Kampf gegen rechts 20 Prozent würden die AfD zurzeit wählen. Dem Verfassungsschutz gilt sie als rechtsextremer Verdachtsfall. Würde ein Verbot der „Alternative für Deutschland“ die Demokratie stärken – oder ihr schaden?
Für Linke ist jede Forderung nach politischer Repression ein zweischneidiges Schwert. Denn abgesehen vom Straftatbestand der Holocaustleugnung wird sie stets auf die Linke zurückfallen. Weil zugleich aber eine radikale Linke die viel größere Bedrohung für den bürgerlichen Staat darstellt – sofern sie auf die Überwindung der kapitalistischen Produktionsweise zielt, als deren Hüter er fungiert –, wird er diese im Zweifel viel mehr bekämpfen als die extreme Rechte. Mit der lässt sich nämlich zwar kein demokratischer Staat machen, aber ein autoritärer Staat rührt den Privatbesitz von Produktionsmitteln nicht an. Der Faschismus ist die Sicherung des Kapitals: bevor es knallt, fliegt die Demokratie raus. Im antifasch
Im antifaschistischen Kampf ist der Staat also nicht nur kein guter Verbündeter, sondern ein Gegner.Nichtsdestotrotz ist die Situation hierzulande derzeit eine besondere. Einerseits ist die Linke so schwach wie noch nie unter demokratischen Vorzeichen – und das betrifft nicht nur ihren parlamentarischen Arm, der sich gerade in „Die Linke“ und „Die Rechte“ spaltet, sondern auch radikale und zivilgesellschaftliche Bewegungen. Eine Reihe historischer Niederlagen gegen den Neoliberalismus hat die Strukturen der Beständigkeit linken und antifaschistischen Kämpfens ausgetrocknet. Andererseits ist die extreme Rechte, unter denselben Vorzeichen, so stark wie noch nie – das betrifft vor allem ihre parlamentarische Vertretung in Form der AfD, aber auch ihre gesellschaftliche Vernetzung in Behörden, Eliten und Ordnungsbehörden (auch wenn diese in den ersten Nachkriegsjahrzehnten größer gewesen sein dürfte) und Ausbreitung in der Fläche – im ersten Halbjahr 2023 hat sich die Zahl rechtsextremer Demonstrationen verdreifacht. Und da sind Aufmärsche der AfD noch gar nicht mitgezählt.Einer Linken in der Defensive bleibt nichts anders übrig, als in Konstellationen zu denken und zu kämpfen – mal gegen den Staat und seine Repression, mal mit dem Staat gegen die Neofaschist:innen auf dem Vormarsch. Und die AfD ist nun einmal deren wichtigster Dreh- und Angelpunkt. Durch ihre Präsenz auf allen parlamentarischen Ebenen kann sie nicht nur Aufmerksamkeit und vermeintliche Legitimität für ihre Positionen herstellen, sondern hat Zugang zu wichtigen Ressourcen, vor allem Geld für Mitarbeiter:innen, eine eigene Stiftung, Veranstaltungen. Gefördert mit Millionen des demokratischen Staates bildet sich gerade eine neue Generation rechtsextremer Kader aus.Gegen diese Entwicklung kommt eine antifaschistische Linke allein nicht an, zumal sie vom Staat selbst behindert wird, wie der Prozess gegen Lina E. und Genossen gezeigt hat. Deswegen bleibt nur der zähneknirschende aber umso bestimmtere Appell an den Staat, das „schärfste Schwert“ der „wehrhaften Demokratie“ einzusetzen: das Parteienverbot. Natürlich würde die extreme Rechte durch ein Verbot der AfD nicht einfach verschwinden. Und gewiss bestünde die Gefahr, dass viele ihrer Kader in den Untergrund gedrängt werden und sich dort zu drastischen, terroristischen Maßnahmen entschließen. Das ist ein Risiko. Aber ein größeres Risiko ist, zu warten, was passiert, bis die AfD an den Schalthebeln des Staates angekommen ist.Ein Verbot der AfD ist nicht das ultimative Mittel im Kampf gegen rechts. Aber es wäre eine Verschnaufpause für jene antifaschistischen Kräfte, für die dieser Kampf nicht darin besteht, ihre Positionen zu übernehmen und umzusetzen (wie das alle Parteien und der Wagenknecht-Flügel der Linkspartei tun). Es würde den Zugang zu Ressourcen versperren, die derzeit dafür genutzt werden, antidemokratische, rassistische, queerfeindliche, frauenfeindliche, antisemitische – kurz: menschenverachtende – Netzwerke aufzubauen.Eine ernstzunehmende Linke hat kein Interesse am Fortbestand des Staates, aber sie hat eines am Fortbestand der Demokratie, die ihre eigene Existenzgrundlage ist. Die AfD