Angst Wie hoch werden die Preise für Gas noch steigen? Wird genug davon da sein, wenn es kalt wird? Die Wirtschaft will Vorrang gegenüber privaten Haushalten. Wie lange wird sich die Regierung dem verwehren? Wer jetzt Kredite abzuzahlen hat, dem steigen die Zinsen mit der Inflation. Die Energiekosten treffen auch Betriebe, große wie kleine. Droht eine Pleitewelle, ein Anstieg von Arbeitslosigkeit? Es ist eine Frage der Mentalität und der persönlichen Lage, ob aus Sorgen ➝ Panik wird. Wohl gibt es größere Gefahren als die Preissteigerung. Kennt man die Ursachen der Krise, sind die Wirkungen womöglich noch weitreichender. Weltfinanzcrash, soziale Unruhen, Brandherde überall, Atomkrieg? Mitunter heißt es, wir Deutschen seien verwö
heißt es, wir Deutschen seien verwöhnt. Über Jahrzehnte haben Politiker Sicherheit und Wohlstand versprochen. Es klingt wie Hohn, wenn jetzt, inflationär, ein Film von 2004 zitiert wird: Die fetten Jahre sind vorbei. Als ob man damit die Angst kleinreden könnte. Irmtraud GutschkeDDoof Kennen Sie, oder? Sachen, für die man zu doof ist. Zum Beispiel Ökonomie. Ich versuche mal das Maximal- und Minimalprinzip mit den Optionen zu erklären, die mein Schulfleiß mir bot: entweder eine gute Note mit möglichst wenig Aufwand. Oder nichts tun und mit einem blauen Auge davonkommen. Aber, was ist jetzt was? Das Interessanteste am Magischen Viereck war das Wort „magisch“. Ich verstand, alles muss in Balance sein, sonst droht Inflation. Das ist wenn, äh, zu viel Geld im Umlauf ist bzw. bei gleicher Geldmenge alles teurer wird? Nageln Sie mich nicht fest. Oft wurde behauptet, die Inflation sei nur gefühlt. Der gute alte „Teuro“. Oft hab ich gedacht, mein Gefühl trügt doch nicht. Jetzt „ist die Mark nur noch 50 Pfennig wert“ (Helge Schneider). Hyperreal scheint gerade alles, aber es gibt noch die wirtschaftspsychologische Komponente. Katharina SchmitzEErsatzgeld Zigaretten waren ein beliebtes, freilich illegales Ersatzgeld. Die Zigarettenwährung kam im Zweiten Weltkrieg in den Besatzungszonen auf und wurde bis zur Währungsreform 1948 benutzt. Auf dem ➝ Schwarzmarkt übernahmen die Päckchen die Funktion als Zahlungsmittel. Tabak ist in Gefängnissen ein Tauschmittel, wobei in US-Knästen aufgrund schlechter Ernährung Instantnudeln neue Währung sein sollen. In Krisen- und Mangelzeiten war oft sogenanntes Notgeld im Umlauf, dem die Menschen mehr vertrauten als dem offiziellen Zahlungsmittel. Das erste Notgeld aus Papier kam im Spanien des 15. Jahrhunderts auf. Besonders während der ➝ Hyperinflation 1923 fand Notgeld in Deutschland Verwendung, gaben Kommunen, Behörden und Unternehmen eigene Zahlungsmittel heraus. Sie fungierten wie Gutscheine. Heute sind sie Sammlerobjekte und kulturhistorisch interessant. Oftmals kunstvoll gestaltet, nehmen sie Bezug auf lokale Sagen, Heimatgeschichte. Ein Schein aus Gräfenroda beispielsweise zeigt einen Knirps in roter Gewandung – er weist den thüringischen Flecken als Geburtsort des Gartenzwergs aus. Tobias PrüwerFFrankfurter Banker Inflationäres Verhalten kennen wir hier in Frankfurt am Main allzu gut. Doch anders als die Chai-Latte-Mama aus dem Prenzlauer Berg sich das so vorstellt. Krise ist nur ein Merkmal der Armen. In Frankfurt fließt der Champagner immer in Strömen, die PS-Zahl gilt als Schmelztiegel männlicher Erreichungskunst, die noch nie etwas mit Inhalt oder gar Können zu tun hatte. Es ist die Hybris des überegomanen Richtigkeitsgefühls, zu einer Welt dazuzugehören, in der Abgeben Sünde ist. Wenn die Inflation