Sehr geehrter Herr Augstein, Ihr Artikel hat wahrhaftig eine Debatte ausgelöst, in mir und in meiner Familie. Dafür gebührt Ihnen Dank. Nun aber zu Ihrer Aussage: Der Mensch ist das Maß aller Dinge. Da taucht bei mir die Frage auf: Welcher Mensch soll den Maßstab setzen? Der Mensch hier im Westen, der die Erde ausbeutet und das nach Ihrer Vorstellung auch darf, denn er ist ja der Maßstab? Oder aber der Indigene, der den Wunsch hat, in seinem angestammten Gebiet wohnen bleiben zu können? Mir ist die Aussage zu abstrakt, da denk ich eher pragmatisch – eine Richtschnur braucht es eben doch. Und da die Religion nicht mehr infrage kommt, sind für mich die Menschenrechte der Maßstab, auf die sich die Völker 1948 nach den schrecklichen Verbr
für mich die Menschenrechte der Maßstab, auf die sich die Völker 1948 nach den schrecklichen Verbrechen des Krieges und des Holocaust geeinigt haben.Zu Ihrer These, der Mensch könne die Natur nicht zerstören. Klar, auch alle Atombomben, sollten sie gezündet werden, können die Natur nicht zu 100 Prozent auslöschen. Wozu der Mensch aber durchaus fähig ist: zur Zerstörung der eigenen Lebensgrundlagen.Im Übrigen wundert es mich, dass Sie die These aufstellen, wir Menschen könnten den Klimawandel nicht stoppen. „Er ist unaufhaltsam.“ Gründe für Ihre Aussage nennen Sie keine, sodass ich auf Vermutungen angewiesen bin. Ja, es stimmt, es sieht nicht danach aus, als ob wir die Klimaziele des Pariser Abkommens erreichen werden. Sie können aber nicht leugnen, dass durch verschiedene Maßnahmen eine Reduktion der Treibhausgase stattgefunden hat. Und jedes Kilogramm Einsparung reduziert die Erderwärmung, sodass es eben weniger Dürren oder Überflutungen gibt – siehe Mojib Latif in seinem Buch Countdown.Sie schlagen deshalb vor, sich auf Schutzmaßnahmen zu konzentrieren. Der Mensch solle die Welt so verändern, dass „die Natur eingebettet ist in eine von Menschen gemachte Welt“. Klingt gut. Aber wie wäre das zu bewerkstelligen? Kleine Inselstaaten wie Kiribati sind dem Untergang geweiht. Australien und Neuseeland haben ja schon über die Aufnahme der Inselbewohner nachgedacht, obwohl – falls es gelänge – ihre Kultur verloren ginge. Wie sollen denn arme Länder wie Bangladesch oder Pakistan in der Lage sein, sich auf Schutzmaßnahmen zu fokussieren, wenn schlichtweg das Geld fehlt? Dabei haben diese Länder und viele Staaten Afrikas nur einen unerheblichen Teil der klimaschädlichen Gase in die Luft gepustet, sind also nicht die Verursacher.Die Verursacher sind die reichen Industrienationen und die sogenannten Schwellenländer. Löst diese Tatsache keine unguten Gefühle bei Ihnen aus? Warum insistieren Sie darauf, dass Begriffe wie Schuld, Scham, Wiedergutmachung uns von einer Religion aufoktroyiert wurden und daher keine Gültigkeit mehr besitzen? Sind Schuld und Reue nicht allgemein menschliches Verhalten? Wenn Sie den Begriff „Klima-Religion“ verwenden, taucht bei mir die Vorstellung auf: „Ach, das mit dem Klima ist alles nur ausgedacht.“Die KlassengegensätzeDenn Religion basiert ja nicht auf Tatsachen, sondern auf Mythen, auf ausgedachten Narrativen. Ich sehe keine Verbindung zwischen Klima und Religion, folgt doch der Klimawandel ausschließlich physikalischen Gesetzen. Warum sollte das Nachdenken über den von Menschen verursachten Klimawandel also religiöse Motive haben? In einem gebe ich Ihnen allerdings Recht. Die Klimakatastrophen verschärfen die Klassengegensätze, um es mal so zu nennen, hier bei uns und weltweit. Wie üblich sind wir hier im „Westen“ in der glücklichen Lage, Klimaprogramme durchzuziehen. Naja, nach dem letzten Richterspruch des Bundesverfassungsgerichts sieht es nicht mehr so rosig aus. Wer weiß, was noch alles auf uns zukommt, besonders auf die Menschen aus prekären Verhältnissen.Ihre Quintessenz: „Die Welt der Zukunft wird anders aussehen als unsere Welt. Das Anthropozän hat erst begonnen.“ Stimmt genau. Für mich ist aber nicht das Anderssein von vorrangiger Bedeutung, sondern ob es in der Welt der Zukunft etwas mehr Menschlichkeit, Gerechtigkeit und weniger bis keine Kriege mehr gibt.