muss sterben, damit wir eine Chance zu überleben haben. Leander F. Badura ContraUm es vorwegzunehmen: Mir wäre auch lieber, es gäbe keine AfD. Keine Partei, die das ressentimentschwangere Raunen, die neidgeplagte Missgunst, den von mehr oder weniger berechtigten Ängsten durchsetzten politischen Bodensatz in der Bevölkerung auffängt, kanalisiert und zum Treibstoff einer „Bewegung“ macht, deren primäres Ziel Ausgrenzung ist. Aber gäbe es nicht die AfD, die, nebenbei bemerkt, mit ihrem durch und durch wirtschaftsliberalen Programm die Bringschuld für die freiheitlich-demokratische Grundordnung (FDGO) zumindest in dieser Hinsicht übererfüllt, stünden andere karrierebesessene Populisten bereit, die den Job übernähmen. Rechtsausleger hat es in der Bundesrepublik immer gegeben, nur schafften sie es nicht, ihre trüben Rinnsale in einen Strom zusammenzuführen.Nun ist die Debatte um ein AfD-Verbot neu entbrannt, vorerst medial entzündet, denn ernsthaft denkt in der Bundesregierung niemand daran, einen derartigen Verbotsantrag zu stellen. Doch weil das Bundesverfassungsgericht die Latte für ein Parteiverbot, das durch reine „Gesinnung“ nicht mehr zu begründen ist, so hochgehängt hat, wird nun darüber spekuliert, ob mit einem einzelnen Landesverband – und Björn Höckes rassistischer Thüringer Club bietet sich privilegiert an – ein Testlauf zu starten wäre. Aber allein die Langwierigkeit eines solchen Verbotsverfahrens spricht gegen die durchsichtige Absicht, Höcke und seine Kombattant:innen aus dem Wettlauf um das Ministerpräsidentenamt in Mitteldeutschland rauszukegeln. So wird man einen unliebsamen Konkurrenten, der sich zudem in der Rolle des Märtyrers gefallen und schnell eine Nachfolgeorganisation ins Leben rufen würde, jedenfalls nicht los. Und eine im Untergrund wühlende AfD ist auch keine gute Aussicht. Außerdem ist der schlecht vorbereitete und gescheiterte Vorstoß eines NPD-Verbots noch in unguter Erinnerung.Gegner:innen eines Verbots führen ins Feld, dass sich eine „wehrhafte Demokratie“ dadurch auszeichne, dass sie mit Argumenten überzeuge, statt mit Verboten. Doch die Argumente schwächeln, wenn die Grundlagen, auf denen sie beruhen, nicht stimmen oder brüchig sind. Und wie es mit Gerechtigkeit, Solidarität, Demokratie und Freiheit in diesem Land bestellt ist, kann jeder und jede mit dem Blick ins Portemonnaie, auf die Vertretung im Parlament und beim Gang auf die nächtliche Straße feststellen, sei es als Frau oder als geschlechtsdiverser Mensch.Es gab Zeiten, in denen die FDGO noch ein bisschen kritischer beäugt wurde. Die im Grundgesetz verankerten Eigentumsverhältnisse sind ja nicht sakrosankt. Auch damals standen Verbotsanträge im Raum und Menschen wurden massenhaft ihrer beruflichen Zukunft beraubt. Das heute immer noch gültige KPD-Verbot hatte (und hat) einen langen Arm. Dass es Produkt interner Mauschelei und zahlreicher handfester Rechtsbrüche war, hat der Zeithistoriker Josef Foschepoth vor einigen Jahren dezidiert nachgewiesen. Schon deshalb sollte es endlich fallen. Nach einer Wiedervereinigung, so die Verfassungsrichter 1956, habe es keine Bedeutung mehr.Denn was einer AfD droht – und dieses Szenario ist nicht nur theoretisch –, könnte auch einer aus der Taufe gehobenen Wagenknecht-Partei blühen, wenn sie Teile der unzufriedenen AfD-Anhängerschaft auf sich ziehen sollte. Auch wenn deren Potential übertrieben werden mag, ist doch symptomatisch, dass Politiker:innen bis in die CDU plötzlich die Zusammenarbeit mit der Linken offerieren und deren möglichen Zerfall beweinen. Von der Linkspartei erwächst ihnen nicht mehr viel Konkurrenz.Natürlich kann man beklagen, dass eine Partei wie die AfD ihre Existenz fristet mit (Steuer)geld von Menschen, die sie am liebsten aus dem Lande schickte oder wegsperrte. Und übrigens – wie alle übrigen im Parlament Vertretenen – auch mit dem Geld derer, die nicht einmal wählen dürfen. Aber das ist kein Grund für ein Parteiverbot, sondern dafür, sich über Parteienfinanzierung insgesamt Gedanken zu machen. Die AfD juristisch eliminieren zu wollen, ist jedenfalls der falsche Weg. Ulrike Baureithel