Mehr Krach als Kunst: In dem Trash-Video „Schnuppivera“ spielt ein Krokodil mit Kindern und Panzern und singt zur Melodie von „Schnappi, das kleine Krokodil“ über seine Doppelmoral. Die als „Schnuppivera“ parodierte Vera von Braunbehrens, Psychotherapeutin und Miteigentümerin des Rüstungskonzerns Krauss-Maffei Wegmann, fand das Kunstwerk gar nicht witzig; ihr Anwalt forderte von den anonymen Künstlern per Youtube-Nachricht, das Video sofort zu löschen. Erst 500 Menschen hatten es sich angesehen – der Auftritt des Anwalts verbreitete das Video von Blog zu Blog und trieb die Aufrufe von „Schnuppivera“ auf über 2.500 hoch, dann entfernten die Künstler ihr Werk, doch es wird auf zahlreichen Blogs weiter diskutiert.
Offenbar hatten weder die Erbin noch der Anwalt vom Streisand-Effekt gehört: Weil Barbara Streisand gegen eine Luftaufnahme ihres Anwesens geklagt hatte, wurden Millionen Menschen auf ihren Wohnsitz aufmerksam gemacht. Droht eine Klage, ist der virale Web-Hit fast sicher, kaum etwas emotionalisiert und solidarisiert die Netzgemeinschaft schneller als der größte gemeinsame Feind, die Internetzensur.
So hatte sich Anonymous 2008 ausgerechnet im Widerstand gegen Scientology formiert, da die Sekte für ihr hartes Vorgehen, die Klagewut gegen Kritiker bekannt war und ein geleaktes Propaganda-Video mit Tom Cruise unterdrücken wollte. Für die Hacker lieferte dieses Verhalten eine Rechtfertigung für die kollektive Selbstjustiz. Auch das Zentrum für Politische Schönheit, aus dessen Unterstützer-Umfeld das „Schnuppivera“-Video stammt, verschafft politischen Missverhältnissen durch Aktionskunst ein mediales Echo; das Korrektiv der Öffentlichkeit soll zu Bewusstsein, im besten Fall zur Handlung zwingen. Die Aktivisten türmten etwa einen Berg aus Schuhen von Opfern des Massakers in Srebrenica auf, diese „Säule der Schande“ wies als „Medienwaffe“ auf die Mitverantwortung der UN an dem Massaker hin.
Erfolg durch Empörung
Der jüngste Coup ist nun also eine Protestkampagne gegen das Rüstungsunternehmen Krauss-Maffei Wegmann, das Leopard-2-Panzer nach Saudi-Arabien liefern möchte. Da der Konzern schwer angreifbar ist und bevorzugt unterhalb des Radars der Öffentlichkeit agiert, personalisierten die Kunstaktivisten die Kampagne. Sie zerrten die 38 Eigner des Familienunternehmens in die Öffentlichkeit, indem sie die bisher unbekannten Erben im Netz und auf Plakaten porträtierten und ein „Kopfgeld“ von 25.000 Euro aussetzen – für Hinweise auf beliebige Delikte, die die Eigner ins Gefängnis bringen.
Dass eine solche Provokation Reaktionen auslöst, auch rechtliche, war Kalkül. Tatsächlich wandte sich der 68er-Aktivist und Künstler Burkhard von Braunbehrens in den Medien gegen den Panzerdeal. Der wichtigste Eigentümer, Rüdiger von Braunbehrens, ging dagegen mit einer Klageandrohung gegen den Aufruf vor. Ohne die Gegenreaktionen wäre die Kampagne auf linke Blogs und vereinzelte Medienberichte beschränkt geblieben – erst durch die Kritisierten entfaltete die Aktion ihre Durchschlagkraft und wurde in zahlreichen Medien, online und offline, reflektiert. Der moderne Medienprotest setzt nicht nur auf virale Verbreitung, sondern ist auch insofern kollaborativ, als dass er die Gegner zu Unterstützern macht. Auch Vera „Schnuppivera“ von Braunbehrens hat dem unbekannten Trash-Video erst durch Empörung Erfolg verschafft, trotz der Löschung des Orginals kursiert im Netz schon wieder eine Kopie.
Sonja Peteranderl schreibt im Freitag über Ereignisse in der digitalen Welt
Was ist Ihre Meinung?
Kommentare einblendenDiskutieren Sie mit.