Mit scharfer Zunge

Krimi Sara Paretsky schickt ihre feministische Detektivin V. I. Warshawski in eine besorgte Kleinstadt
Ausgabe 18/2020

Ein Einbruch in einem Sportstudio, und verdächtigt wird August Veriden, ein junger Afroamerikaner, ein Mitarbeiter, der seit rund einer Woche verschwunden ist. Bernie, die Ziehnichte von Privatdetektivin V. I. Warshawski, ist von Augusts Unschuld überzeugt und bedrängt die Ermittlerin, der Sache nachzugehen. Offenbar ist August, ein leidenschaftlicher Jungfilmer, nach Kansas gefahren, und zwar gemeinsam mit Emerald Ferring, einer afroamerikanischen Filmdiva, die in den 1970er und 1980er Jahren auf dem Höhepunkt ihrer Berühmtheit stand. August sollte eine Dokumentation über ihr Leben drehen, jetzt sind beide verschwunden. Warshawski verlässt Chicago, reist ins College-Städtchen Lawrence und trifft dort auf die unterschiedlichsten „Altlasten“. Da ist der unterschwellige Alltagsrassismus, der seit Jahrzehnten die reale Geografie der Stadt prägt; da ist ein altes Raketensilo, dessen Umgebung womöglich radioaktiv verseucht ist. 1983 hatte es ein Frauen-Protestcamp in dessen Nähe gegeben, und in irgendeiner Weise scheint alles damit zusammenzuhängen, auch Emerald Ferring war damals dabei.

V. I. Warshawski ist trotz Liebeskummer in Hochform. Sie stellt unangenehme Fragen, bohrt nach und lässt sich nicht abweisen. Sie schlägt sich mit einem kaltherzigen Experten für Infektionskrankheiten und dessen dysfunktionaler Familie herum, rettet mehreren Personen das Leben, findet aber auch verschiedene Leichen. Dazu kommen nervende Aufrüstungsfanatiker, undurchsichtige Militärs, voreingenommene Polizisten und jede Menge Kleinstadttratsch. Alldem begegnet Warshawski mit gewohnt beißendem Witz und scharfer Zunge – das macht viel Freude beim Lesen. Sara Paretsky, die wunderbare Grande Dame des feministischen Hardboiled-Krimis, studierte Politologin, Aktivistin, deren Romane weltweit gelesen werden und die zahlreiche Preise einheimste, hat den 18. Warshawski-Fall Altlasten im Sommer 2016 fertiggestellt, also vor den US-Präsidentschaftswahlen. Zu einer Zeit auch, als durch die Präsidentschaft Barack Obamas die Hoffnung der afroamerikanischen Bevölkerung auf mehr Gleichberechtigung wuchs. Im gleichen Maße mehrten sich jedoch die rassistischen Übergriffe. Ferguson, wo 2014 der 18-jährige Afroamerikaner Michael Brown von einem weißen Polizisten erschossen wurde – der von einer Grand Jury freigesprochen wurde, was landesweit für Unruhen sorgte –, liegt nicht weit von Lawrence entfernt im Nachbarstaat Missouri. Lawrence ist auch die Stadt, in der Paretsky aufgewachsen ist, und offenbar hatte die Autorin noch ein mittelgroßes Hühnchen mit ihr zu rupfen. Gleichzeitig ist der Roman in gewisser Weise eine Hommage an Paretskys Vater, einen Zellbiologen, der an der Uni in Lawrence lehrte.

Paretsky zeichnet das analytisch scharfe Bild einer Kleinstadt, gepflastert mit Tabus und Scheuklappen allerorten – heute wie auch in den 1980er Jahren. Daraus erwächst das Porträt einer Gesellschaft, die bei aller demonstrierten Fortschrittlichkeit immer noch ihre Altlasten mitschleppt, weil sie sich ihrer Vergangenheit nicht stellt – und dies trifft nicht nur auf Lawrence, Kansas, zu, sondern auf Familien im Kleinen wie die USA im Ganzen. Durchzogen ist dies von einer permanent spürbaren, nicht fassbaren Bedrohung: atomare Strahlung? Biologische Waffen, die heimlich an den Stadtbewohnern getestet wurden? Eine allumfassende Überwachung durch Malware im Smartphone? Oder ist das alles nur Einbildung? Aber es ist ja bekannt: „Nur weil du paranoid bist, heißt das nicht, dass sie nicht hinter dir her sind.“

Info

Altlasten Sara Paretsky Laudan & Szelinski (Übers.), Ariadne/Argument 2020, 544 S., 24 €

Metamorphosen

Die Serie, aus dem das hier gezeigte Bild stammt, entstand in einer „dunklen Phase“ des Lebens von Fotograf Yorgos Yatromanolakis. Er leistete seinen Pflichtdienst in der griechischen Armee und empfand diese Periode als Widerspruch zu seiner Persönlichkeit. Naturwanderungen halfen ihm, Frieden zu finden. Übergreifend in der Serie The Splitting of the Chrysalis and the Slow Unfolding of the Wings ist das Thema der Metamorphose, für Yatromanolakis ebenfalls ein sehr persönliches Thema. Zur Zeit der Griechenlandkrise im Jahr 2008 glaubte er an eine baldige Transformation der Gesellschaft. Der Titel der Reihe ist an den Lebenszyklus des Schmetterlings angelehnt, in dem das Insekt bekanntermaßen einen beeindruckenden Wandel durchlebt. https://www.yatrom.net/

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