Intendant Steffen Mensching: „Wir sehen uns nicht als politische Botschafter“
Interview Steffen Mensching ist Intendant am Theater in Rudolstadt. Er will Kunst für alle machen und gleichzeitig Haltung gegen rechts beziehen. Wie kann das gehen? Und wie nimmt er den erstarkenden Einfluss der AfD in Thüringen wahr?
„Mich interessiert die Frage: Was verbindet die Menschen noch in diesen zersplitterten Zeiten? Was denken sie?“ – der Intendant Steffen Mensching im Gespräch
Foto: Charlotte Sattler für der Freitag
Steffen Mensching empfängt im Schminkkasten, einer der Spielstätten des Theaters in Rudolstadt, das er seit 2008 leitet. Gerade wird das große Zuschauerhaus, nahe am Bahnhof, renoviert. Mensching sitzt in seinem Büro, umgeben von lauter zerlesenen Büchern, manch alte DDR-Ausgabe. Ein Album aus seiner Clownszeit mit Hans-Eckardt Wenzel liegt rum. An der Wand hängt ein Bild des jungen Barack Obama. Mensching wirkt geerdet, auch wenn er über die AfD redet. Liegt vielleicht auch am Berlinern.
der Freitag: Herr Mensching, Sie sind seit 15 Jahren in Thüringen. Wie erleben Sie das Land?
Steffen Mensching: Wenn man sich entschlossen hat, in so eine Region zu gehen, dann weiß man, man zieht nicht in eine multikulturell geprägte Großstadt, sondern
empfängt im Schminkkasten, einer der Spielstätten des Theaters in Rudolstadt, das er seit 2008 leitet. Gerade wird das große Zuschauerhaus, nahe am Bahnhof, renoviert. Mensching sitzt in seinem Büro, umgeben von lauter zerlesenen Büchern, manch alte DDR-Ausgabe. Ein Album aus seiner Clownszeit mit Hans-Eckardt Wenzel liegt rum. An der Wand hängt ein Bild des jungen Barack Obama. Mensching wirkt geerdet, auch wenn er über die AfD redet. Liegt vielleicht auch am Berlinern.der Freitag: Herr Mensching, Sie sind seit 15 Jahren in Thüringen. Wie erleben Sie das Land?Steffen Mensching: Wenn man sich entschlossen hat, in so eine Region zu gehen, dann weiXX-replace-me-XXX223; man, man zieht nicht in eine multikulturell geprägte Großstadt, sondern in den ländlichen Raum. Es ist konservativ, man ist eher skeptisch gegen bestimmte Entwicklungen der Moderne. Und es gibt ein paar Nazis. Damit hatte Rudolstadt seine Erfahrungen. Hier wurde Anfang der 1990er Jahre in Gedenken an Rudolf Heß marschiert. Natürlich gibt es nationalkonservative Strömungen, Neonazismus. Aber es gibt auch eine Zivilgesellschaft, die sich dagegen wehrt. Das macht diese Region aus. Einerseits konservative bis reaktionäre Tendenzen und dann Bürger, die sich organisieren, die Demokratie leben und nicht nur auf sie schimpfen. Beides spürt man hier sehr direkt.Wie spiegelt sich das an Ihrem Theater wider?Wir wussten, als wir in Rudolstadt anfingen, für wen wir arbeiten wollen. Bestimmte Stoffe finden hier weniger Anklang. Vor meiner Zeit lief Heiner Müllers Germania. Das Stück wurde drei oder vier Mal aufgeführt. Eine Inszenierung, die so selten läuft, ist sehr schwer zu vermitteln. Wer nur für die paar Intellektuellen Theater macht, ist schnell weg vom Fenster. Wer an den lokalen Subventionsgebern vorbeispielt, an den Bürgern, der muss sich zu Recht sagen lassen: Warum sollen wir in eine Kulturstätte Geld investieren, von der wir nichts zurückkriegen? Die Kultur, die sie mitfinanzieren, soll bei den Leuten, die hier leben, ankommen.Programm für alle, wie machen Sie das?Wir haben Stücke gemacht, die in der Region spielen, die die Leute hier selber entwickelt haben, zum Beispiel die Schicksalssinfonie. Da ging es um unser Orchester, das von der Abwicklung bedroht war. Wir haben ein Stück über einen lokalen Fußballverein gemacht, der im Pokalwettbewerb bis ins Finale kommt. Der Verein war dann auch bei uns im Theater.Sie haben den Roman „Herscht 07769“ fürs Theater