die Preise hochschnellen lässt, gönnt sich der Investmentprofi noch eine Kiste Ruinart mehr. Höhere Preise sind hier kein Indiz zur Sorge, sondern geben das Gefühl, mithalten zu können. Jan C. BehmannHHyperinflation Sie kann so einschneidende Folgen haben, dass sie körperlich erinnert werden. Mir selbst haben sich die Erzählungen meiner Großmutter eingebrannt: Das Geld sei so wertlos geworden, dass man mit einer Schubkarre voller Geldscheine zum Bäcker fahren musste (➝ Weimarer Republik). Ob sie das selbst erlebt hat? Oder bloß davon hörte? Viele Menschen glauben, dass die Hyperinflation Hitler an die Macht gebracht habe. Doch das stimmt nicht: In den Jahren vor der Machtergreifung herrschte Deflation und Sparpolitik. Eher als die Geldentwertung sind also die falschen Strategien zur Inflationsbekämpfung an Hitlers Aufstieg schuld. Pepe EggerKKaufrausch Es gab Situationen, in denen besonders die pure ➝ Angst vor der Inflation eine solche erzeugte. Sie kann wie eine selbsterfüllende Prophezeiung wirken, wie ein quasi-rationalisierter Kaufrausch.Man meint, gute Gründe für gesteigerten Konsum oder fürs Hamstern zu haben und verstärkt mit dem Verhalten die ökonomische Zwickmühle. Dahinter steckt dieser Mechanismus: Wenn die Inflationserwartungen von Haushalten und Unternehmen ansteigen, dann ziehen sie bereits geplante Käufe vor – in der Erwartung, zu einem späteren Zeitpunkt Geld zu sparen. Die so steigende Nachfrage treibt ihrerseits die Preise nach oben. Das hebt die tatsächliche Inflationsrate an. Die Politik sollte sachlicher agieren als ein allerorten ➝ „Hyperinflation“ schreiender Markus Söder (dabei beginnt diese erst ab einem Wert von 50 Prozent Wertverlust – pro Monat). Auch Medien sollten zurückhaltend sein. Sie könnten Kaufräusche anfeuern. Tobias PrüwerPPanik Ob Marvin Gaye nun Protestsänger oder ein Smooth-Soul-Crooner mit durchaus misogynen Zügen war, der Zeilen wie „Darling, you’re my rhapsody“ schmachtet, darüber besteht seit Dekaden ein interessanter Diskurs. Gayes Werk mag widersprüchlich sein, doch bei Inner City Blues (Make Me Wanna Holler) ist er ganz entschieden. In dem Song, der 1971 auf dem Album What’s Going On bei Tamla-Motown erschienen ist, besingt er Armut, Arbeitslosigkeit und Inflation.Und er greift eine Regierung an, die Geld dafür hat, Menschen auf den Mond zu schießen, aber keines, um Menschen in den Gettos zu helfen. Hängepartien, Enttäuschungen, Rückschläge. Panik breitet sich aus. „Inflation no chance / To increase finance / Bills pile up sky high / Send that boy off to die / Make me wanna holler / The way they do my life / Make me wanna holler / The way they do my life“. Schreien möchte ich! Was sie mit meinem Leben machen! Das Lied wurde u. a. von Joe Cocker gecovert. Marc PeschkeSSchwarzmarkt Was lehrt ein römischer Kaiser über den Umgang mit Preisen? Es war im Jahr 301 nach Christus, als Diokletian das Edictum Diocletiani De Pretiis Rerum Venalium (dt.: Höchstpreisedikt) erlassen hat, mit dem er verhindern wollte, dass Produkte immer teurer werden.Das Edikt sollte die Inflation aufhalten, die sich während der Reichskrise des 3. Jahrhunderts verschärft hatte. Eine Währung stabilisieren, indem man sie abwertet? Das hat nicht funktioniert. Die „stabilen“ Preise waren so niedrig, dass Händler ihre Produktion einstellten oder ihre Waren auf dem Schwarzmarkt anboten (➝ Sozialismus). Und das paralysierte die Wirtschaft. Ein Fragment des auf eine Steintafel geschriebenen Edikts steht im Pergamonmuseum Berlin. Maxi LeinkaufUUnwort