmiss zu veranstalten, lag am 11. November erstmals eine Spaltung in der Luft. Nach einer angespannten Sitzung des Zentralkomitees teilten 45 von den etwa 300 Mitgliedern dieses Gremiums – sie gehören zur linken Gruppierung Umbrella (Regenschirm) – mit, sie würden die Partei Syriza verlassen. Andere wie der aufstrebende Dionysis Temponeras kritisierten Kasselakis zwar scharf, blieben aber vorerst.Viele Syriza-Mitglieder und -Anhänger glauben an den neuen Parteichef, weil sie erwarten, dass er gegen Mitsotakis gewinnen kann. Die Tragik besteht darin, dass viele Parteikader zu sehr mit den parteiinternen Querelen beschäftigt sind, sodass ihnen entgeht, wie sehr ein Teil der Gesellschaft die momentane Regierung ablehnt. Vielleicht haben nicht zuletzt deswegen viele Griechen bei den Kommunal- und Regionalwahlen im Oktober Bewerber der Nea Dimokratia abgestraft und für die progressiven Alternativen gestimmt.