Antwort auf Jakob Augsteins „Klima-Religion“: Gaia statt Garten
Einspruch Noch können wir den Klimawandel in erträglichen Grenzen halten, allerdings müssen wir dafür unsere Handlungskompetenz in Sachen Klimaschutz endlich anerkennen
Das Skelett eines Kaimans im ausgetrockneten Flussbett des Río Pilcomayo in Paraguay, 2016
Foto: Jorge Adorno/Reuters/dpa
„Die Klimakatastrophe bedroht alles Leben auf der Erde. Sie betrifft jeden Menschen. Wir müssen endlich damit aufhören, die Natur zu zerstören. Stattdessen sollten wir ein Leben im Einklang mit der Natur anstreben und das natürliche Gleichgewicht des Planeten bewahren. Inzwischen würden die meisten Menschen jedem dieser Sätze zustimmen. Ohne zu zögern und nachzudenken. Dabei ist jeder dieser Sätze falsch.“ So beginnt der Artikel Die Klima-Religion von Jakob Augstein. Die falschen Sätze finden sich allerdings eher auf Seiten des Autors und das beginnt bereits in der Unterzeile des entsprechenden Artikels, wo es heißt: „Wir können die Erwärmung der Erde nicht stoppen. Wir sollten es auch nicht länger versuchen
ißt: „Wir können die Erwärmung der Erde nicht stoppen. Wir sollten es auch nicht länger versuchen – sondern müssen lernen, unsere Welt von morgen gut einzurichten.“Das mag vielen Lesern und Leserinnen gefallen, da sie jetzt endlich die Verantwortung los sind, sich um ihren ökologischen Fußabdruck zu sorgen, unterschlägt aber einen wichtigen Faktor: die Zeit. Denn die Veränderung des Klimas ist nichts, was sich lediglich in den nächsten Jahren oder Jahrzehnten abspielen würde. Dann hätte Jakob Augstein recht.In zweihundert JahrenDa die Verweildauer von CO₂ in der Atmosphäre einige Jahrzehnte beträgt, würde selbst ein sofortiger Stopp sämtlicher Kohlendioxidemissionen erst einmal nichts an der globalen Temperatur ändern, die heute zirka 1,2 Grad über dem vorindustriellen Niveau liegt. Sprechen wir aber in Zeiträumen von ein- bis zweihundert Jahren, stellt sich das Ganze anders dar. Und in diesen Dimensionen müssen wir denken, wenn uns wirklich etwas daran liegt, auch künftigen Generationen einen Planeten zu überlassen, auf dem ein gutes Leben möglich ist.Unter diesem zeitlichen Aspekt spielt es eben sehr wohl eine Rolle, wie viel Kohlendioxid wir heute und in den kommenden Jahren noch emittieren. Denn das entscheidet darüber, ob sich die globale Durchschnittstemperatur am Ende um zwei, vier oder vielleicht sogar um bis zu sieben Grad erhöht und diese Erde in Teilen unbewohnbar werden wird. „Falls die globale Erwärmung in den kommenden Jahrzehnten oder später vorübergehend 1,5 Grad über-steigt“, so der sechste Sachstandsbericht des Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC), „werden viele menschliche und natürliche Systeme im Vergleich zu einem Verbleib unter 1,5 Grad zusätzlichen schwerwiegenden Risiken ausgesetzt sein […]. Je nach Ausmaß und Dauer der Überschreitung werden einige Folgen die Freisetzung zusätzlicher Treibhausgase verursachen […] und manche Folgen werden unumkehrbar sein, selbst wenn die globale Erwärmung verringert wird.“Deshalb müssen wir alles in unserer Macht Stehende tun, die Kohlendioxidemissionen drastisch zu reduzieren, um mögliche Kipppunkte und die damit verbundenen unumkehrbaren Folgen zu vermeiden. Ja, es stimmt: Wir können den Klimawandel nicht aufhalten, aber wir haben noch immer die Möglichkeit und gleichzeitig die Pflicht, ihn in erträglichen Grenzen zu halten.Ein weiterer wesentlicher Irrtum besteht darin, die Natur ausschließlich aus anthropozentrischer Perspektive zu sehen und zu beurteilen. Augstein schreibt, dass die gesamte Natur nur eine soziale Konstruktion sei. Es gebe die Natur an sich gar nicht, sondern nur in Bezug auf uns. Der Mensch sei das Maß der Dinge und die Natur habe eine Bedeutung nur insoweit sie eine Bedeutung für den Menschen hat. Das stellt umweltethisch gesehen einen krassen Rückschritt dar, denn heute setzt sich unter den Ökologen und Umweltethikerinnen zunehmend ein physiozentrischer Standpunkt durch, der der Natur unabhängig von uns intrinsischen Wert