adaptiert, der in der fiktiven thüringischen Kleinstadt Kana spielt. Eine Gang aus Nazis, Verlierern und Trinkern schwadroniert vom „Vierten Reich“, später zünden sie eine Tankstelle an und ermorden zwei Ausländer.Diesen Roman hat der ungarische Autor László Krasznahorkai für Kahla geschrieben, einen Ort nahe Rudolstadt. Aber wir machen das nicht nur, weil die Nazis da eine wichtige Rolle spielen. Sondern weil es in der Region angesiedelt ist. Die 88, die Bundesstraße, kommt vor, Rudolstadt wird in dem Stück erwähnt. Auch Tino Brandt, der aus Rudolstadt kommt und im Umfeld des NSU war. Die Kreisstadt Saalfeld. Die Leute können vieles wiedererkennen. Wie schön es hier landschaftlich ist, wie nett die Menschen sind. Aber auch wie schwierig und gefährlich es wird, wenn bestimmte Anschauungen Macht und Einfluss kriegen. Wir wollen menschliche Geschichten erzählen. Da muss auch Romeo und Julia plausibel sei. Es darf nicht dekonstruiert werden, sodass man die Stoffe nicht mehr erkennt. Das wollen die Leute hier in der Provinz nicht.Sie suchen im Theater Heimat und Identität?Ja. Unsere hier wollen nicht das avantgardistische Experiment, nur um des Experiments willen. Ich habe lange genug auf der Bühne gestanden, um zu wissen, dass es für Spieler nichts Schlimmeres gibt, als das Gefühl: Was ich da auf der Bühne mache, kommt bei denen da unten überhaupt nicht an.Es gibt momentan eine Art von ideologischen Gebieten, die postmoderne, fortschrittliche, multikulturelle Welt und die, die stärker zurück zu den Wurzeln deutscher Kultur wollen. Welche Schnittmengen sehen Sie?Konservativ ist nicht unbedingt reaktionär. Das Reaktionäre ist ein Auswuchs des Konservativen. So wie es in multikulturellen, liberalen Kreisen genauso den Auswuchs des Dogmatischen gibt. Wo nichts anderes mehr gilt. Wo es einseitig wird.Dieses Nicht-mehr-Offen-Sein für andere Positionen?Ich erlebe die Thüringer als Leute, die extrem viel reisen und die Welt ungeheuer aufnehmen. Die aus den Tälern ausbrechen, weggehen. Das ist die eine Klientel. Und die anderen sind die, die sagen: Ich bleibe in meinem Dorf, fahre nicht mal mehr in die Kreisstadt. Das ist die Wurzel des Völkischen, des Sichzurückziehens. Die Welt ist extrem kompliziert geworden – und da ist die Frage, was man aus diesem Chaos für sich macht. Versucht man, diese schwierigen Prozesse irgendwie zu begreifen?Das fällt uns allen schwer.Oder macht man es sich leicht, nimmt die einfachen Antworten der AfD an: Wir kriegen die Sache in den Griff, Flüchtlinge raus, Eliten abschaffen, die Klimakrise existiert nicht. Wir brauchen also keine Windkraft. Wir fahren weiter Diesel. Mit simplen Antworten werden Leute geködert, die sagen: Ist mir doch scheißegal, ob die Welt kaputt geht. Hauptsache, ich habe noch 20, 30 Jahre. Dafür sind sie bereit, einen moderaten Faschismus zu akzeptieren. Es gibt bekennende Nazis, Teile der AfD-Klientel. Aber auch die anderen kalkulieren das mit ein.Wie gehen Sie am Theater mit diesen Polarisierungen um?Wir machen dialogische Angebote. Wenn ich in einer Komödie versuche zu zeigen, dass die Welt nicht monochrom ist, nicht schwarzweiß, kann ich schon Bollwerke gegen so simple Weltsichten bauen. Man kann den Leuten mit solchen verwickelten Geschichten versuchen, klarzumachen: Die Welt ist nicht einfach. Fallt nicht auf die Bauernfänger-Losungen herein!Rudolstädter:innen sollten ihre Region erkunden, daraus wurde das Laienstück „Mein, dein, unser Ort – eure Stadt“.Mich hat die Frage interessiert: Was verbindet die Menschen noch in diesen zersplitterten Zeiten? Es war ein erster Versuch, aber man müsste noch viel tiefer graben, um wirklich herauszukriegen, wie die Leute denken. Die Rechten haben zum Beispiel gar nicht