Um die Jahrtausendwende sickerte das Wort „nachhaltig“ in die politische Rede ein. Gemeint war damit die Befriedigung von den Bedürfnissen unter Berücksichtigung der Regenerationsfähigkeit genutzter Ressourcen. Gleichzeitig befand sich die Gesellschaft in einer immer heftiger rotierenden Wachstumsmühle. Schnell wurde das Wort inflationär genutzt und so immer sinnentleerter. Je schneller der Wirtschaftsmotor rotierte, desto nachhaltiger sollten die Lösungen erscheinen; der Motor jedoch weiter und weiter laufen. Heute steuern wir auf den perfekten Sturm zu. Wirklich nachhaltig sind nur die Plastikteppiche im Meer. Ihre nie versiegende Ressource ist unsere Ignoranz. Marc OttikerWWeimarer Republik Am 9. Juni 1923 kostete ein Ei in Berlin 800 Mark, knapp ein halbes Jahr später schon 320 Milliarden. Eine gigantische Geldentwertung. Die Menschen rechneten bald in Bündeln statt Scheinen (➝ Hyperinflation). Meine Großmutter verlor den Verstand darüber, dass ihr mühsam Erspartes zunichte geworden war. Der Staat aber wurde seine Schulden los. Im November 1923 wurde eine neue Währung geschaffen: die Rentenmark, ab Oktober 1924 schließlich die Reichsmark. Das Kaiserreich hatte noch eine Goldwährung besessen. Als im Juli 1914 der Krieg immer wahrscheinlicher wurde, haben sich die Leute massenhaft mit Gold versorgt. Mit dem Ermächtigungsgesetz vom 4. August 1914 konnte kein Umtausch in Gold mehr stattfinden. Der Weg war frei für ungehemmten Banknotendruck. Einer drastischen Erhöhung der Geldmenge stand bald kein entsprechendes Warenangebot mehr gegenüber. Meine Großmutter hat das alles nicht begriffen. Sie sehnte sich einfach nur ins Kaiserreich zurück. Irmtraud GutschkeZZentralbank Die Präsidentin der Europäischen Zentralbank, Christine Lagarde, war Finanzministerin in Frankreich. Ihr EZB-Vorgänger, Mario Draghi, hatte zuvor in Italiens Finanzministerium und bei Goldman Sachs gearbeitet, heute ist er Ministerpräsident. Bundesbank-Chef Joachim Nagel ist Mitglied der SPD.Ich muss da immer lachen, wenn mir die Erzählung von den unabhängigen Zentralbanken, die über die Niederungen der Politik so erhaben seien, begegnet. Das liegt auch an der Lektüre von Adam LeBors Buch über die Zentralbank der Zentralbanken: Der Turm zu Basel: BIZ – Die Bank der Banken und ihre dunkle Geschichte. Und an der Rolle der EZB bei der Strangulierung Griechenlands. Gegen ➝ Hyperinflation etc. würde progressive Finanzpolitik mehr helfen als der Fetisch für die angeblich über allem schwebenden Zentralbanken. Sebastian PuschnerSozialismus Inflation bedeutet, dass das für die Kohärenz einer Ökonomie entscheidende Gut, das ist im Kapitalismus das Geld, „knapp“ sein müsste, es aber nicht mehr ist, seine Menge vielmehr wuchert. Auch im Realen Sozialismus hat es Geldnoten und -münzen gegeben, sie spiegelten aber nur die Anordnungen der ökonomischen Planungszentrale wider: Diese waren hier das „knappe Gut“ in dem Sinn, dass sie von den Betrieben exakt hätten befolgt werden sollen. Das geschah aber in der Endphase immer weniger. Stattdessen horteten die Betriebe materielle Ressourcen, handelten auch untereinander mit ihnen ohne Wissen der Zentrale (➝ Schwarzmarkt), weil sie deren Planungsvorgaben anders nicht hätten einhalten können: Wenn zur angeordneten Produktion eine Ressource fehlte, wurde sie auf diesem Weg beschafft. Laut Hajo Riese und Karl Ernst Lohmann war das Inflation im Sozialismus, weil die von der Zentrale für ausreichend gehaltene Ressourcenmenge überschritten werden musste. Michael Jäger