zugesteht. Das bedeutet nichts anderes als die Anerkennung von Innerlichkeit, Subjektivität und Autonomie aller Lebewesen.Auch Berge, Flüsse, Landschaften und Ökosysteme werden als Subjekte anerkannt, denen gegenüber wir moralische Pflichten haben. Inzwischen gibt es in vielen Ländern der Welt Anstrengungen, der Natur respektive allen Lebewesen, aber auch ganzen Ökosystemen, Klagebefugnis einzuräumen. So hat beispielsweise die spanische Regierung im vergangenen Jahr dem Mar Menor (einer Salzwasserlagune an der spanischen Mittelmeerküste) den Status eines Rechtssubjekts mit einklagbaren Rechten verliehen.Doch Augstein versteht die Natur ausschließlich funktional. Sie selbst hat nach seiner Auffassung keinen Wert und sei lediglich dazu da, uns zu dienen. Daher auch sein Vorschlag, die Welt zu einem Garten zu machen und die Natur so zu verändern, „dass nicht wir eingebettet sind in die Natur, sondern die Natur eingebettet ist in eine vom Menschen gemachte Welt“. Aber auch diese Idee wird den aktuellen Erfordernissen nicht gerecht, denn es ist gerade die vom Menschen zu einem Garten umgestaltete Welt, die am wenigsten lebendig und für viele ökologische Probleme verantwortlich ist. Augstein vertritt hier exakt den anthropozentrischen und wohl auch androzentrischen Blick auf Natur, den es zu überwinden gilt. Was wir wirklich brauchen, ist „Rewilding“, also eine wilde Natur, die weitestgehend ohne anthropogene Einflüsse sich selbst überlassen bleibt.Wenn Augstein schreibt, dass wir die Grenze zwischen Natur und Kultur aufheben müssen, hat er sicherlich recht, und das schließt eine in Teilen gezähmte Natur in den Städten ein. Grundsätzlich muss das aber auf Augenhöhe geschehen und darf nicht wieder zu einem neuen Machtgefälle zu Ungunsten der Natur führen. Die Natur ist nun einmal keine Sache, die wir nach Belieben für unsere Zwecke verwenden können, sondern hat ihre eigene Würde, die es zu achten gilt. Auch die Behauptung, der Natur wäre es vollkommen gleichgültig, ob es uns gibt und wie es uns geht, ist nachweislich falsch. Angesichts der Tatsache, dass uns diese Natur in einem zirka 3,8 Milliarden Jahre dauernden Prozess hervorgebracht hat, ist das eine beinahe schon groteske Behauptung.Noch dazu wissen wir heute, dass dieser Planet jeden Tag aufs Neue dafür sorgt, dass wir auf ihm leben können. Stichwort Homöostase. Dieser Begriff steht für die Fähigkeit von Organismen, gegenüber sich verändernden inneren wie äußeren Bedingungen ihr inneres Gleichgewicht zu bewahren. Der im letzten Jahr verstorbene britische Wissenschaftler James Lovelock hat die gesamte Erde als einen solchen Organismus beschrieben, den er Gaia nannte. Sie stellt ein lebendiges, sich selbst regulierendes System dar, das über lange Zeiträume hinweg für lebensfreundliche Bedingungen sorgt. Gleichgültigkeit sieht anders aus. Die Idee, der Mensch würde die Natur zerstören, hält Augstein für „eine neue Variante menschlicher Hybris“, da uns dafür schlicht die Macht fehle. Das mag richtig sein, doch auch unterhalb der Schwelle der (unmöglichen) totalen Zerstörung der Natur sind wir sehr wohl in der Lage, ihr immensen Schaden zuzufügen. Und dieser Schaden betrifft ja nicht irgendwelche leblosen Güter, sondern lebendige Wesen, die massiv unter den durch uns verursachten Zerstörungen zu leiden haben. Nur wer das Leben unter rein funktionalen Aspekten betrachtet, kann derart unbeeindruckt über seine großflächige Zerstörung hinweggehen.Gerade deshalb ist es umso wichtiger, die Natur nicht nur funktional, sondern in ihrer Tiefe zu begreifen und zu würdigen. Nach Augstein hat das Anthropozän gerade erst begonnen. Unter Anthropozän verstehen wir das Zeitalter, in dem der Mensch zum bestimmenden Faktor für das globale Ökosystem geworden ist. Auch hier muss man dem Autor klar widersprechen: Ein so verstandenes Anthropozän mit dem Menschen als Homo destructor muss ein möglichst schnelles Ende finden. Ob by design oder by disaster liegt noch immer in unserer Hand.Placeholder authorbio-1
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