mitgemacht. Die machen nirgendwo richtig mit. Außer im Stadtrat, da sitzen sie, mehr oder weniger schweigend.Wie steht die AfD in Rudolstadt zu Ihrem Theater?Bei der Abstimmung über die Theaterfinanzierung haben auch AfD-Stadträte die Hand gehoben. Das Theater ist bei den Leuten vor Ort beliebt, obwohl der Chef eine linke Zecke ist. Das kalkuliert man ein.Der Kulturbegriff wird von rechtskonservativer Seite gerne benutzt.Sie haben im Grunde den Begriff vom Kulturkampf aufgebracht. Von der Gegenkultur. Gramsci sozusagen umgedreht. Aber im Prinzip haben sie recht. Es ist wirklich ein Kulturkampf. Wie organisiert sich Gesellschaft, unter Beteiligung aller politischen, ethnischen, religiösen und Gender-Überzeugungen? Oder gibt es eine dominierende Kultur, deren Vertreter sagen: Die deutschen Werte sind die bestimmenden und die anderen müssen sich entweder integrieren oder ausgesondert werden.Wie kann man auf andere zugehen und sich gleichzeitig positionieren?Das haben wir immer getan. Aber muss man ständig Stücke zeigen, die diese Konflikte thematisieren, sich als politischer Botschafter begreifen? Das tun wir nicht. Da bin ich zu sehr durch Eisler und Brecht beeinflusst. Eislers Satz, dass Überpolitisierung in der Kunst zur Barbarei in der Ästhetik führt, finde ich sehr schlagend. Wir machen Kunst, und unsere Haltung steckt da drin, die muss man nicht extra draufpappen. Anders ist es mit der Entscheidung, bewusst gegen Naziaufmärsche aufzutreten, da sind wir als Bürger am Theater.Sie haben den „Tatortreiniger“, Schiller oder das Mitmachstück „Heiteres Beruferaten“ auf dem Spielplan. Und sind auch sonst nah dran– beim Rudolstädter Apfelschälwettbewerb haben Sie den zweiten Preis gewonnen.Ich wollte als Intendant nicht drei Tage Berlin und vier Thüringen machen. Die Leute kriegen mit, ob man nur gute Gehälter abschöpft, aber nicht richtig dazugehört, sich nicht auf die Menschen einlässt. Und bislang hatte ich noch keinen Stress mit politischen Verantwortlichen, die mir reingeredet hätten.Befürchten Sie, das könnte sich bald ändern?Wenn die AfD ans Ruder kommt, na klar. Geschichten aus Sachsen und Sachsen-Anhalt machen das ganz deutlich. Nach unserem Stück Herscht gab es eine kleine Anfrage der AfD an die Ramelow-Regierung – wir hatten pädagogisches Material an die Lehrer verteilt. Das wollten sie sehen. Sie wollten wissen, ob wir als Theater politischen Einfluss auf Bildung nehmen. Wie viel Geld wir bekommen. Oder wie viele Stücke mit rechtsradikalem Hintergrund wir in den letzten drei Spielzeiten aufgeführt haben – und wie viele mit linksradikalem Hintergrund. Wir konnten das mehr oder weniger erschöpfend beantworten. Wir hatten eine Komödie, Hase Hase, imProgramm. Da geht es tatsächlich um einen linksradikalen Anschlag. Wir konnten sehr schön Ausgewogenheit demonstrieren.So eine Anfrage zeigt, dass im Hintergrund was wabert.Das überrascht mich nicht. Ist ja auch richtig. Wir beweisen mit den Mitteln der Kultur, wo wir politisch stehen. Da müssen wir uns nicht wundern, wenn die anderen reagieren. Das ist der Kampf um die Hegemonie. Wer hat die überzeugendere Antwort?Wie weit kann man mit den Rechten reden? Und wann hört die Diskussion einfach auf?Wenn rassistische, antisemitische Positionen vertreten werden. Da bin ich schon meinen jüdischen Freunden gegenüber verpflichtet. Wenn Gewalt gegen Menschen, die anders aussehen, anders denken, sich anders kleiden, angedroht wird.Als das Stück „Herscht“ lief, wurde an Ihrem Theater eine Scheibe eingeschlagen.Aber man muss differenzieren: Ist es wirklich ein politischer Akt? Oder nur dummer Vandalismus? Man muss nicht hinter jedem Steinwurf sofort die Nazis wittern. Vielleicht war es nur ein Bier zu viel.Placeholder infobox-1